Klimawandel und Tagebauende
Kanus, Kajaks und Kähne – in Brandenburger Regionen wie dem Spreewald prägt der Wassersport den Tourismus. Immer mehr Besucher und Bootsverleihe bilden einen klaren Trend - dem die Angst vor Klimawandel und Wassermangel gegenübersteht. Von Jakob Lobach
Rund anderthalb Kilometer vom Bahnhof Lübbenau entfernt liegt das Tor zur Welt. Mehrere Dutzend Boote liegen verteilt rund um die Bucht am Wasser. Ein paar Gebäude entlang des Ufers bieten Platz für Schwimmwesten und Packsäcke, gerade wird ein Kahn abfahrbereit gemacht. Es ist alles etwas beschaulicher als im hohen Norden, wo der massive Hamburger Hafen seine Stadt einst zum wahrhaftigen Tor der Welt machte – und dennoch wird man eben auch in Lübbenau dank eines Hafens im Kleinstformat in eine andere, eine besondere Welt geführt: die des Spreewalds.
Allein im Jahr 2022 besuchten über neun Millionen Menschen die Wasserlandschaft im Südosten Brandenburgs. Sie blieben oft nur für einen Tag, es gab aber auch über zwei Millionen Übernachtungen in der Region, laut dem örtlichen Tourismusverband. Neben pittoresken Kanälen, Häusern und Uferlandschaften lockt sie vor allem dreierlei in den Spreewald: Kanus, Kajaks und Kähne. Es sind die Boote, die auch in Lübbenau abfahrbereit am Ufer liegen und den Spreewald zum Aushängeschild des Wassersport-Landes Brandenburg machen. Weit über einhundert Kanuverleihe bilden dort mit tausenden Mietkanus einen wirtschaftlich wichtigen Zweig der Tourismusbranche. Ihre Popularität wächst dabei stetig. Das Problem: Die durchaus existenzielle Sorgen vor dem Klimawandel und dessen Folgen wachsen ebenso schnell.
Einer, der sich in diesem Spannungsfeld, aber auch im Spreewald allgemein sehr gut auskennt, ist Martin Richter. Er stammt nicht nur aus der Region und ist "auf dem Wasser zu Hause", wie er selbst sagt, sondern noch dazu lizenzierter Kanutouristiker. Mit seinem Vater Wolfgang betreibt er den eingangs beschriebenen "Bootsverleih Richter", einen der größten unter mittlerweile vielen Verleihen in der Region. "Zu DDR-Zeiten gab es in Lübbenau drei Kanuanbieter, mittlerweile sind es im Spreewald 46 Stück", sagt Martin Richter. Eine aktuell laufende Studie der Brandenburgischen Industrie- und Handelskammern (IHK) zeigt, dass sich die Anzahl der Anbieter auch im gesamten Bundesland in den vergangenen zehn Jahren um zehn Prozent erhöht hat, auf 141.
Ihre Hochzeiten erleben die Anbieter naturgemäß in den Sommermonaten, aber auch rund um das alljährliche Feiertagsfestival des Frühjahrs, das mit dem Himmelfahrtswochenende aktuell in vollem Gange ist. "Da ist bei uns in der Region am meisten los", erzählt Martin Richter. Wie viele Boote sein Verleih an einem durchschnittlichen Tag herausgebe, sei schwer zu beziffern. Schließlich seien die wetter-, ferien- und feiertagsbedingten Schwankungen groß. "Im Winter geht teilweise tagelang gar kein Boot raus", sagt Richter. Zu Ferienzeiten hingegen sei ein Tag mit 25 bis 30 verliehenen Booten eher entspannt als Standard. Stammgäste aus der Region bilden dabei eine wichtige, aber bei weitem nicht die einzige Zielgruppe. "Viele unserer Gäste kommen auch aus 200 Kilometern Entfernung, und wir merken, dass mittlerweile auch immer mehr internationale Gäste kommen", sagt Richter.
Seien es Inlandsbesucher aus Brandenburg und den umliegenden Bundesländern, Berliner mit Natursehnsucht oder Berlin-Touristen mit Umlandsinteresse – der Spreewald, die Havel oder auch die Müggelspree zieht sie regelmäßig aufs Gewässer. Es ist im Grunde eine Win-Win-Win-Situation: Die Besucher kommen in den Genuss einer weit vernetzten und gastgewerblich erschlossenen Wasserlandschaft mitsamt weiten Seen, großen Flussläufen und kleinen Kanälen. Die Hotels, Restaurants und Bootsverleihe profitieren von den vielen Besuchern, die zu ihren Kunden werden. Das Land Brandenburg wiederum profitiert davon, wenn es seinen Tourismusbetrieben gut geht.
So weiß auch das für den Tourismus zuständige Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg (MWAE) um die Wichtigkeit des Wassersports in der Region. Auf Anfrage von rbb|24 bezeichnet eine Sprecherin Brandenburgs Gewässer als ein "Alleinstellungsmerkmal", betont die Umsätze durch Kanuverleihe und Gastronomie und bezeichnet den Kanutourismus als "wichtiges touristisches Basisangebot". Laut einer früheren Handelskammer-Studie betrugen die Umsätze im brandenburgischen Wassertourismus allein im Jahr 2014 rund 200 Millionen Euro. Die aktuelle IHK-Studie läuft zwar noch, aber das Wirtschaftsministerium rechnet "angesichts von Betriebsneugründungen und ausgebauten Kapazitäten" seit 2014 mit einer "erheblichen Steigerung dieser Zahlen."
Die Gründe für ebendiese lassen sich allen voran in den Eindrücken während des Paddelns finden, in Teilen aber auch in Zahlen: Rund 3.000 Seen sowie 6.500 Kilometer befahrbare Flüsse, Ströme und Kanäle führen Kanuten und andere Wassersportler durch die Natur Brandenburgs. Die Kanäle des Spreewalds, der vom Rhin durchflossene Rheinsberger See im Norden, die auch in Sachen Natur und Fahrgefühl verschiedenen Havel-Teile – sie machen Brandenburg mit zum wasserreichsten der 16 deutschen Bundesländer. Es sind Gewässer, deren unterschiedlicher Charakter in Zukunft eine Schlüsselrolle für den Tourismus in Brandenburg spielen wird.
Der Anlass hierfür ist dabei auch für Martin Richter schon jetzt spürbar: "Natürlich beobachten wir das Wetter", sagt er, "und natürlich merken wir, wenn es lange nicht regnet, wir Trockenperioden haben und der Wasserstand niedrig ist." Was Richter beschreibt, sind die in den vergangenen Jahren zunehmend spürbaren Folgen des Klimawandels. Zu ihnen gehören in Deutschland der Anstieg der Durchschnittstemperatur um rund 1,5 Grad seit der Jahrtausendwende – und damit einhergehend auch zunehmende Dürreperioden. "Vor zwei Jahren sind die Fließe im Unterspreewald trocken gefallen, wurden teilweise sogar trockengelegt, weil das Wasser in den Hauptflüssen gebraucht wurde", sagt Richter. Der Klimawandel sei ein Thema, das die gesamte Wassersport-Branche beschäftigen würde, sagt er und ergänzt: "Keine Frage, dass ich mir da Sorgen mache."
Es ist ein Umstand, den Petra Schellhorn gut nachvollziehen kann und für durchaus angebracht hält. Schellhorn ist Ressortleiterin für Umwelt und Gewässer beim Deutschen Kanu-Verband und sagt im Gespräch mit rbb|24: "Der Kanusport wird zwar nicht sterben, aber er wird sich verändern." Hochwasser, Dürren und "Veränderungen in der Biodiversität" seien Vorboten von weiteren Einschnitten, die von Gewässer zu Gewässer sehr unterschiedlich würden. So seien laut Schellhorn beispielsweise natürlich geregelte Gewässer von trockenen Sommern noch deutlich mehr betroffen als staugeregelte Gewässer, wie etwa die Havel. Im Falle des Spreewalds kommt noch ein weiteres elementares Problem hinzu: Wassermangel infolge des Endes der Braunkohleförderung in der Lausitz.
Laut dem Umweltbundesamt (UBA) wurden seit dem Start des Braunkohleabbaus im 19. Jahrhundert rund 58 Milliarden Kubikmeter Grundwasser und damit umgerechnet mehr als der gesamte Bodensee durch den Bergbau gefördert. Genau dieses Wasser macht einer UBA-Studie zufolge aktuell im Sommer ortsabhängig bis zu 75 Prozent des Wassers in der Spree aus.
Was das im Umkehrschluss bedeutet, weiß auch Martin Richter: "Wenn der Großteil des Wassers aus den Tagebauen kommt, die aber 2038 oder sogar schon 2035 zugemacht werden, dann fehlt das Wasser, das die Spree speist." Konkret prognostiziert das Umweltbundesamt für den brandenburgischen Teil der Spree einen jährlichen Wassermangel von 126 Millionen Kubikmetern – mehr als dreimal soviel Wasser, wie der Große Müggelsee fasst. Die Folgen werden auch im Spreewald aller Voraussicht nach weit über den Wassersport hinaus gehen, aber eben auch ihn – in Kombination mit dem Klimawandel – ganz maßgeblich betreffen.
So rechnet auch das Land Brandenburg "regional oder lokal mit klimabedingtem Wassermangel", der laut Petra Schellhorn vom Deutschen Kanu-Verband unter anderem zur Folge haben könnte, dass sich der Kanusport und -tourismus "zeitlich und räumlich" verschiebt. "Niederschläge speisen unsere Gewässer", sagt Schellhorn, "und wenn die Sommer trockener werden, wird zukünftig vielleicht eher im Regen- und Wasser-reicheren September und Oktober Kanu gefahren." Auch ein vermehrtes Umziehen auf die staugeregelte Havel hält sie für möglich.
Nicht zuletzt angesichts dieser Aussicht, gilt es nun auch aus Sicht von Martin Richter "Lösungen zu finden". Der Landkreis Havelland etwa will sein Entwässerungssystem umbauen, um zukünftig mehr Regen in Boden und Gewässern zu halten. Auch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie widmet sich aktuell in einem Gutachten nicht nur der Tourismusbranche allgemein, sondern explizit auch möglichen Strategien für den Wassersport. Und die Bootsverleihe? Die koexistieren auch im Spreewald nicht einfach nur, sondern tauschen sich seit nunmehr knapp 15 Jahren regelmäßig in großer Runde aus.
Schließlich haben sie mehr gemeinsam als 'nur' die kleinen, verschlungenen Kanäle vor ihrer Haustür, die grünen Wände entlang deren Ufer und die Frage, ob an Wochenende und Feiertagen ihre Boote für alle Natursuchenden reichen. "Uns betreffen die gleichen Themen", sagt Martin Richter. Allen voran die Frage, ob in der so schönen Wasserwelt, in welche die Kanus aus den Kanustationen einen führen, "in zehn Jahren alles noch so funktioniert, wie heute."
Beitrag von Jakob Lobach
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