Neuer Trainer
Union Berlin hat einen neuen Trainer. Bo Svensson war nach seiner Zeit in Mainz aus verschiedenen Gründen einer der interessantesten Trainer auf dem Markt. Von Till Oppermann
Eine erste Gemeinsamkeit haben der 1. FC Union und sein neuer Trainer Bo Svensson schon vor der ersten Trainingseinheit des Dänen. In den letzten Tagen endete für beide eine schwere Zeit. Die Eisernen schafften auf den letzten Drücker den Klassenerhalt. Und auch Bo Svensson konnte durchatmen. Der Trainer leidet an Heuschnupfen, aber erzählte einst im Interview mit dem "Kicker meets Dazn"-Podcast: "Mitte Mai bin ich durch". So sind Nase und Kopf frei für ein neues Abenteuer. Mit der Unterschrift beim 1. FC Union beginnt ab Juli ein neuer Lebensabschnitt für Svensson.
Als der Kopenhagener 2006 in die Bundesliga wechselte, war er sich sicher, dass seine Zeit im Ausland nur ein kurzes Abenteuer werden würde. Nach dem Abstieg mit Borussia Mönchengladbach in seiner ersten Saison war Svensson dann schon auf dem Sprung zurück nach Dänemark.
Nur Jürgen Klopp überzeugte ihn davon, zum Mitabsteiger nach Mainz zu wechseln und Svensson fand eine neue Heimat. Als Spieler, Jugend- und Cheftrainer arbeitete er insgesamt 15 Jahre für die 05er. Seine drei Kinder wuchsen in Mainz auf. Als er im vergangenen Jahr nach neun sieglosen Spielen hintereinander als Mainzer Trainer zurücktrat, sagte er unter Tränen: "Die Zeit hat mein ganzes Leben geprägt."
Im Januar 2021 hatte Svensson seinen Herzensverein als Cheftrainer auf einem Abstiegsplatz übernommen. Seine 32 Punkte in der Rückrunde waren ein neuer Vereinsrekord. Mit einem achten und einem neunten Platz hielt er den FSV in den beiden Jahren darauf nicht nur aus dem Abstiegskampf, sondern avancierte auch zum punktbesten Bundesligatrainer der Vereinsgeschichte - noch vor Klopp und Thomas Tuchel. Diesen Erfolg musste Svensson nach seinem schlechten Start in die vergangene Saison zwar wieder abgeben, aber Klub-Boss Christian Heidel sagte trotzdem: "Wir hätten Bo nie entlassen".
Umso mehr verrät sein freiwilliger Abschied über den Menschen und Trainer Bo Svensson. Über seinen großen sportlichen Ehrgeiz, der ihn im Misserfolg verzweifeln ließ. Aber auch über seine Fähigkeit zur Selbstreflexion. Zu erkennen, wann Schluss ist - im Fußballgeschäft ist das eine Eigenschaft, die nicht vielen gegeben ist. Unions Vereinsführung wird das an ihren langjährigen Lieblingsmitarbeiter und Ex-Trainer Urs Fischer erinnert haben. Auch die Trennung vom lange so erfolgreichen Schweizer lief einvernehmlich.
Nach Unions turbulenter Saison, in der sowohl Vereinspräsident Dirk Zingler als auch der ehemalige Sport-Geschäftsführer Oliver Ruhnert beim Personal diverse Fehlentscheidungen getroffen haben, sehnt sich der Verein nach einem Neuanfang. Urs Fischer scheiterte unter anderem an einer Mannschaft, die sich nie gefunden hat. Da soll Svensson Abhilfe schaffen. Anders als sein Vorgänger Nenad Bjelica, dessen militärische Methoden manchen Spielern sauer aufstießen, hält er nichts von starren Hierarchien. Im Podcast "Leadertalk" sagte Unions Neuer: "Vor Erfolg muss Lust auf Leistung kommen." In Mainz habe er mitten im Abstiegskampf deshalb zuallererst dafür sorgen wollen, dass alle Spieler gerne zur Arbeit kommen. Gelingt ihm das auch bei Union, wäre ein wichtiger Schritt zum Erfolg getan.
"Ich beobachte Union schon länger und bin sicher, hier gute Bedingungen für erfolgreiche Arbeit zu finden. Die Geschlossenheit die Union ausstrahlt, die Einheit zwischen Mannschaft, Fans, Mitarbeitern und Vereinsführung, ist ein ganz wichtiger Faktor", sagte Svensson nach seiner Vertragsunterschrift bei den Eisernen. "Ich freue mich auf den vor uns liegenden Weg und werde alles dafür geben, dass wir eine erfolgreiche Saison spielen werden."
Svenssons taktischer Stil erfordert die Mitarbeit aller Spieler im Kader. Bei Mainz setzte der Coach auf sehr offensives Pressing. Seine Mannschaften stellten den Gegner in der Zentrale ab dem gegnerischen Abstoß Eins-gegen-Eins mannorientiert zu. Grundvoraussetzung dafür waren eine gute Fitness, viel Vertrauen untereinander und Laufstärke. Zumindest Letztere findet er bei Union schon vor. Mit 4120,3 Kilometern haben die Köpenicker in der vergangenen Bundesliga-Saison die längste Strecke zurückgelegt.
Sonst hatte der harmlose Fußball der Unioner aber wenig mit den Vorstellungen von Svensson zu tun. Denn auch im Ballbesitz verfolgen seine Teams einen klaren Plan. So schnell wie möglich sollen seine Spieler mit tiefen Pässen durch die gegnerischen Linien spielen und auf die nachrückenden Mitspieler, die den Weg in die Spitze suchen, ablegen. Seine Mannschaften in Mainz erzielten die meisten ihrer Tore in unter 15 Sekunden nach dem eigenen Ballgewinn. Mit diesem Stil hatten Svenssons Mannschaften durchschnittlich weniger Ballbesitz als der Gegner. Der Fußball wirkte in seinen besten Phasen wegen der intensiven Zweikämpfe, der schnellen Angriffe und vielen Abschlüssen trotzdem ziemlich dominant.
In Mainz setzte Svensson dabei nahezu ausschließlich auf Formationen mit einer Dreierkette in der Abwehr. Bei Union findet er jetzt einen Kader vor, der genau auf solche Systeme ausgerichtet ist. Wie viele Spieler aus der letzten Saison noch übrig bleiben, ist allerdings völlig unklar.
Ohne internationales Geschäft steht Union vor einem großen Umbruch. Mit Robin Knoche und Brenden Aaronson wurden bereits die ersten Spieler verabschiedet. Weitere werden folgen. Bei ihren Nachfolgern wird Svensson neben den physischen und fußballerischen Qualitäten besonders auf den Charakter achten. So viel Ego wie in der letzten Saison soll es bei Union nicht mehr geben.
Auf Svensson wartet an der Alten Försterei viel Arbeit. Bis zum 1. Juli kann der Däne aber erstmal noch in Ruhe weiter durchatmen.
Sendung: DER TAG, 23.05.24, 19:15 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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