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Barrierefreiheit bei der EM

Ein Fußballfest mit Hindernissen

Neben Nachhaltigkeit haben sich die EM-Organisatoren auch Barrierefreiheit groß auf ihre Fahnen geschrieben. Das hat rbb-Redakteur Frank Preiss überprüft. Im Olympiastadion selbst war der Rollstuhlfahrer positiv überrascht – der Weg dorthin war jedoch eine ziemliche Tortur.

Manchmal kommen tatsächlich gute Nachrichten, wenn man überhaupt nicht damit rechnet. Meine Hoffnung auf ein EM-Ticket war nach den offiziellen Losverfahren längst verflogen, natürlich war ich wie so viele andere auch leer dabei ausgegangen. Doch am vergangenen Montag erreicht mich dann eine E-Mail mit dem verheißungsvollen Titel "Tickets verfügbar!". "Wir freuen uns, dir mitteilen zu dürfen, dass du nun die Chance hast, Tickets für die EURO 2024 zu kaufen, die von anderen Fans nicht bezahlt wurden", ist da zu lesen. Im ersten Moment denke ich an Internet-Betrug. Doch als ich die verlinkte Seite auf Herz und Nieren überprüfe, wird klar: Mein Jugendtraum, bei einem großen Turnier in einem Stadion sitzen zu können, wird tatsächlich wahr.

Das Ticket für die Begegnung Spanien gegen Kroatien am Samstagabend im Berliner Olympiastadion kostet für meine Begleitperson und mich lediglich 30 Euro – unfassbar wenig angesichts der ansonsten empfindlich hohen Preise, die vom EM-Ausrichter, der europäischen Fußballunion Uefa, für dieses Turnier verordnet wurden. Wer nicht im Rollstuhl sitzt, muss für Resttickets sagenhafte 400 Euro hinblättern - und das für Spiele eher schwächerer Teams wie Slowakei und Rumänien. Insofern: Jackpot für mich! Und meinen Begleiter Alexander, der sich so wie ich schon Tage vor dem Spiel riesig darauf freut.

Nervenstarker Begleiter Alexander (links) mit Frank Preiss vor dem Olympiastadion. | Quelle: Privat

Tipp: Es lohnt sich, per ÖPNV anzureisen

Der Ticketkauf und auch die weitere Kommunikation mit dem EM-Veranstalter laufen komplett digital per App. Die Tickets muss ich in der Uefa-App personalisieren. Ich werde über barrierefreie Zugänge zum Stadion, zur genauen Lage meiner Plätze, zur barrierefreien Anfahrt zum Stadion und auch zu Parkplätzen für Rollstuhlfahrer direkt am Stadion informiert. Denn die gibt es, obwohl das Areal rund um das Olympiastadion für Autos komplett gesperrt ist.

Da mir das Befahren der Straßen rund um das Stadion aber angesichts der Menschenmassen zu gefährlich ist, fahren mein Begleiter und ich lieber mit der U-Bahn. Und das klappt sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückfahrt sehr gut. Der Aufzug des U-Bahnhofs am Olympiastadion funktioniert. Ein Sicherheitsmitarbeiter öffnet das Tor, das dorthin führt, nur jenen, die auf den Aufzug angewiesen sind. Auf dem Bahnsteig stehen dutzende Sicherheitsmitarbeiter, die unaufgefordert Rampen für das Besteigen und Verlassen des U-Bahnzugs bereitlegen. Chapeau - das ist wirklich toll organisiert.

Der Weg vom Bahnhof zum Stadion ist dann auch unproblematisch, es gibt keinerlei Stufen zu überwinden. Alle paar Meter stehen Volunteers mit ihren grell-grünen Leibchen bereit und bieten ihre Hilfe an. Auch "Accessibility-Volunteers", also Lotsen speziell für Menschen mit Behinderung, gibt es sehr viele - was beruhigend und wohltuend ist.

An der ersten Schleuse zum Olympiastadion läuft noch alles wohl geordnet. | Quelle: imago images/Matthias Koch

Chaos am Eingang

Der Zugang zum Stadion selbst verläuft dann allerdings alles andere als gut organisiert. Die erste Station ist noch unproblematisch: Es gibt zwei separierte breite Wege, die uns vorbei an den wartenden Menschenmassen führen. Hier werden das erste Mal unsere Tickets und unsere Taschen überprüft. Danach wartet allerdings eine sehr böse Überraschung auf uns.

Um tatsächlich auf das Stadiongelände zu gelangen, müssen Nichtbehinderte durch Drehkreuze hindurch, die sich erst öffnen, sobald das digitale Ticket am Automaten davor gescannt wurde. Das klappt nicht bei jedem auf Anhieb, weshalb sich riesige Menschentrauben ansammeln. Es herrscht dichtes Gedränge, und angesichts der fortgeschrittenen Zeit – es sind noch 30 Minuten bis zum Anpfiff – mischt sich auch immer mehr Nervosität und Hektik darunter.

Das Blöde für meinen Begleiter und mich ist, dass wir mit diesen Menschenmassen zusammen durch die Eingangstore müssen. Für Rollstuhlfahrer gibt es direkt neben den Drehkreuzen breite Tore – insgesamt drei Stück. Allerdings ist davon nur ein einziges geöffnet. Und der Weg dorthin ist nicht von den anderen Stadionbesuchern abgegrenzt, so dass wir uns plötzlich inmitten eines riesigen Pulks wiederfinden.

Erst hinter der zweiten Schleuse entspannt sich die Situation. | Quelle: imago images/Matthias Koch

Seenot im Menschenmeer

Da nicht ersichtlich ist, welches der breiten Eingangstore geöffnet ist, machen wir uns intuitiv auf den Weg zum ganz rechts gelegenen Tor, denn dort stehen noch vergleichsweise wenige Menschen. Dann die kalte Dusche: Dort angekommen erklärt uns einer der viel zu wenigen Sicherheitskräfte an diesen Eingängen, dass lediglich das ganz linke Tor für Rollstuhlfahrer geöffnet ist. Heißt für uns: drei Warteschlangen durchqueren, sich durch hunderte Menschen kämpfen, mit meinem elektrischen Rollstuhl über unzählige Füße fahren, Schweiß, Biergeruch, ungeduldige und genervte Mienen inklusive. Bei meinem Freund und Begleiter Alexander muss ich mich an dieser Stelle bedanken. Denn ohne seine Nervenstärke und seinem Freikämpfen der Route wäre ich in diesem Menschenmeer schlicht untergegangen.

Positiv festzuhalten bleibt, dass fast alle wartenden Fans sehr verständnisvoll waren und mir dabei helfen wollten, durch die Menschenmasse hindurchzukommen. Doch die Fehlorganisation dieses so zentralen Punkts kann das leider nicht wettmachen. Bei Heimspielen der Berliner Hertha gibt es diese Probleme übrigens nicht. Hier wird dafür gesorgt, dass Rollstuhlfahrer getrennt und unbedrängt von Fußgängern das Stadiongelände betreten können. Möglich machen das Zäune, die den Weg absperren und damit frei machen.

Darauf angesprochene "Accessibility-Volunteers" zucken ratlos mit den Schultern. Sie sehen das Problem. Doch ob sie was daran ändern können, wissen sie nicht. Wäre aber wichtig, denn es stehen noch fünf weitere EM-Spiele im Olympiastadion an.

Blick auf die Ostkurve: die Rolli-Plätze liegen zwischen Ober- und Unterrang - gute Sicht garantiert. | Quelle: imago images/Gonzalez Photo

Unter dem Strich dann doch ein Happy End

Letztlich landen wir noch gerade so pünktlich zu den Hymnen auf unseren Plätzen in der Ostkurve. Auf dem Weg dorthin erklärt uns ein Volunteer, wie wir hinfinden. Ein guter Service. Die Plätze selbst sind dort, wo sie auch bei Hertha-Heimspielen sind: im Zwischenrang in der Ostkurve. Wir sitzen inmitten der kroatischen Fangemeinde und genießen die hoch-emotionale Stimmung.

Letztlich haben wir vom U-Bahnhof zu unseren Plätzen 55 Minuten gebraucht. Es empfiehlt sich also tatsächlich für Menschen mit Behinderung, nicht erst eine Stunde vor Anpfiff, sondern lieber mindestens zwei Stunden davor am Stadion zu sein. Uns war das zeitlich leider nicht möglich.

Der Rest des Fußballabends im Olympiastadion verläuft dann aus kroatischer Sicht ziemlich schlecht – aus Sicht eines Rollstuhlfahrers aber recht gut. Großer Pluspunkt: Die Zahl der WCs für Menschen mit Behinderung wurde für die EM deutlich erhöht. Es gab keine Warteschlangen. Und die Toiletten waren immer, wenn ich sie aufsuchte, in einem hygienisch guten Zustand.

Das Verlassen des Stadions verlief dann auch ohne Probleme, wir ließen uns damit Zeit und "genossen" ein Stadionbier für 7 Euro. Am Ausgang warteten keine neuen Stolperfallen, sondern äußerst sympathische spanische Fans, die sich genauso wie ich über diesen letztlich doch sehr gelungenen Fußballabend freuten. Über das Horrorszenario am Zugang wird allerdings noch zu sprechen sein. Eine Beschwerde-Mail an die Uefa ist schon unterwegs.

Beitrag von Frank Preiss

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