Fußball-Bundesliga
So manchem Anhänger schwant schon wieder ein Hauptstadtderby in der kommenden Spielzeit. Wahlweise. Denn sowohl ein Abstieg von Union ist aktuell denkbar, als auch ein Aufstieg von Hertha. Doch wie realistisch sind die beiden Szenarien? Von Ilja Behnisch
Je länger Nenad Bjelica, Trainer des Fußball-Bundesligisten Union Berlin, nach der 0:2-Niederlage beim FC Augsburg am ARD-Mikrofon redete, desto harscher wurde sein Ton. Und so dauerte es keine zwei Minuten, ehe der Kroate von "sehr gut gearbeitet" zu "wer das nicht kapiert, wird nicht weiter spielen" gelangt war. Man sei "dick im Abstiegskampf", sagte Bjelica dann noch. Es fällt schwer ihm zu widersprechen. Ganze drei Punkte liegt Union aktuell vor dem Relegationsplatz 16, vor Mainz 05. Wobei die Rheinhessen eine um drei Treffer bessere Tordifferenz haben und zuletzt zwei Siege bei 8:1-Toren feierten. Also wie unheimlich ist den Köpenickern das Abstiegsgespenst?
Form schlägt Klasse, heißt es im Sport häufig. Sollte das stimmen, dürften die Union-Anhänger vor lauter Anspannung momentan gar nicht mehr rauskommen aus dem Nägelkauen. Gerade einmal vier Punkte haben die Köpenicker aus den letzten fünf Bundesliga-Spielen holen können. Damit liegt man in diesem Zeitraum auf Rang 13 und ganze zwei Punkte vor einem fiktiven Relegationsrang. Verfolger Mainz hingegen liegt im selben Zeitraum auf Rang sechs und scheint drauf und dran, durchzustarten.
Allerdings fielen unter die letzten fünf Union-Begegnungen auch Duelle gegen Stuttgart und Leverkusen. Zwei der Über-Mannschaften der Saison, gegen die schon ganz andere Teams verloren haben. Der Heimsieg gegen Werder Bremen und der Punktgewinn in Frankfurt dürfen hingegen als erfreulich in Erinnerung bleiben. Und dass die Berliner in Augsburg verlieren, ist nach nur einem Sieg in 14 Duellen fast schon so etwas wie Folklore.
Richtet man den Blick nach vorn, wird relativ schnell klar: Vier Punkte noch, und die Punktlandung Klassenerhalt sollte realistisch sein. Dabei ist wohl vor allem das Heimspiel gegen den VfL Bochum von enormer Bedeutung. Der aktuell 15. der Tabelle aus dem Ruhrgebiet wartet seit sieben Spielen auf einen Sieg und hat ein kompliziertes Restprogramm mit gleich drei Auswärtsspielen. Sollte Union das direkte Duell am 32. Spieltag (5. Mai) für sich entscheiden, dürften die Bochumer auch am Saisonende hinter Union stehen - sofern die Berliner mindestens einen Punkt aus den Auswärtsspielen in Mönchengladbach oder Köln holen.
Das kommende Heimspiel gegen den FC Bayern bietet allerdings auch Gelegenheit zum punkten. Zum einen, weil der Rekordmeister in dieser Saison insgesamt alles andere als stabil agiert. Zum anderen, weil er nach dem Rückspiel im Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Arsenal entweder auf Wolke sieben schweben oder im Tränenmeer baden wird. Auch Unions abschließendes Heimspiel gegen den SC Freiburg bietet noch realistische Chancen auf Kurskorrektur.
Sportlich müsste bei Union gar nicht viel anders laufen als zuletzt. Oder um es mit Kapitän Christopher Trimmel zu sagen: "Wir müssen konzentrierter bleiben und offensiv genauer spielen." Das ist der Mannschaft allerdings absolut zuzutrauen. Auch wenn vom spielerischen Selbstverständnis der vergangenen Jahre momentan wenig zu spüren ist, zeigte sich Union zuletzt trotz der Rückschläge insgesamt als belastbares Konstrukt.
Beim Stadtrivalen Hertha BSC hingegen zeigt die Formkurve aktuell steil nach oben. Drei Siege und zehn Punkte aus fünf Spielen bedeuten Platz drei in diesem Zeitraum. Allein: Die Konkurrenz schwächelt nicht (genug). Bei 13 Punkten Rückstand auf den FC St. Pauli, aktuell Tabellenzweiter, ist ohnehin nur noch Platz drei halbwegs realistisch - also der Weg in die Relegation.
Der allerdings wird belegt von Fortuna Düsseldorf, die auch in der Formtabelle noch vor der Hertha liegen (fünf Siege aus zuletzt fünf Spielen). Sollte Düsseldorf, derzeit acht Punkte und 16 Tore vor den Berlinern, doch noch schwächeln, wären zunächst der Hamburger SV auf Rang vier (fünf Punkte vor Hertha) und Hannover 96 auf Rang fünf (ein Punkt vor Hertha) die natürlichen Profiteure.
Mit den nächsten Duellen in Karlsruhe (Tabellen-Siebter) und bei Hannover stehen der Mannschaft von Trainer Pal Dardai zwei äußerst schwere Prüfungen bevor. Immerhin: Danach hat der Spielplan mit Elversberg (10., auswärts), Kaiserslautern (17. heimwärts) und Osnabrück (18. auswärts) scheinbar lösbare Aufgaben parat. Doch auch wenn der Berliner Weg in nächster Zeit zu fünf Siegen aus den fünf verbleibenden Partien führen würde, scheint Tabellenplatz drei nahezu ausgeschlossen.
Da mutet die Wahrscheinlichkeit, dass Hertha mindestens in einem der Duelle in alte, spielerisch krampfige Muster verfällt, schon höher an. Zwar hat die Mannschaft im letzten Spiel gegen Hansa Rostock begeistert wie lange nicht. Ob diese Leistungsfähigkeit nachhaltig ist, darf aber noch bezweifelt werden. Wobei die Zweifel angesichts der zweitjüngsten Mannschaft der Liga (24,7 Jahre im Schnitt aller eingesetzter Spieler in allen Spielen) durchaus ihre Gründe haben.
Und so darf der womöglich furiose aber sehr späte Schlussspurt der Hertha vor allem als eines gedeutet werden: Als Schwung holen für die Mission Aufstieg im kommenden Jahr.
Sendung: rbb24 Inforadio, 14.04.2024, 17:15 Uhr
Beitrag von Ilja Behnisch
Artikel im mobilen Angebot lesen