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Audio: rbb24 Inforadio | 18.05.2024 | Lars Becker | Quelle: Imago Images/Michael Taeger

Union Berlin schafft Klassenerhalt

Glanz, Absturz, Urschrei

Union Berlin hat den Totalschaden verhindert. Nach einer Saison, die phasenweise einer schwer verträglichen Achterbahnfahrt glich, setzte das Team einen furiosen Schlusspunkt. Die Frage ist, warum es so eng werden musste. Von Shea Westhoff

So weit musste es wirklich kommen. An einem Tag im Mai, an dem eine tiefe Wolkendecke über Köpenick hinweg zog, stemmten sich die Fußballer des 1. FC Union Berlin noch mal mit aller Macht gegen den drohenden Abstieg aus der ersten Bundesliga.

Und auch wenn die Talfahrt der Mannschaft schon länger zu bezeugen war, musste man sich doch noch mal die Augen reiben. Ja, dieser Klub spielte noch vor einem halben Jahr in der Champions League und verlor wenige Kilometer weiter im Olympiastadion nur unglücklich gegen das Welt-Ensemble von Real Madrid mit Bellingham, Kroos und Modric. Nun kämpften genau diese Unioner gegen Kübler, Keitel und Makengo vom SC Freiburg am letzten Spieltag einer völlig verunglückten Bundesliga-Saison um das Verhindern des Totalschadens. Am Ende mit der irrwitzigen Pointe eines Treffers in der Nachspielzeit, der allen im Verein von der Wuhle wie eine Erlösung vorgekommen sein muss.

2:1 gegen Freiburg

1. FC Union bejubelt nach spektakulärer Schlussphase den Klassenerhalt

Große Erleichterung in Köpenick: Der 1. FC Union hat sich am letzten Spieltag den direkten Klassenerhalt gesichert. Der FCU besiegte Freiburg mit 2:1, während zeitgleich Bochum in Bremen unterlag. Der erlösende Treffer fiel in der Nachspielzeit.

Extreme Emotionen nach Abpfiff

Robin Gosens saß nach Abpfiff auf dem Rasen, weinte und lachte gleichzeitig, Manager Oliver Ruhnert verpasste dem Klubpräsidenten Dirk Zingler eine Umarmung der stürmischsten Sorte; Andras Schäfer schluchzte, als er vom Abwehrhünen Danilho Doekhi in den Arm geschlossen wurde.

Extreme Emotionen brachen sich Bahn nach dem Abpfiff. Es musste offensichtlich so weit kommen. Natürlich war die letzte Partie dieser denkwürdigen Unioner Saison daher auch von der Frage begleitet: Wie konnte es eigentlich so weit kommen?

"Ich wüsste nicht einen einzigen Grund, weshalb Union Berlin nicht dazu in der Lage sein sollte, gegen den SC Freiburg zu gewinnen", sagte der tapfere Interimstrainer Marco Grote zwei Tage zuvor im rbb-Interview. Reichlich Anlässe zum Zweifeln hatten die vergangenen Auftritte der Mannschaft allerdings schon geliefert. Von den zurückliegenden sieben Spielen konnte sie keines gewinnen.

Zingler über Bjelica-Verabschiedung

"Dazu gehören dann oft zwei"

Union-Präsident Zingler äußerte sich am Dienstag ausführlich zur Entscheidung des Vereins, Trainer Bjelica zu entlassen. Der Entschluss sei erst zu Wochenbeginn gefasst worden. Zudem kündigte er an, dass Manager Ruhnert dem Klub erhalten bleiben wird.

Union verlor die typischen Stärken

Nach den vergangenen Partien war es tatsächlich sogar ziemlich überraschend, wie forsch und mutig sich das Team um Kapitän Christopher Trimmel gegen die Freiburger präsentierte, für die mit der Qualifikation für das internationale Geschäft und einem möglichst erfolgreichen Abschied von Trainerlegende Christian Streich ebenfalls einiges auf dem Spiel stand.

Eine Minute war nur vergangen, als sich Yorbe Vertessen und Robin Gosens bereits in intensiven Zweikämpfen mit den Südbadenern beharkten – in deren eigenem Sechzehner. Mit hohem Tempo auf den Außenbahnen gelangten die Hausherren immer wieder ins letzte Spielfelddrittel. Wille, Fokus, Selbstvertrauen.

Typisch eiserne Tugenden, eigentlich. Doch der Mannschaft waren sie irgendwo zwischen Königsklasse und Ligatristesse entglitten. Union brillierte plötzlich nicht mehr, wenn es darauf ankam. Ausgerechnet in den beiden entscheidenden Partien gegen direkten Kellerkonkurrenten Bochum (3:4) und Köln (2:3), zeigte die einst gefürchtete Unioner Defensive phasenweise Auflösungserscheinungen. Das Team ließ plötzlich Nervenstärke vermissen.

Bezeichnend, dass Union gegen den SC Freiburg zwei Elfmetergeschenke liegen ließ. Zuerst Josip Juranovic im ersten Durchgang, dann Kevin Volland in der Nachspielzeit, als der Klassenerhalt beim Stand von 1:1 auf dem Spiel stand. Der Geistesgegenwart des nachsetzenden Janik Haberer war es zu verdanken, dass von den verschossenen Elfmetern später niemand mehr reden wird.

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Wagenburg bröckelte

Es war eine offensichtlich verunsicherte Mannschaft, die da in den letzten Spielen auf dem Platz stand. Wie sollte es auch anders sein? Viel war in dieser Saison ja nicht mehr übrig geblieben von der Wagenburg, die sie im Verein schützend um Köpenick herum errichtet hatten, um trotz großer allgemeiner Neugier möglichst viel Ruhe im Team zu gewährleisten. Oder um wenigstens den Eindruck zu vermitteln, der Klub befinde sich in ruhigem Fahrwasser.

Stattdessen vernahm man das Rumoren in der Mannschaft selbst noch südlich der Alpen. In Italien sorgten sich die Medien um ihren verehrten Europameister Leonardo Bonucci, der sich die Aufgabe in Köpenick so ganz anders vorgestellt hatte. Der Routinier beeilte sich zwar, entsprechende Berichte zu dementieren. Doch im Winter hatte er schon die Flucht ergriffen zu Fenerbahce Istanbul. Die vom FC Chelsea gekommene Edel-Leihgabe David Datro Fofana war nach der eigenen Auswechslung in einem Champions-League-Spiel derart aufgebracht, dass sie dem Trainer den Handschlag verweigerte. Der Ivorer spielt längst wieder in der Premier League.

Mehrere kleinere und größere Aufregungen begleiteten den Verein fortan. Zuletzt wollte die "Sport Bild" von einem klubinternen Vorgang gewusst haben, nach dem die beiden vereinstreuen Führungsspieler Christopher Trimmel und Rani Khedira gegenüber ihren Vorgesetzten eine "Söldnermentalität" in der Mannschaft zur Sprache brachten. Von Egoisten war die Rede. Und auch wenn Trimmel und Khedira dieser Meldung widersprachen, so passte das doch ins Gesamtbild der Saison – dass es da plötzlich ein äußerst kompliziertes Team-Gefüge zu befrieden gab.

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Tiefstapelei nicht mehr zeitgemäß

Der sympathisch-renitente Berliner Klub verweigerte sich auch in dieser Spielzeit trotzig der Transformation vom ewigen Außenseiter hin zu einem ambitionierten Verein, der sich an den neuen Realitäten auch messen lässt. Stattdessen pflegten sie bei Union stoisch ihr berüchtigtes Understatement. Ziel sei allein der Klassenerhalt hieß es, als man schon in der Champions League spielte.

Doch diese Haltung wollte nicht mehr recht passen zu den Millionen, die durch neue Sponsoren und TV-Rechte die Kassen füllten, sie wollte nicht mehr recht passen zu einem namhaft aufgerüsteten Team, sie wollte auch nicht passen zu dem rundum sanierten und vergrößerten Stadion, in dem das Team schon in wenigen Jahren auflaufen soll. Stattdessen hielten die Bosse fest am verdienstvollen Urs Fischer, als der Klub bereits in den Abgrund blickte.

Einmaliger Urschrei

Nach der dann einsetzenden Trainer-Rochade (Grote, Bjelica, Grote) ruckelte sich Union Berlin durch die restliche Spielzeit, die sich gegen den SC Freiburg auf einen Moment am Elfmeterpunkt in der Nachspielzeit verdichten sollte.

Es musste wirklich so weit kommen.

Der Systemzusammenbruch ist nach einer verkorksten Saison abgewendet worden. Und den kollektiven Urschrei, den Haberers Treffer in der Nachspielzeit auslöste, den hätte es wohl nicht mal bei einem Sieg gegen die Galaktischen von Real Madrid gegeben.

Sendung: rbb24, 18.05.2024, 22 Uhr

Beitrag von Shea Westhoff

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