Herthas Erfolg in Paderborn in der Analyse
Eine wieder mal aufregende Woche liegt hinter Fußball-Zweitligist Hertha BSC. Nach einem kleinen Eklat während der Spieltagspressekonferenz zeigt sich Trainer Pal Dardai in Paderborn trotzig. Und gewinnt trotz und wegen dieser fünf Gründe. Von Ilja Behnisch
Es war das 241. Pflichtspiel, das Pal Dardai als Hertha-Trainer führte. In gefühlt 250 dieser Spiele attackierten seine Mannschaften den Gegner ungefähr auf Höhe der Mittellinie. Kompaktheit ist dem Ungarn ein hohes Gut. Die 30 Meter, die zwischen erstem und letztem Spieler der Mannschaft liegen sollen, eine alte Dardai-Weisheit. Umso erstaunlicher, dass sich Hertha gegen Paderborn weit in die gegnerische Hälfte schob.
Pressing wurde dabei aber nur sehr sporadisch gespielt. Eher schien es darum zu gehen, den Gastgebern keine Räume zu gewähren, aus denen sie ihr Spiel von hinten heraus aufbauen könnten. Doch die Abstände waren zumindest über die erste Stunde des Spiels viel zu oft viel zu groß, so dass es Paderborn immer wieder gelang, sich zu befreien.
Die Folge: Herthas letzte Kette fand sich zu häufig in Gleichzahl gegen den Gegner und dabei in Nachteilen bei der Geschwindigkeit. Insbesondere der äußerst flinke Sirlord Conteh brach so immer wieder durch, ließ zu Herthas Gunsten jedoch die Zielstrebigkeit in der finalen Aktion vermissen. Oft wussten sich die Berliner daher nur noch mit einem Foulspiel zu helfen. Aus den resultierenden Freistößen entstanden ein Lattentreffer sowie das 1:0 durch Raphael Obermair (16. Minute). Wobei Obermair in Gedanken sicher noch weit nach seinem Renteneintritt von diesem Kunstschuss heimgesucht werden wird, so schön wie er war.
Klingt komisch, ist aber so: Im tiefen Spielaufbau wirkte Hertha wie eine Spitzenmannschaft. Zwischen Viererkette und Sechsern lief der Ball (zumeist) gut hin und her. Doch dann begannen die (altbekannten) Probleme. Im Spiel-Zentrum hätte man einer Krabbelgruppe Gelegenheit zum toben geben können, so selten wie durch die Mitte gespielt wurde, geschweige denn Gefahr entstand. Also blieb nur der Weg über die Außen.
Während es der rechte Flügelspieler Palko Dardai seinem Hintermann Jonjoe Kenny überließ, Halbfeldflanken ins westfälische Nichts zu schlagen, wurde Herthas Star-Spieler Fabian Reese auf der linken Angriffsseite konsequent vom Gegner gedoppelt und so aus der Partie genommen. Schlimmer aber noch als die Ausrechenbarkeit der Bemühungen wog die Trägheit, mit der sie vorgetragen wurden. Wenig Tempo, wenig Direktspiel, wenig Fantasie prägten das Bild. Wobei das Wort "wenig" hier jeweils vor allem aus Taktgründen benutzt wurde.
Man sollte ja generell aufpassen, was man von sich gibt. In der Bewertung der Arbeit von Pal Dardai gilt aber nach dem Pressekonferenz-Eklat unter der Woche erhöhte Vorsicht. Zumal der oft und gerade auf Pressekonferenzen so unterhaltsame Dardai, der dabei gern auch einmal seine eigenen Spieler kritisiert, sich noch vor der Partie gegen Paderborn am Sky-Mikrofon wie folgt rechtfertigte: "Mit Menschen, die Unwahrheiten verbreiten, rede ich nicht. So bin ich aufgewachsen. Wenn jemand schreibt, dass Hertha kein Konzept hat, dann ist das beleidigend."
Personell war dabei in Paderborn durchaus ein Konzept zu erkennen. Gleich fünf selbst ausgebildete Spieler (Gersbeck, Gechter, M. Dardai, Klemens, P. Dardai) standen in der Startelf, zwei weitere (Maza, Scherhant) wurden eingewechselt. Das spielerische Grundkonzept, von dem Dardai gern spricht ("Wir sind eine Umschaltmannschaft!"), funktionierte gegen Paderborn lange Zeit deshalb nicht, weil Paderborn es nicht zuließ. Außer, das man muss man zugestehen, beim 1:1-Ausgleichstreffer durch Aymen Barkok (17.).
Sollten Umschaltmomente allerdings einzig auf haarsträubenden, individuellen Fehlern des Gegners beruhen, wie in diesem Fall durch Paderborns Kai Klefisch, stünde das Konzept auf wackligen Beinen. Andernfalls ist es an diesem Abend nicht sonderlich gut aufgegangen. Plan B, Ballbesitzfußball mit Hereingaben über Außen, krankte an - siehe oben. Kurzum: Konzepte waren durchaus zu erkennen. Sie wurden nur sehr mäßig in die Praxis übertragen.
Ein Evergreen der dardaischen Analyse in dieser Zweitliga-Saison war bis dato die Beobachtung, Herthas Kader fehle es an Qualität von der Bank. Immer wieder hatte der Ungar nach Einwechslungen Qualitätseinbußen im Spiel seiner Mannschaft festgestellt. In Paderborn nun war alles anders. Mit Bilal Hussein traf ein Einwechselspieler zum 2:2, ehe Einwechselspieler Ibrahim Maza den 3:2-Siegtreffer mit einer brillanten Einzelleistung vorbereitete. Aber auch die anderen, frischen Kräfte Scherhant, Deyovaisio Zeefuik und Jeremy Dudziak brachten neue Qualität in die Partie. Oder Grätschen, wie im Fall von Zeefuik.
Der große italienische Trainer Giovanni Trapattoni sagte es einst ganz richtig: "Fußball ist Ding, Dang, Dong. Es gibt nicht nur Ding!" Wobei eines dann doch etwas entscheidender ist als anderes, nämlich eine Kleinigkeit namens Endergebnis.
1,17 zu 0,62 hätte diese Partie nach den sogenannten Expected Goals für Paderborn ausgehen müssen. Und vermutlich spricht Pal Dardai nicht mehr mit diesen Expected Goals und das aus guten Gründen. Denn die Effizienz, mit der Hertha in diesem Spiel mal wieder auftrumpfte, ist letztlich auch nichts anderes als Qualität. Nun verfügt Hertha dem Vernehmen nach auch über eine der teuersten Mannschaften dieser Liga und Spielzeit. Den Glauben und Willen, bis zum Schluss eines bis dato eher furchtbaren Spiels noch auf die eigene Chance zu warten, sollte man unbedingt anerkennen. Konzept hin oder her.
Sendung: rbb24, 05.04.2024, 22 Uhr
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