U19-Finale im Berlin-Pokal
Das Hauptstadt-Derby findet im Poststadion statt, wenn die U19-Teams von Union und Hertha im Pokalfinale aufeinandertreffen. Hertha gilt als Favorit, doch im Klub nehmen sie den verstärkten Fokus auf den Nachwuchs bei den Köpenickern wahr. Von Shea Westhoff
Oliver Reiß muss erst einmal überlegen, welche Profis des Zweitliga-Klubs Hertha BSC er einst trainiert hat. Es sind einfach sehr viele. "Wenn ich sie jetzt alle aufzähle, würde ich wahrscheinlich den einen oder anderen vergessen", sagt er. Zehn oder elf dürften es gewesen sein, wie er überschlägt. Spieler wie Ibrahim Maza, Marten Winkler, Marton Dardai und Pascal Klemens, die im System von Pal Dardai mittlerweile wichtige Rollen einnehmen, durchliefen alle die A-Jugend unter Reiß.
Diese erfolgreiche Talentschmiede trifft nun im Finale um den Berlin-Pokal auf den Stadtrivalen des 1. FC Union (Mittwoch, 19 Uhr). Der Partie wird dabei - wie schon aus vorherigen Spielzeiten gewohnt - eine beachtliche Bühne bereitet: Stattfinden wird sie im Poststadion, das über eine Kapazität von fast 10.000 Plätzen verfügt. Und es ist ein Abendspiel.
"Da sind zwei Fußballmannschaften auf dem Platz, gespickt mit tollen Fußballern", sagt der in Berlin geborene 41-Jährige über das anstehende Endspiel und fügt hinzu: "Ich wäre selber gerne Zuschauer bei dem Spiel."
Seine Herthaner haben die Hauptrunde, mal wieder, als Erste beendet. In der U19-Staffel Nord/ Nordost stehen die Berliner seit vergangenem Sonntag zum dritten Mal in Folge als Meister fest. In einer Liga, die gespickt ist mit weiteren namhaften Fußballadressen, wie dem Hamburger SV, RB Leipzig, Werder Bremen und dem VfL Wolfsburg, ist Hertha seit Jahren das Maß der Dinge.
"Wir haben den Anspruch, viel im Ballbesitz zu sein und den Ball auch früh wieder zu erobern. Wir wollen das Spiel immer aktiv nach unserer Idee gestalten", sagt Reiß auf die Frage nach dem Erfolgsgeheimnis. Zuletzt habe seine Mannschaft aber bewiesen, dass sie gegen schwierige Teams wie Wolfsburg und Leipzig auch tiefer verteidigen könne und "es auch aushält, mal nicht den Ball zu haben."
Eine besondere – und sicherlich willkommene – Herausforderung war in dieser Spielzeit, dass zahlreiche A-Jugend-Spieler die Mannschaft verließen, weil sie zumindest zeitweise in die U23 oder teilweise gar in den Profikader rückten: etwa Luis Trus, Julius Gottschalk, Sebastian Weiland, Bence Dardai, Tim Hoffmann, Tim Goller und Elyas Strasner.
Ob die aktuellen U19-Toptalente Dardai und Hoffmann beim Finalspiel dabei sein werden, müsse noch mit Pal Dardai geklärt werden, der mit seinen Hertha-Profis ja auch noch zwei Zweitligaspiele zu absolvieren hat.
Die beiden zurückliegenden Begegnungen mit dem Klub aus Köpenick gewannen Herthas Nachwuchsspieler jeweils (4:0; 2:1). "Wir nehmen gerne die kleine Favoritenrolle an. Aber die beiden Partien gegen Union waren keine Spiele, nach denen man wie selbstverständlich davon ausgehen kann, dass es auch das dritte Mal wieder funktionieren wird", sagt Reiß. Denn die Unioner hätten sich beide Male gut präsentiert, kompakt verteidigt und immer wieder versucht, den Blau-Weißen das Leben schwer zu machen. "Und das ist das, was wir auch jetzt wieder erwarten."
Tatsächlich scheint der Vorsprung, den der Berliner Nachwuchs-Primus Hertha BSC auf die Ostberliner hat, zu schmelzen. Das zeigt sich zum einen tabellarisch. Union verbesserte sich in den vergangenen drei Saisons sukzessive in der Abschlusstabelle: Dem zehnten Platz im Jahr 2021 folgte der achte Platz, dann der vierte Rang im Vorjahr. Aktuell belegen die Unioner den dritten Platz. Der zunehmende Fokus des Klubs auf die Jugendarbeit manifestiert sich andererseits auch in der Eröffnung des Trainingszentrums Oberspree, wo den Köpenicker Nachwuchskickern in einer hochmodernen Anlage ein neues Zuhause bereitet wurde.
Dass die Herthaner damit künftig auch mehr Konkurrenz in der Akquise von verheißungsvollen Nachwuchsfußballern haben werden, hält Reiß für möglich. "Noch ist es nicht spürbar, aber ich gehe fest davon aus, dass es in Zukunft der Fall sein wird", sagt er. Allerdings sei die lokale Konkurrenz gar nicht die größte Herausforderung, denn Entfernungen seien selbst im Jugendfußball mittlerweile nicht mehr ausschlaggebend. "Ich glaube, das macht schon länger gar keinen Unterschied mehr, ob der Konkurrent nah bei uns ist, sprich in Berlin oder ob in Süd- oder Westdeutschland sitzt", sagt Reiß.
Anders gesagt: Bei der Beobachtung und Förderung von Talenten stehen die beiden Berliner Klubs mittlerweile im Wettbewerb mit allen anderen großen Vereinen der Republik.
Für die Unioner an der Seitenline wird am Mittwoch beim Pokal-Endspiel derweil nicht der Erfolgstrainer Marco Grote stehen. Denn Grote springt nun schon zum zweiten Mal in der laufenden Saison interimsweise als Cheftrainer der Bundesligamannschaft ein, nachdem am Montag Nenad Bjelica entlassen wurde. "Wir haben uns gefreut auf ein Wiedersehen. Aber so schnell geht es manchmal", sagt Reiß. Nun hat André Vilk vorübergehend das Juniorenteam des 1. FC Union Berlin übernommen.
Die Erfolgsaussichten seiner Mannschaft im Finale des Berlin-Pokals beziffert Reiß trotz der Favoritenrolle auf 50:50. Als wahrscheinlich gilt indes: Sollte seine Mannschaft eine Topleistung abrufen, muss sich der U19-Trainer künftig wohl weitere Absolventen merken, die den Sprung zu den Profis geschafft haben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.05.2024, 16:15 Uhr
Beitrag von Shea Westhoff
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