Fußball-Regionalliga
Union und Hertha sind auf dem Weg zu einem modernen Profi-Frauenfußball, aber in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Möglich, dass sich die Wege der Teams am Sonntag zum vorerst letzten Mal kreuzen. Von Shea Westhoff Das Spiel läuft am 28.04.2024 live ab 13 Uhr im Stream und im rbb Fernsehen.
Es ist denkbar, dass die Fußballerinnen des 1. FC Union Berlin ihren Hauptstadt-Rivalen Hertha BSC am Wochenende in der Regionalliga Nordost deutlich schlagen. Es ist sogar ein realistisches Szenario. Nach 17 Spielen thront der Klub aus Köpenick an der Tabellenspitze, mit einem sagenhaften Torverhältnis von 113:4. Beim vorigen Aufeinandertreffen mit Hertha im Pokal setzten sich die Unionerinnen mit 5:0 durch.
Bei den Männern trennt beide Klubs aktuell eine Spielklasse. Doch der Leistungsunterschied dürfte bei den Frauen ungleich größer sein – obwohl diese in derselben Staffel aktiv sind. "So offen und ehrlich muss man sein: Union spielt auch in einer anderen Liga", fasst es Sofian Chahed zusammen, der als Leiter von Herthas Mädchen- und Frauenabteilung fungiert. Mit Blick auf das Abschneiden der Herthanerinnen am Sonntag (13 Uhr, live im rbb-Fernsehen und im Stream bei rbb24.de) sagt er bescheiden: "Ich schaue eher auf die Mannschaft, dass sie wirklich über 90 Minuten 100 Prozent gibt."
Union Berlin und Hertha BSC, das ist auch das Duell zweier unterschiedlicher Konzepte für den Fußball der Frauen. Dort bewegte sich bei den größten Berliner Fußballklubs zuvor wenig. Die Vereine verfügten lange Zeit entweder über gar keine oder aber über eine wenig ambitionierte Frauenabteilung. Nun gilt es den Stillstand wettzumachen, es gibt einiges aufzuholen. Beide Klubs sehen sich perspektivisch in der Bundesliga. Nur den Begriff "perspektivisch", den denkt man offensichtlich in unterschiedlichen Zeithorizonten.
"Es ist von den sportlichen Ergebnissen her alles so gelaufen, wie wir das geplant haben, und sogar besser", sagt Jennifer Zietz, sportliche Leiterin der Frauenmannschaft des 1. FC Union. Tatsächlich sind die Köpenickerinnen in Überschallgeschwindigkeit auf dem Weg in höhere Fußball-Gefilde, sie haben alle ihrer bisher 17 Ligaspiele gewonnen.
Grund für den Erfolg ist nicht zuletzt ein Etat, der Zietz zufolge bereits mit dem eines Frauen-Bundesligisten vergleichbar ist. Der Verein ermögliche es, dass es "das Berufsbild der Profifußballerin" auch schon in der Regionalliga geben könne. Heißt: Alle Spielerinnen werden bezahlt, und zwar gekoppelt an den Mindestlohn. Doch es gelte auch schon das Leistungsprinzip, nach dem verschiedenen Spielerinnen entsprechend ihrer Niveaus unterschiedliche Gehälter ausbezahlt werden.
Auf einem der höchsten Leistungsniveaus liegen wohl die ehemalige Turbine-Spielerin Dina Orschmann – am vergangenen Wochenende sechsmal gegen Erfurt erfolgreich – und Sarah Abu Sabbah, Top-Torjägerin der Regionalliga. Beide Offensivspielerinnen waren einst bereits in der 1. Bundesliga aktiv.
Grund für ihren Wechsel in die wenig schillernde Regionalliga dürften außer finanziellen Anreizen auch die sonstigen Profi-Rahmenbedingungen gewesen sein, die der Klub auffährt. So kümmern sich derzeit nicht weniger als elf Personen hauptberuflich um das Frauenteam, darunter ein breites Trainerteam aus Athletik-Coach, Torwart-Trainerin, Physiotherapeuten und natürlich Cheftrainerin Ailien Poese.
Ein weiterer großer Meilenstein ist für Zietz zudem das erst vor Kurzem eingeweihte Trainingszentrum Oberspree, das das Frauenteam gemeinsam mit dem Nachwuchsleistungszentrum nutzt. "Das sind noch mal verbesserte Rahmenbedingungen, weil wir feste Kabinen haben, feste Trainingsplätze, einen Kraftraum, eine große Physiotherapie und Büroräume, die in der Nähe der Kabine sind."
Die Spielerinnen können sich den ganzen Tag auf dem Gelände aufhalten. Trainiert wird vor- und nachmittags. Dazwischen erhalten die Spielerinnen Mittagessen, es gibt Aufenthaltsräume, in die sie sich zurückziehen können, sogar Schlafräume.
Es sind Gegebenheiten, von denen der Tabellensiebte Hertha BSC noch weit entfernt ist. Die von Manuel Meister trainierte Mannschaft setzt sich aus Feierabend-Spielerinnen zusammen, die von der Schule, Studium oder der Arbeit zu den abendlichen Trainings-Einheiten kommen.
Die Trainings finden außer am Ernst-Reuter-Sportfeld in Zehlendorf dreimal die Woche auf dem Olympiagelände statt, "auf einem guten Rasen- oder Kunstrasenplatz", sagt Sofian Chahed. Man nutze auch das sogenannte "Performance Center", in dem ansonsten die Lizenzmannschaft sowie die Akadamieteams ihre Kraftübungen absolvieren. "Insofern haben wir schon Zugriff auf die vorhandene Infrastruktur, was gut ist." Eine eigene Kabine für die Frauen gibt es noch nicht. Ab Sommer hofft Chahed auf einen separaten Bereich für die Frauen auf dem Olympiagelände, wie er sagt.
So deutlich muss man es wohl sagen: Der finanziell gebeutelte Hauptstadtverein setzt nicht alles auf eine Karte, um ad hoc ein hochambitioniertes Frauenfußballprojekt auf die Beine zu stellen, wie es außer Union Berlin auch der mit mehreren Investorinnen ausgestattete Stadtrivale Viktoria Berlin in Gang gesetzt hat.
Bei Hertha wolle man den vielbeschworenen "Berliner Weg" gehen, sagt Chahed. Der damalige, mittlerweile verstorbene Klubpräsident Kay Bernstein hatte diese auf Lokalität und Bescheidenheit abzielende Arbeitsweise ausgerufen. Heißt übersetzt auf die Frauenmannschaft: Talente aus Berlin und Umgebung fördern, in kleinen Schritten vorangehen. Es soll nichts überstürzt werden, denn: "Dann könnten wir auch schneller und tiefer fallen. Wir wollen zunächst ein stabiles, gesundes und nachhaltiges Fundament bauen, um schließlich irgendwann den Schritt in den professionellen Frauenfußball zu machen."
Aber Chahed dürfte wissen, dass ein mittel- oder langfristiger Aufstieg für den aktuell Siebtplatzierten nur mit runderneuerten Rahmenbedingungen geschafft werden kann. "Die größte Herausforderung ist es, sich perspektivisch zu professionalisieren: Trainingszeiten beispielsweise vom Abend in den Nachmittag zu legen und sukzessive alle Spielerinnen mit Verträgen auszustatten." Um sich nach und nach weiterzuentwickeln. Erste Verträge mit Spielerinnen gebe es bereits, Amateurverträge auf Minijob-Basis. "Um eine Leistungskultur zu etablieren, haben wir nun begonnen, erste Spielerinnen mit diesen Amateurverträgen auszustatten. Weitere sollen folgen", sagt Chahed.
Mit Blick auf das anstehende Derby sagt Chahed entsprechend vorsichtig: "Ein gutes Ergebnis heißt für mich, dass wir weniger Gegentore als im Pokal und im ersten Ligaspiel bekommen." Im Liga-Hinspiel verlor Hertha 1:6. Doch auch die Unionerin Zietz zeigt sich wachsam: "Hertha hat eine junge Mannschaft, die uns nichts schenken wird."
Fest steht: Für das Spiel an der Alten Försterei sind schon jetzt rund 9.000 Tickets verkauft worden. Eine durchaus profi-verdächtige Zahl, die für das steht, was den Berliner Frauenfußball in Zukunft erwarten könnte.
Sendung: Der Tag, 26.04.2024, 19:15 Uhr
Beitrag von Shea Westhoff
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