Analyse zum Spiel gegen Wolfsburg
Nenad Bjelica durfte nach seiner Sperre wieder auf der Trainerbank von Union Berlin sitzen. Sein vierter Heimsieg im vierten Heimspiel verschafft dem Trainer Luft, um weiter an der Entwicklung seiner Mannschaft zu arbeiten. Von Till Oppermann
Nenad Bjelica sah nach dem Sieg seiner Mannschaft gegen Wolfsburg so aus, als wäre ihm eigentlich zum Heulen zumute. Die Anspannung und der Druck, der während seiner Sperre auf dem Trainer lastete, bekamen in diesen Sekunden ein Gesicht. "Wir sind sehr erleichtert, weil wir ein wichtiges und sehr schweres Spiel gegen einen guten Gegner gewonnen haben", sagte er.
Mit seiner siegreichen Rückkehr an die Seitenlinie schloss sich für den Trainer ein Kreis. Er habe lange auf die Chance gewartet, in der Bundesliga zu trainieren, hatte er noch bei seiner Vorstellung gesagt. Diese Chance hätte aber schnell weg sein können. Etwa dann, wenn zum Beispiel die Vereinsspitze auf die Kommentare gehört hätte, die schrieben, er sei als Trainer nicht mehr tragbar, weil er im Spiel gegen die Bayern die Beherrschung verlor. Dass Bjelica wieder an der Seitenlinie stand, war also keine ausgemachte Sache.
Zumal sich die Kritik nicht nur an der Aktion in München entzündete. Schon vor der Reise zum Rekordmeister wurde über den Trainer, seinen persönlichen Stil und seinen Fußball diskutiert. Letzteres wohlgemerkt bei einem Klub, der seine größten Erfolge mit einem Spielstil feierte, der sich immer eher über Zweikämpfe, Einsatz, defensive Geschlossenheit und hohe Bälle definierte als über technische Finesse. Vielleicht waren die Erwartungen hoch, weil Bjelica bei seinem Einstand gesagt hatte, wie er sich seine Spielidee ideal vorstellt - dominant, mit direkten Pässen über die Flügel nach vorne. Geliefert hat er bisher etwas anderes: Eine stabile Defensive, die wenig zulässt.
"In den letzten neun Spielen haben wir nur acht Tore kassiert", rechnete Bjelica vor. Damit gehöre man in dieser Zeit zu den besten Mannschaften der Liga. Obwohl Union zum dritten Mal binnen sechs Tagen spielte und obwohl sich die Mannschaft am Mittwoch in Mainz auf tiefem Boden aufgerieben hatte, liefen die Eisernen gegen Wolfsburg über 129 Kilometer. "Die Jungs haben über Kampf, Herz und Leidenschaft gewonnen", sagte Bjelica.
Es war der vierte Heimsieg in seinem vierten Heimspiel. Vielleicht hat es Bjelica auch deshalb schwer, weil man sich genau an die Dinge, die er einer strauchelnden Mannschaft zurückgegeben hat, in den letzten Jahren in Köpenick so sehr gewöhnt hat, dass sie selbstverständlich scheinen.
Wer dem Trainer eine fehlende offensive Spielidee vorwirft, den wird das Spiel gegen Wolfsburg nicht vom Gegenteil überzeugt haben: Union kam nur auf zwei Schüsse aufs gegnerische Tor.
Die wenigen Umschaltsituationen brachten kaum Gefahr. Im Spielaufbau fehlen Union erfolgsversprechende Muster. Wenig überraschend also, dass das Siegtor durch einen Standard fiel. Einen Standard am Ende einer 21-minütigen Nachspielzeit der ersten Halbzeit, die Fans beider Mannschaften provoziert hatten, indem sie das Spiel mit dem Werfen von Tennisbällen aus Protest gegen den DFL-Investorendeal an den Rand des Abbruchs brachten.
Einen Standard, bei dem ein Wolfsburger Innenverteidiger nicht auf dem Feld stand, weil er nach einem Zusammenstoß mit Unions Andras Schäfer behandelt wurde. "Wir haben die Situation genutzt und freuen uns natürlich", sagte Bjelica. Rani Khedira ergänzte: "Wir haben das gestern erst genauso trainiert." Drei Unioner blockten die Zonendeckung der Wolfsburger. In der Mitte stand Danilho Doekhi völlig frei und köpfte ein. Auch das ist eine Union-Qualität, die die Mannschaft im Laufe der Hinrunde verloren hatte.
Wie schon am Mittwoch im Mainz, als es keinen Elfmeter für die Rheinhessen gab, nachdem Robin Knoche seinen Gegenspieler mit dem Fuß im Gesicht getroffen hatte, hatten die Eisernen Glück, dass es Ecke für Union statt Freistoß für Wolfsburg gab. "Wir haben uns wieder das nötige Spielglück erarbeitet", sagte Rani Khedira, der wahrscheinlich selber nicht so genau wusste, was das heißen soll.
Glück erarbeitet man sich nicht, man hat es einfach. Da es Union im Herbst aber so oft nicht hatte, ist es wohl ausgleichende Gerechtigkeit. Vor allem gibt es dem Verein und seinem Trainer die Ruhe, nach den turbulenten letzten Wochen endlich durchzuatmen. "Der Grundstein ist gelegt", sagte Nenad Bjelica. Jetzt hat er eine Woche Zeit, mit seiner Mannschaft im Training an den offensiven Abläufen zu arbeiten. Vor allem Neuzugängen wie Chris Bedia und Yorbe Vertessen wird das gut tun. Beide spielen seit ihren Transfers zu Union nur eine Nebenrolle.
Wie wichtig jetzt eine gemeinsame Zeit bei Union für Trainer und Spieler ist, dafür lieferte Bjelica ein Beispiel. Er habe die Unterbrechung wegen der Fanproteste genutzt, seine Mannschaft umzustellen. Aus dem 5-3-2 wurde ein 4-3-3, um im Mittelfeld einen Mann mehr zu haben. Vorher hatten sich die Wolfsburger Stürmer Kevin Behrens und Jonas Wind immer abwechselnd ins Mittelfeld fallen zu lassen, um Überzahl zu schaffen. Tatsächlich fiel es Wolfsburg dann schwerer zu Abschlüssen zu kommen. Ihrem großen Ziel, dem Klassenerhalt, sind die Unioner durch den 1:0-Sieg einen Schritt nähergekommen.
Sendung: rbb24, 10.02.2024, 21:45 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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