Ende der Transferphase
Nach dem Deadline Day blickt Union Berlin auf eine turbulente Transferphase zurück. Oliver Ruhnert konnte den Köpenickern kurz vor Schluss ihren Wunschspieler sichern. Er ist Teil des Versuchs, die Mannschaft grundsätzlich neu aufzustellen. Von Till Oppermann
Beim 1. FC Union Berlin sind sie besonders stolz auf ihre zahlreichen Traditionen. Im Stadion wird gestanden, kein Fan geht vor dem Abpfiff und nach Toren erklingt kein Jingle, sondern nur der Jubel aus den Kehlen der Unioner, um nur einige zu nennen. Spätestens nach diesem Januar kann man getrost von einer weiteren Union-Tradition sprechen. Denn die letzte Woche im Wintertransferfenster war mal wieder richtig spannend.
Vor zwei Jahren ergriff Unterschiedsspieler Max Kruse Hals über Kopf die Flucht nach Wolfsburg, vor einem Jahr hatte der Spanier Isco sogar schon den Medizincheck überstanden und wechselte dann trotzdem nicht zu Union. Wer geglaubt hat, diese Posse sei nicht zu überbieten, kam in den vergangenen Tagen auf seine Kosten – gewissermaßen hielt diese Transferphase eine Mischung aus den beiden letzten Wintern bereit.
Denn während der Belgier Yorbe Vertessen trotz seines absolvierten Medizinchecks am Montag bis Donnerstagmorgen nicht vorgestellt werden konnte, verließ Angreifer Kevin Behrens Union urplötzlich – wie sollte es anders sein – nach Wolfsburg. "Die beiden letzten Nächte waren ziemlich kurz", sagte Oliver Ruhnert dem rbb. Schließlich habe es eine Menge zu klären gegeben. Details wie die Ablösesumme für den 32-jährigen Behrens, den sein letzter großer Vertrag an den Mittellandkanal lockte. Die belief sich auf 3,5 Millionen Euro.
Geld, das die Köpenicker gut gebrauchen konnten, um ihren Wunschspieler Vertessen zu bezahlen. Union wollte Vertessen schon lange haben, erklärte Ruhnert und musste sich dabei ziemlich gedulden. Denn sein alter Verein PSV Eindhoven legte kurz vor den letzten Unterschriften sein Veto ein. Nach langem Hin und Her konnte Union den Wechsel am Morgen des Deadline Days endlich verkünden. Ende gut, alles gut, auch für Oliver Ruhnert: "Den Tag heute haben wir im Endeffekt entspannt verbringen können", so der Sport Geschäftsführer des 1. FC Union.
Denn auch ohne Behrens seien die Eisernen in der Offensive gut aufgestellt, findet Ruhnert. Das stimmt, insbesondere, wenn sie wie in den ersten drei Rückrundenspielen weiter im 5-3-2-System spielen wollen. Denn zusätzlich zu Kevin Volland, Benedict Hollerbach, Mikkel Kaufmann und Vertessen steht mit Chris Bedia bereits seit gut zwei Wochen ein neuer Mittelstürmer im Kader. Ein Vorgriff auf Behrens Abgang, erklärt Ruhnert. Offenbar hatte der Verein die harmlose Offensive als einen der Hauptgründe für die miserable Hinserie identifiziert. Neben Behrens wurden auch Sheraldo Becker und David Datro Fofana abgegeben. Der neue Sturm soll es besser machen.
Dass Vertessen das kann, wissen sie in Köpenick seit knapp einem Jahr. Damals machte Vertessen im Europa League-Achtelfinale an der Alten Försterei im Trikot von St. Gilloise auf sich aufmerksam. An der Seite von Victor Boniface erzielte er ein Tor und legte zwei weitere vor. Vertessens Spielweise erinnert an Sheraldo Becker: Er ist beidfüßig, pfeilschnell und geht gerne in die Tiefe. Das soll Unions lahmen Angriff beleben.
Gewissermaßen sind die zahlreichen Transfers in der Offensive eine Operation am offenen Herzen. Denn mit Behrens und Becker suchten nicht nur zwei verdiente Fußballer, sondern auch Führungsspieler das Weite. So ein Umbruch mitten in der Saison ist gewagt, steht anderen Mannschaftsteilen aber wohl noch bevor. Nach dem Ende der Ära Urs Fischer endet auch die Ära seiner Mannschaft. Kapitän Christopher Trimmel geht im Sommer auf jeden Fall, andere Führungsspieler könnten folgen.
Auch deshalb vollzogen die Unioner schon am Anfang des Monats einen wegweisenden Transfer. Innenverteidiger Kevin Vogt kam als ehemaliger Kapitän aus Hoffenheim und übernahm sofort eine sportliche Führungsrolle bei Union. Seine Anwesenheit scheint die verunsicherte Mannschaft schon etwas stabilisiert zu haben. Immerhin bekam Union mit Vogt in drei Spielen nur ein Gegentor.
Zum ersten Mal in seiner Amtszeit kam während der Hinrunde leichte Kritik an Oliver Ruhnert auf. Bis auf Benedict Hollerbach, der erst nach dem Trainerwechsel von Urs Fischer zu Nenad Bjelica aufblühte, erfüllte keiner der insgesamt zehn Sommerneuzugänge so wirklich die Erwartungen. Auch deshalb waren die Unioner in diesem Winter nicht vorrangig aktiv, um wichtige Spieler zu ersetzen.
Das Ziel war es von Anfang an, neue Leistungsträger zu finden. Zumindest in Vogts Fall scheint das gelungen zu sein. Vertessen und Bedia werden schnell die Chance bekommen, das ebenfalls zu beweisen. Viel Überredungskunst sei nicht notwendig gewesen, um sie von ihrer Unterschrift zu überzeugen, meint Ruhnert. "Union hat im Ausland an Reputation dazu gewonnen." Damit das so bleibt, müssen die Eisernen dringend die Klasse halten.
Sendung: rbb24, 01.02.2024, 21:45 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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