Herthas U23 in der Regionalliga Nordost
Auch weil Pal Dardais Traum von einem "Mini-Ajax" bei den Profis von Hertha BSC immer mehr zur Realität wird, spielt die U23 eine erstaunlich durchwachsene Regionalliga-Saison. Doch die Gründe sind vielschichtiger. Von Anton Fahl
Benjamin Webers Erwartungen wurden erfüllt. Vielleicht sogar schneller als erhofft. Am vergangenen Freitagnachmittag hatte der Sportdirektor von Hertha BSC, angesprochen auf die U23 des Vereins, gesagt: "Ich erwarte, dass wir in den kommenden Wochen erfolgreich sind und Punkte holen. Ausbildung macht deutlich mehr Spaß, wenn man Spiele gewinnt", so Weber im Gespräch mit dem rbb. "Es ist das Ziel und die Aufgabe, in die Erfolgsspur zurückzukommen – genauso wie wir das zu Beginn der Saison schon gezeigt haben." Und siehe da: Die "Hertha-Bubis" lieferten. Noch am selben Abend gewannen die Berliner etwas überraschend mit 2:1 beim SV Babelsberg 03, der in der Regionalliga Nordost aktuell den 5. Platz belegt.
Überraschend war der Erfolg vor allem, weil die Formkurve vor der Partie in Potsdam gegen die Herthaner sprach: Zuvor hatte die Mannschaft von Trainer Stephan Schmidt sieben Spiele in Serie nicht gewonnen (sechs Niederlagen, ein Remis). Mit Blick auf den bisherigen Saisonverlauf der U23 ließ sich bis dahin festhalten: Stark begonnen, noch stärker eingebrochen.
Herthas Zweitvertretung war mit vier Siegen am Stück in die Spielzeit gestartet – um dann immer weiter in den Tabellenkeller abzurutschen. Nach derzeitigem Stand rangieren die Berliner mit 28 Zählern auf dem 15. Platz, der Abstand zum einzigen sicheren Abstiegsrang (FC Hansa Rostock II) beträgt zwölf Punkte.
Die nackten Zahlen sind ernüchternd – besonders im Vergleich mit vorherigen Saisonbilanzen von Herthas U23. Unter Ante Covic, der die "Hertha-Bubis" bis Sommer 2023 betreut hatte, kamen die Berliner in der Vorsaison mit 52 Punkten auf dem neunten Platz ins Ziel. In der Spielzeit 2021/22 knackten sie sogar die 60-Punkte-Marke, was gleichbedeutend mit dem 8. Rang war.
An dieser Stelle sei fairerweise auf ein Mantra verwiesen, das die Hertha-Verantwortlichen seit jeher gebetsmühlenartig wiederholen: Die Entwicklung einzelner Spieler wiegt schwerer als die Ergebnisse und das Abschneiden in der vierthöchsten deutschen Spielklasse.
Einer weiß das besser als jeder andere: Benjamin Weber. Schließlich hatte das Hertha-Urgestein von Juli 2014 bis Februar 2022 als Leiter der Fußball-Akademie die Nachwuchsarbeit des Vereins verantwortet, ehe der 43-Jährige im Januar 2023 als Sportdirektor zur Alten Dame zurückgekehrt war. "Die U23 ist die zentrale Übergangsmannschaft, um genau diesen schwierigen Spagat zwischen dem Jugendfußball bis zur U19 und dem Übergang in den Männerbereich zu packen", betont Weber.
Mit anderen Worten: So lange sich möglichst viele Akteure mit ihren Leistungen für Höheres – sprich: Herthas Profi-Kader – empfohlen haben, war es eine erfolgreiche U23-Saison.
Und genau an dieser Stelle kommt man der Antwort auf die Frage, warum Herthas Regionalliga-Mannschaft in der laufenden Saison so unterdurchschnittlich performt, wohl einen entscheidenden Schritt näher. Denn: Die Durchlässigkeit vom Nachwuchs zu den Profis war noch nie so groß wie in dieser Spielzeit.
Am Sonntag, beim mitreißenden 5:2-Heimsieg gegen den FC Schalke 04, setzte Cheftrainer Pal Dardai auf eine Startelf, die zur Hälfte aus Eigengewächsen bestand. Mit Linus Gechter (20 Jahre alt), Marton Dardai (22), Pascal Klemens (19), Ibrahim Maza (18) und Marten Winkler (21) standen zunächst fünf von zehn Feldspielern für Hertha BSC im Olympiastadion auf dem Rasen, die in der vereinseigenen Akademie groß geworden sind. In Gestalt von Torhüter Marius Gersbeck (28) lief sogar noch ein weiteres, inzwischen nicht mehr ganz so junges, Berliner Eigengewächs auf, das nach seiner Rückkehr und einem – selbstverschuldet – schwierigen Start im Sommer nun zu Einsätzen in der 2. Fußball-Bundesliga kommt. Sei es auch nur in Abwesenheit des verletzten Tjark Ernst (21), der im Eiltempo zu einem zuverlässigen Zweitliga-Keeper gereift ist.
Während Dardais Traum von einem "Mini-Ajax", einer wettbewerbsfähigen Profi-Mannschaft, die weitestgehend aus Berliner Eigengewächsen besteht, zunehmend Realität wird, scheint Herthas Regionalliga-Team genau unter diesem Umstand zu leiden. Denn jene Durchlässigkeit bedeutet im Umkehrschluss eben auch, dass junge, hochveranlagte Kicker in der zweiten Mannschaft fehlen. "Deswegen ist es nicht immer ganz einfach, was die U23 angeht", findet auch Sportdirektor Weber.
Nichtsdestotrotz sind die Gründe für die stagnierende Entwicklung der U23 vielschichtiger. Trainer und Menschenfänger Ante Covic wurde nach erfolgreichen Jahren als U23-Coach im vergangenen Sommer zur U16 versetzt und durch Stephan Schmidt ersetzt, der zuvor die U17 trainiert hatte. Ohne Not, könnte man meinen. Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, dass Covic und Dardai ein angespanntes Verhältnis pflegen, was einer fruchtbaren Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Akademie und Profis nicht immer zuträglich war.
Insofern ist es zumindest nachvollziehbar, dass die Verantwortlichen entschieden, den Trainerposten der U23 neu zu besetzen, als feststand, dass Dardai die Geschicke der Profis in der 2. Liga verantworten wird.
Unter Stephan Schmidt ist – bei aller personeller Fluktuation - seither jedoch keine fußballerische Handschrift oder Entwicklung ersichtlich. Die "Hertha-Bubis" leben von der individuellen Klasse ihrer Einzelspieler, die mannschaftlichen Defensivleistungen sind regelmäßig desaströs. Nur Schlusslicht Rostock II kassierte in der laufenden Saison bis dato mehr Gegentore (50 in 26 Partien) als die Zweitvertretung der Alten Dame (49 in 25 Spielen). Hinzu kommt, dass erfahrene Spieler wie Tony Fuchs (33), Rückkehrer Änis Ben-Hatira (35) oder Nader Jindaoui (27), der auch in dieser Saison hin und wieder mit gesundheitlichen Rückschlägen zu kämpfen hatte, ihren zugeschriebenen Führungsrollen nur bedingt gerecht werden.
All das kulminiert in der Zwischenbilanz der U23 – und geht auch auf Personalentscheidungen zurück, die Andreas "Zecke" Neuendorf zu verantworten hat. Seit Anfang 2023 fungiert die Vereinslegende als "Direktor Akademie & Lizenzspielerbereich" bei Hertha BSC. Nach rbb-Informationen wird "Zeckes" Wirken intern zunehmend kritisch bewertet.
Der Alten Dame steht also – auf sämtlichen Ebenen – einmal mehr ein spannender Sommer bevor. Trainer- und Personal-Fragen werden neu gestellt – und beantwortet.
Das "Übergangsjahr", von dem seit dem radikalen Umbruch und der abgewendeten Insolvenz im Sommer 2023 immer wieder die Rede war und ist, neigt sich langsam aber sicher dem Ende entgegen. Die Rückkehr ins Oberhaus sollte in der kommenden Saison forciert werden – schon allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
Klar ist schon jetzt: Der ausgerufene "Berliner Weg" muss weitergehen – schon allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. "Das ist etwas, was unseren ganzen Verein umtreibt. Wir wollen nahbar und demütig sein. Und im Kern steht die Nachwuchsarbeit bei uns ganz oben", sagt Sportdirektor Benjamin Weber. "Das ist unser Weg. Da gehört die U9 genauso dazu wie die U17, die U19, die U23 und die Profi-Mannschaft."
Passenderweise wurde Pal Dardai auf der Pressekonferenz nach dem Heimsieg gegen Schalke 04 deutlich. "Es ist ein Übergangsjahr. Es war vom ersten Tag an das Ziel, mit den jungen Spielern durchzuziehen, sie einzubauen und weiterzubilden. Um Teamgeist und eine Achse zu haben, die wir nächstes Jahr positionsspezifisch verstärken können. Damit wir im August sagen können: 'Okay, es hat alles geklappt. Wir spielen um den Aufstieg'", so der Ungar, schon auf die nächste Saison schielend. Fragen nach seiner persönlichen Zukunft wehrte er dagegen entschieden ab. "Das ist hier nicht Dardai FC, das ist Hertha BSC. Wir bedanken uns bei der Akademie, dass wir solche Spieler aufgezogen haben und dass sie hier sind."
Beitrag von Anton Fahl
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