Hertha BSC vor Wochen der Wahrheit
Mit dem Sieg in Fürth ist Hertha BSC im Fußballjahr 2024 angekommen. Die Berliner sind in der 2. Bundesliga nun sowohl vom dritten als auch vom drittletzten Platz acht Punkte entfernt. Worauf es bis Saisonende besonders ankommen wird. Von Anton Fahl
Fabian Reese fand einmal mehr passende Worte. Als der Linksaußen nach dem 2:1-Auswärtssieg von Hertha BSC bei der SpVgg Greuther Fürth – dem ersten Pflichtspielsieg im Jahr 2024 – in der Mixed Zone gefragt wurde, wohin es für sein Team in dieser Saison noch gehen könne, sagte er: "Ich gebe wenig darauf, nach jedem Spiel auf die Tabelle zu schauen und zu sagen: Jetzt geht es nach oben, jetzt geht es nach unten oder jetzt bleibt es so."
In Abwesenheit des gelbgesperrten Toni Leistner hatte Reese die Herthaner in Mittelfranken als Kapitän auf den Rasen geführt. Es komme darauf an "unter der Woche zu arbeiten, am Wochenende Leistung zu bringen und Spiele zu gewinnen. Wenn man das häufig tut, wird die Tabelle automatisch schöner anzusehen sein. Bis vier, fünf Spieltage vor Schluss müssen wir sauber und hart arbeiten und Punkte einfahren, um überhaupt mal wieder auf die Tabelle schauen zu können und zu gucken, was noch möglich ist", so Reese. Die Berliner wollen von Spiel zu Spiel schauen. So weit, so eine altbekannte Fußball-Devise.
Mit 29 Zählern belegt Hertha BSC in der 2. Fußball-Bundesliga nach 21 Spieltagen den achten Platz – der Abstand auf den dritten Rang (Hamburger SV) beträgt ebenso acht Punkte wie das Polster zum drittletzten Platz (Kaiserslautern). Die Alte Dame scheint es sich derzeit im Mittelfeld der Tabelle bequem zu machen.
Doch gleichzeitig ist die Liga offener und unberechenbarer denn je: Spitzenreiter St. Pauli musste sich am vergangenen Wochenende zum ersten Mal geschlagen geben, der HSV hat seine letzten drei Liga-Heimspiele verloren – und sich am Montag von Trainer Tim Walter getrennt. Die Fürther Formkurve zeigt nach unten: auf neun Spiele in Serie ohne Niederlage folgten zwei Pleiten.
Das heißt: Die Herthaner – und alle, die es mit dem Hauptstadtklub halten – tun gut daran, doch noch nicht den Glauben daran aufzugeben, in den verbleibenden Monaten dieser Spielzeit nochmal auf Tuchfühlung mit den vorderen Plätzen zu gehen. Noch 13 Spieltage stehen aus, die Punktekonten können demnach bis Mitte Mai um bis zu 39 Zähler aufgestockt werden.
Schon am Freitag (18:30 Uhr) ist die Mannschaft von Trainer Pal Dardai wieder gefordert: Im heimischen Olympiastadion gegen den 1. FC Magdeburg. Gegen jenes Team also, das die Kiezkicker aus St. Pauli in die Knie zwang – und mit dem Hertha aus der Hinrunde noch eine Rechnung zu begleichen hat. In der Woche drauf (Sa., 24. Februar, 13 Uhr) reisen die Berliner zu akut abstiegsbedrohten Braunschweigern. Um noch eine Minimalchance zu wahren, die Aufstiegsränge anzugreifen, wären sechs Punkte aus diesen beiden Spielen Pflicht.
Im Vorfeld der Partie in Fürth witterte Pal Dardai höhere Gewalt. Die Herthaner seien momentan verflucht, vermutete der Trainer am "Sky"-Mikrofon. Was war passiert? Über Nacht hatten sich Smail Prevljak und Linus Gechter einen Magen-Darm-Infekt eingefangen und standen ebenso wenig zur Verfügung wie Haris Tabakovic, der aufgrund von Knieproblemen passen musste.
Auch in Fürth trat eines der Kernprobleme der Alten Dame in dieser Spielzeit zu Tage: Hertha BSC hat keine Stammformation und muss permanent improvisieren. Bitterer- und passenderweise zog sich Marc Oliver Kempf, der beide Berliner Tore erzielte, in Fürth eine Bänderverletzung zu. Während Kapitän Leistner nach abgesessener Gelbsperre gegen Magdeburg wieder einsatzberechtigt ist, muss Kempf pausieren. Und Dardai darf mal wieder seine Innenverteidigung umbauen.
Umso mehr sollten es die Blau-Weißen in der entscheidenden Phase der Saison vermeiden, sich noch zusätzlich selbst zu schwächen. Florian Niederlechner handelte sich bei der Spielvereinigung durch eine kopflose Aktion tief in der Nachspielzeit die Gelb-Rote Karte ein und schadet auf diese Weise seinem ohnehin schon ersatzgeschwächten Team.
Aber: Aus der Not wird eine Tugend – und der "Berliner Weg" frei für vielversprechende Kicker aus dem Nachwuchs. Was vor der Saison von den Vereinsverantwortlichen angekündigt wurde, war in Fürth zu beobachten: Talente kommen bei Hertha zum Zug. "Wir hatten zum Schluss sehr viele junge Spieler auf dem Platz. Das ist der Berliner Weg", bemerkte Dardai auf der Pressekonferenz im Anschluss an das Duell.
In der Schlussphase bewiesen sich die beiden 18-jährigen Pascal Klemens und Tim Hoffmann, der zu seinem Profi-Debüt kam, in der Innenverteidigung. Vor Stammkeeper Tjark Ernst, der im März seinen 21. Geburtstag feiern wird. Auch Marten Winkler (21), Derry Scherhant (21), Gustav Christensen (19) und – nach langer Verletzungspause – Ibrahim Maza (18) kamen zu Einsätzen. "Die junge Garde hat großartig performt", sagte ein begeisterter Reese nach dem Schlusspfiff. "Das war eine reife Leistung einer jungen Mannschaft. Ich bin sehr stolz auf die Jungs. Wir haben gezeigt, was kämpferisch in uns steckt und ein sehr gutes Signal gesendet."
Eine Signalwirkung, die nachhaltig sein kann. Der Knoten ist geplatzt, der erste Sieg seit dem überraschenden Tod des Hertha-Präsidenten Kay Bernstein wurde eingefahren und der Glaube an die eigenen Stärken wiederhergestellt.
Von Ende Oktober 2023 bis Ende Januar 2024 blieb Hertha BSC in acht Liga-Spielen in Folge ungeschlagen (drei Siege, fünf Remis). Ein vergleichbarer Lauf wäre wohl vonnöten, um in der Tabelle bis zum Saisonende noch nennenswert zu klettern. "Ich denke, dass so eine Serie nochmal möglich ist", kündigte Kapitän Leistner jüngst im Interview mit dem rbb an. "Wenn dann noch ein paar Siege mehr dabei sind, können wir oben nochmal anklopfen."
Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, kann Dardai in den kommenden Wochen auch noch den einen oder anderen Joker aus dem Ärmel ziehen. Jeremy Dudziak zählte an den ersten acht Spieltagen noch zum Stammpersonal, bevor ihn eine langwierige Fußprellung außer Gefecht setzte. Der 28-Jährige ist ab sofort sowohl auf der linken Abwehrseite als auch im zentralen Mittelfeld wieder eine Option für seinen Trainer.
Ibrahim Maza kann Herthas Offensive mit seiner Unbekümmertheit und Kreativität bereichern und ein wichtiger Faktor von der Bank werden. Und dann wäre da noch Winter-Neuzugang Bradley Ibrahim, den Dardai unmittelbar nach dessen Ankunft in Berlin geadelt hatte. "Der Junge ist zu gut. So ein Talent!", sagte der Ungar über den 19-jährigen Engländer, der aus London an die Spree wechselte und sich im defensiven Mittelfeld am wohlsten fühlt. Am vergangenen Freitag feierte Ibrahim im Trikot von Herthas U23 sein Debüt. Sein erster Auftritt in der 2. Bundesliga dürfte bald folgen.
Beitrag von Anton Fahl
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