Fünf-Jahres-Plan wackelt
Vor fast zwei Jahren ging das Fußball-Start-Up von Viktoria Berlin als ein Leuchtturmprojekt im Frauenfußball und mit hohen Ambitionen an den Start. Auf dem stark wachsenden Markt müssen sie sich nun aber gegen starke Konkurrenz behaupten. Von Lukas Witte
Es ist ein Dienstagabend im Stadion Lichterfelde. Im Schein des Flutlichts motiviert Trainer Dennis Galleski seine Spielerinnen vor dem Training. Der Coach hat große Ziele und fordert vollen Fokus. Denn schon Ende März bietet sich bei der Partie gegen die Tabellenführerinnen aus Köpenick vielleicht doch noch eine Chance, den Aufstieg in diesem Jahr zu schaffen. "Wir stehen in der Liga richtig gut da und sind in Reichweite zu Union. Klar wird es schwierig, sie einzuholen und sie müssen patzen. Aber wenn sie patzen, dann wollen wir auf jeden Fall da sein", so der Trainer.
Sechs Punkte trennen Viktoria auf Platz zwei derzeit von den Spitzenreiterinnen. Union hat in dieser Saison jedoch noch kein Spiel verloren und schießt in der Regionalliga alles kurz und klein. Wenn also nichts Außergewöhnliches mehr passiert und es keine Schützenhilfe gibt, werden die Himmelblauen wohl auch in dieser Saison wieder nicht aufsteigen.
Dabei hätte der Hype um das Projekt bei der Gründung vor fast zwei Jahren kaum größer sein können. Im Juni 2022 hatten sechs Frauen - darunter unter anderem die ehemalige deutsche Fußballnationalspielerin und zweimalige Fußballweltmeisterin Ariane Hingst - die Fußballerinnen vom FC Viktoria Berlin vom Gesamtverein ausgegliedert, und eine Art Fußball-Start-Up gegründet. Gemeinsam mit prominenten Geldgeberinnen wie Franziska van Almsick, Dunja Hayali und Carolin Kebekus wird die Vision verfolgt, den Frauenfußball in der Hauptstadt ins Scheinwerferlicht zu rücken und weiter wachsen zu lassen.
Auch die sportlichen Ziele wurden dabei gleich zu Beginn hoch gesteckt. Bis 2027 soll es für Viktoria in die 1. Bundesliga gehen. Im vergangenen Jahr waren sie bereits nah dran am ersten Schritt: Nach der Meisterschaft in der Regionalliga Nordost ging es ins Aufstiegsduell mit dem HSV, gegen den sie jedoch chancenlos waren. In diesem Jahr werden es aller Wahrscheinlichkeit nach die Nachbarinnen aus Köpenick sein, die ihnen einen Strich durch die Rechnung machen.
"Noch können wir unser selbst gestecktes Ziel Bundesliga bis 2027 erreichen. Das ist aber natürlich sehr straff und es sieht so aus, als müssten wir im nächsten Jahr noch einmal vollen Angriff auf die 2. Liga nehmen. Dann bliebe uns ein Jahr 'Akklimatisierung', um dann auch schon den Aufstieg zu schaffen. Das wird enorm schwer, so rasant, wie sich der Frauenfußball entwickelt", erklärt Geschäftsführerin Hingst.
Als die Pläne für den Weg in die Bundesliga geschmiedet wurden, war nicht klar, dass die Konkurrenz für Viktoria so groß werden würde. Ende 2022 verpflichtete die Deutsche Fußball-Liga (DFL) alle Vereine der 1. und 2. Männer-Bundesligen, den Frauenfußball aktiv zu fördern und entweder selbst ein Team zu stellen oder eine Kooperation mit einer bestehenden Frauen-Mannschaft einzugehen. Mittlerweile ist Viktoria einer der wenigen verbliebenen Vereine, der ohne einen erfolgreiches Männer-Team im Rücken oben mitspielen will.
Auch die beiden größten Vereine der Hauptstadt investieren seit dem vergangenen Jahr deutlich mehr in den Frauenfußball. Hertha übernahm die Frauenfußballabteilung aus Zehlendorf, während Union das bestehende Team zu professionalisieren begann. "Das sich die Entwicklung in Berlin so schnell wandelt und vor allem Union so viel reininvestiert, das hatten wir vorher nicht so geglaubt. Wir hätten gedacht, dass das noch etwas länger dauern wird", erklärt Viktorias Co-Geschäftsführerin Lisa Währer.
In Köpenick setzt man auf Vollzeit-Fußballerinnen und bezahlt die Spielerinnen so gut, dass sie sich voll auf den Sport konzentrieren können und nebenbei keinen Jobs mehr nachgehen müssen. "Union hat zehn Level höher geschaltet. Die haben eine Vollprofi-Mannschaft und ein super Trainingszentrum, von dem jeder träumen würde. (…) So können sie sechs bis sieben Mal in der Woche trainieren, was irgendwann auch zu konditionellen Vorteilen führt, die nicht von der Hand zu weisen sind", sagt Trainer Galleski.
Bei Viktoria beschränkt sich das Training auf bis zu vier Einheiten in der Woche, die natürlich auch nur abends stattfinden können, weil die Spielerinnen tagsüber arbeiten, studieren, oder zur Ausbildung gehen. Die Vollprofessionalisierung der Unionerinnen können und wollen die Lichterfelderinnen derzeit noch nicht mitgehen.
"Das ist natürlich ein Ziel, das wir anstreben. Aber wir haben von Anfang an gesagt, dass wir Schritt für Schritt wachsen wollen. Und solange wir noch in der Regionalliga sind, sehen wir einfach kein Voll-Profitum unserer Spielerinnen. Wir glauben, dass es für sie wichtig ist, neben dem Sport ihre beruflichen Karrieren voranzubringen. Die meisten von ihnen werden niemals zu dem Status kommen, dass sie nach ihrer sportlichen Karriere von dem, was sie verdient haben, leben können. Deshalb ist uns Zweigleisigkeit so wichtig", erklärt Währer. Trotzdem bekommen bereits jetzt auch bei Viktoria alle Spielerinnen zumindest kleine Gehälter und sind extra über den Verein versichert, damit sie sich mehr auf den Sport konzentrieren können.
Auch wenn man in Lichterfelde eigentlich Vorreiter war, böse über die neue Konkurrenz ist man nicht. "Natürlich kämpfen jetzt mehrere Teams um den Aufstieg und nehmen sich gegenseitig die Chance. Aber Berlin ist eine Stadt mit über drei Millionen Einwohnern. Da ist es schon okay, dass es mehrere gute Vereine gibt, in denen Frauen auf einem sehr hohen Niveau Fußball spielen können," sagt Währer.
"Entscheidend ist, dass Berlin auf der Landkarte des Frauenfußballs sichtbar ist. Und das ist es jetzt", ergänzt Hingst. Die zweifache Weltmeisterin sieht Viktoria dabei auch als Antreiber dieses rasanten Fortschritts auf dem Berliner Markt. "Wir haben auch unseren Teil dazu beigetragen. Ich behaupte mal, dass wenn wir nicht so viel Druck gemacht hätten und ambitioniert wären, sich Union längst nicht so schnell entwickelt hätte."
Trotz des bislang verpassten Aufstiegs ist man bei Viktoria mit der Entwicklung des Projekts also zufrieden. "Die Euphorie ist noch nicht abgebrochen und es ist immer noch ein großes Interesse da. Es kommen immer noch viele Leute ins Stadion und wir finden immer wieder neue Unterstützer", berichtet Währer. Auch wenn die Zuschauerzahlen seit der Gründung nicht groß gestiegen sind, zieht Viktoria gerade zu den großen Spielen immer wieder eine für die Regionalliga beachtliche Menge an Menschen ins Stadion Lichterfelde. Gegen Türkiyemspor waren es zuletzt 600, beim Derby gegen Union Ende März sollen es noch weitaus mehr werden.
Auch die Investorinnen und Investoren bleiben am Ball. Bei der letzten Finanzierungsrunde nach dem verpassten Aufstieg im vergangenen Sommer kamen 94 neue Unterstützerinnen und Unterstützer ins Boot, von denen 70 Prozent weiblich sind. 1,2 Millionen Euro an Investments kamen so vor der aktuellen Spielzeit zusammen. "Das ist tatsächlich viel Geld und man kann damit viel bewegen", so Währer.
Allerdings seien auch die Investitionskosten des noch jungen Fußball-Start-Ups in Strukturen und Marketing immer noch hoch. "Hinter Hertha und Union stehen hingegen große Vereine, die gewisse Strukturen mit sich bringen, auf die Viktoria nicht zurückgreifen kann. Das ist natürlich ein Nachteil, auch in der Finanzierung", sagt die Co-Geschäftsführerin. "Dafür haben wir deutlich mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeiten. Und wir wollen nicht das B-Team sein, sondern das erste Team, an das man denkt, wenn man Viktoria Berlin hört."
Damit das geschieht, muss irgendwann aber auch der Sprung in die nächste Spielklasse folgen. "Wenn das Projekt weiter große Sichtbarkeit haben möchte, ist es völlig klar, dass wir sportlich diesen Weg gehen müssen", sagt Trainer Galleski. Dieser könnte in den nächsten Jahren allerdings steiniger werden, schließlich stecken immer mehr große Vereine Geld in ihre Frauenabteilungen. "Bei der Dynamik, die es gerade im Frauenfußball gibt, können auch noch einmal Teams aufkommen, mit denen man vorher gar nicht gerechnet hat, weil sie auch ein Potential erkennen und rein investieren", sagt Währer.
Auch Viktoria wird also noch einmal neues Geld benötigen, um den nächsten Schritt gehen zu können. Druck zum sportlichen Erfolg habe es von den Geldgeberinnen und Geldgebern aber bislang nicht gegeben, erklärt Hingst. "Alle wussten, worauf sie sich einlassen. Niemand hat gedacht, dass man da nach ein paar Jahren mit dreihundert Prozent Gewinn wieder rausgeht. Es geht schließlich darum, in eine großangelegte Sache zu investieren, die mehr als nur Fußball ist."
Um die finanzielle Absicherung des Projekts, machen sich die Verantwortlichen bislang also keine Sorgen – auch wenn es nicht wie geplant bis 2027 mit dem Aufstieg in die 1. Bundesliga klappt. Diesen engen Zeitplan habe man sich schließlich nur selbst auferlegt.
Komplett aufgegeben hat den Aufstieg in dieser Saison trotz den unschlagbar scheinenden Köpenickerinnen allerdings auch noch niemand. "Fakt ist: Noch sind einige Spiele zu spielen. Auch Union muss noch gegen Gegnerinnen ran, die ihnen einen schweren Tag bereiten können. Da müssen dann auch erstmal alle fit sein und die Stimmung gut sein. Ich beende die Saison als erst am letzten Spieltag", erklärt Galleski. Der Trainer findet die hohen Ambitionen des Vereins weiterhin gut. "Das sorgt dafür, dass man unter Handlungsdruck steht. Nur so kann man auch etwas erreichen", sagt er.
Das Heimspiel gegen Union (24. März, 14 Uhr) könnte die letzte Chance für die Himmelblauen sein, doch noch in diesem Jahr den Schritt in die nächste Klasse zu schaffen. Sollte er nicht gelingen, werden die kommenden Jahre zeigen, wie gut sich das Start-Up gegen die stärker werdende Konkurrenz der großen Vereine im Frauenfußball tatsächlich behaupten kann.
Sendung: rbb24, 16.03.2024, 21:45 Uhr
Beitrag von Lukas Witte
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