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Sportökonom über Hertha BSC

"Eine Top-Marke des deutschen Sports wurde deutlich heruntergewirtschaftet"

Hertha BSC hat die Lizenz für 2024/25 erhalten. Doch Investor 777 Partners scheint seine Anteile verkaufen zu wollen - obwohl eine Zahlung in Millionenhöhe noch aussteht. Im Interview ordnet Sportökonom Christoph Breuer die wirtschaftliche Situation ein.

rbb|24: Herr Breuer, vor wenigen Wochen wurden im Magazin "Josimar" Berichte publiziert, die nahelegen, dass 777 Partners zahlungsunfähig ist. Das US-amerikanische Investment-Unternehmen hält 78,8 Prozent der Anteile an der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA und könnte vor der Drohkulisse einer Insolvenz versuchen, diese zu verkaufen. Was sind die Hertha-Anteile überhaupt noch wert?

Christoph Breuer: Wenn man klassische Grundlagen der Unternehmenswertberechnung anlegen würde, wären sie recht wenig wert. Man versucht dazu, die zukünftigen Einnahme-Überschüsse abzuschätzen. Hertha hat es über die letzten Jahre aber wiederholt nicht geschafft, überhaupt einen Jahresgewinn zu erzielen. Darüber hinaus ist der Verein deutlich verschuldet. Der Schuldenstand überragt den Wert des Eigenkapitals und ein Teil der Schulden ist kurzfristig zu bedienen. Von daher ist nicht davon auszugehen, dass ein neuer Käufer dazu bereit wäre, eine signifikante Summe für diese Anteile auszugeben. Andere Aspekte könnten aber auch bedeutsam sein.

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Und welche wären das?

Man kann den Wert natürlich auch anders berechnen und fragen: Was würde der Aufbau eines Klubs, so wie er jetzt dasteht, kosten? Dann hätte man schon einen Wert. Der Käufer würde sich dann weniger an zukünftigen Gewinnen orientieren, hätte weniger eine finanzielle Motivation. Sondern es geht mehr darum, dass der Klub einen emotionalen Wert darstellt, zur gesellschaftlichen Anerkennung des Investors beiträgt oder man einfach den Klub als eine spannende Werbeplattform für sich sichert.

Es gibt aber wenige Anhaltspunkte dafür, zu welchem Preis diese Anteile nun transferiert würden. Das hängt eben davon ab, was sie dem neuen Käufer wert wären. Eine Private-Equity-Gesellschaft könnte sich am zukünftigen Gewinn orientieren – bräuchte da aber auch Fantasie, wie das zu realisieren wäre. Wer diesen Verein im Moment übernimmt, übernimmt Verbindlichkeiten – und eine begrenzte Aussicht darauf, wie man zukünftig profitabel wirtschaften und eine attraktive Rendite erzielen kann.

Wie läuft ein solcher Anteilsverkauf ab?

Das hängt zunächst einmal von den vertraglichen Rahmenbedingungen ab, die mir nicht bekannt sind. Es wird aber nicht so sein, dass 777 die Anteile auf eBay inserieren würde. Die erste Frage ist, wie ein Weiterverkauf der Anteile geregelt ist. Hat Hertha BSC ein Vorkaufsrecht? Gibt es eine Möglichkeit, die Hertha BSC dazu befähigt, die Anteile selbst zurückzukaufen oder Einfluss auf die Auswahl des zukünftigen Investors zu nehmen? Das wäre sicherlich das beste Szenario für Hertha BSC. Das wäre der Moment, eine konforme Lösung zu finden, die auch für die aktive Fanszene tragbar ist. In England gibt es beispielsweise "Supporters' Trusts" – Fan-Bündnisse, die sich als Investoren engagieren.

Im Falle eines Anteilsverkaufs wäre es für Hertha BSC aber relativ egal, ob 777 seine Anteile teuer oder günstig verkauft. Das ändert erstmal nichts an der Finanzlage für Hertha.

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat Hertha BSC die Lizenz für die Saison 2024/25 erteilt. Von den vertraglich vereinbarten 100 Millionen Euro, die 777 Partners in den Verein investieren wollte, steht jedoch noch eine Zahlung in Höhe von 25 Millionen Euro aus. Wie groß ist die Gefahr, dass Hertha diese Finanzierungslücke nicht wird schließen können?

Das ist kurzfristig das größere finanzielle Risiko. Bilanziell spielt es keine Rolle, ob 777 Partners oder ein anderer Investor hinter den Anteilen steht. Ein Weiterverkauf der Anteile wäre für Hertha BSC erstmal geschäftsneutral. Dadurch hätte der Verein nicht mehr oder weniger Geld in der Kasse. Aber: Die Finanzspritzen, die Teil des Gesamtpakets von 777 waren, spielen für den Finanz- und Sanierungsplan sicherlich eine zentrale Rolle. Und da sehe ich kurz- und mittelfristig die größere Gefahr für Hertha BSC. Denn ein neuer Anteilseigner müsste ja auch bereit sein, diese Zahlung zu übernehmen, damit der Gesundungsplan überhaupt Bestand haben kann.

Herthas ehemaliger Präsident Kay Bernstein (li.) mit Josh Wander von 777 Partners (mi.) und Hertha-Geschäftsführer Thomas E. Herrich. | Quelle: IMAGO / Nordphoto

Welche Szenarien sind nach aktuellem Stand denkbar?

Szenario 1: Hertha BSC hat ein Vorkaufsrecht. Bei Herthas derzeitiger Finanzkraft halte ich es allerdings für unwahrscheinlich, dass die Anteile zurückgekauft werden könnten.

Szenario 2: Hertha hat Einfluss auf den Weiterverkauf der Anteile und kann vereinsnahe oder regionale Investoren-Bündnisse für sich gewinnen. Oder man folgt dem englischen Modell eines "Supporters' Trust", was ich auch spannend finde und was hier eine sehr gute Lösung ist. Die Frage ist nur, ob hinreichend Mittel zusammenkommen könnten, denen 777 Partners, deren Gläubiger oder Insolvenzverwalter zustimmen würden.

Wenn auch das nicht eintreten sollte, gäbe es noch ein drittes Szenario: Ein anderer Investor - zum Beispiel aus dem Private-Equity-Bereich, aus einer anderen Branche oder einem anderen Land – versucht, die Anteile zu übernehmen. Dann wäre Hertha in der gleichen Problemlage wie schon mit der Tennor Holding um Lars Windhorst oder wie aktuell mit 777 Partners. Das wäre eine Fortsetzung unter einem anderen Namen.

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Im Sommer 2019 ist Investor Lars Windhorst bei Hertha BSC eingestiegen. Das Gesamtvolumen belief sich auf 374 Millionen Euro. Seitdem hatte der Verein neun verschiedene Cheftrainer, Jürgen Klinsmann hat zwischenzeitlich von Champions League und Titeln fabuliert. Die "Alte Dame" ist in die Zweitklassigkeit abgerutscht und hat einen neuen Investor, der nun kurz vor der Insolvenz steht. Wie würden Sie das, was in den vergangenen fünf Jahren in Berlin passiert ist, zusammenfassen?

Ökonomisch kann man sagen: Es hat eine enorme Kapitalvernichtung stattgefunden. Eine Top-Marke des deutschen Sports wurde deutlich heruntergewirtschaftet. In finanzieller Hinsicht ist die Situation so vertrackt, dass nur noch wirklich ernsthafte Bemühungen, den Klub zu sanieren, tragfähig sind. Überall schrillen Alarmglocken, das Risiko für die Lizenzierung ist groß. Aber vielleicht liegt in der Bedrohungslage die einzig wirkliche Chance: Einen Traditionsverein, bei dem immer viele mitsprechen wollen, grundlegend zu sanieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anton Fahl, rbb Sport.

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