Im Lagezentrum zur Euro 2024
30 Menschen überwachen im "Situation Room" zur Euro 2024 die Sicherheitslage in Berlin. In ruhigen Momenten wirkt das Lagezentrum etwas überdimensioniert. Im Ernstfall soll es den Einsatzkräften aber kostbare Zeit sparen. Von Roberto Jurkschat
Zwei Stunden vor Anpfiff des EM-Gruppenspiels Polen gegen Österreich senden die Überwachungskameras der Fanzonen verregnete Berlinpanoramen in den "Situation Room" der Host City Berlin. Das Olympiastadion liegt in nassem Grau, ringsherum rotweiße Punkte, in den Farben der Mannschaften, die am Freitagabend um 18 Uhr aufeinandertreffen.
Im Lagezentrum, das die Senatsinnenverwaltung zur Euro 2024 in der dritten Etage des "Großen Stern" auf dem ICC Messegelände in Charlottenburg eingerichtet hat, behalten während der Berliner EM-Spiele 30 Menschen die Sicherheit der Stadt im Blick. Polizei, Feuerwehr, die Berliner Stadtreinigung, die Deutsche Bahn, BVG und Bundeswehr haben neben den Senatsverwaltungen für Verkehr und Inneres Mitarbeitende in das Lagezentrum geschickt.
Größere Probleme hatte es zuvor bei dem EM-Spiel Spanien gegen Kroatien nicht gegeben - und waren im Vofeld auch nicht erwartet worden, wie Polizeisprecherin Beate Ostertag erklärt. Auch die Partie zwischen Polen und Österreich war nicht als Risikospiel bewertet worden. Vor und während der EM haben sogenannte szenekundige Beamte im In- und Ausland Hooligans und Ultras im Auge behalten und dabei unter anderem Gefährderansprachen mit Personen durchgeführt, die bei der Polizei als Sportgewalttäter bekannt sind.
"Wir prüfen vor solchen Spielen, ob polizeibekannte Gruppen und Personen planen nach Berlin zu kommen", sagt Ostertag. Einige haben auch ein Stadionverbot. Beamte der Polizei träfen sich bei solchen Gefährderansprachen direkt mit bekannten Hooligans - zur Prävention und um Informationen zu sammeln. "Einzelnen, von denen man weiß, dass sie für Ärger gut sind, wurde von den Beamten gesagt, dass die Polizei sie während der EM im Blick hat, falls sie vorhaben, nach Berlin zu kommen und Auseinandersetzungen suchen." Verbindlich sind solche Ansagen der Polizei nicht - ob die Menschen nach Berlin kommen, ist weiterhin ihre Sache. Sollten Gefährder die Ansprachen ignorieren und dennoch Gewalt anwenden, können solche Gespröche im Vorfeld allerdings höhere Strafen nach sich ziehen.
Für die Uefa Euro 2024 haben auch andere Länder Polizisten nach Deutschland entsandt: Beamte aus Spanien und Kroatien hatten sich in den Berliner Fanzonen nach bekannten Hooligan-Gesichtern umgeschaut, polnische und österreichische Polizisten hielten am Freitag Ausschau nach einschlägigen Gruppen aus ihren Heimatländern. Alle von ihnen haben dabei eng mit der Berliner Polizei zusammengearbeitet.
Im Lagezentrum am Messegelände sind gewaltbereite Hooligans bis zum Anpfiff kein großes Thema: Auf den sieben Bildschirmen laufen in Echtzeit Diagramme zu freien Kapazitäten in den Fanzonen ein, in einer Karte tragen die Einsatzstellen wichtige Verkehrsstörungen, Einsatzmeldungen von Poilzei und Feuerwehr und die Routen der Fanmärsche ein. "Den Einsatzstellen liegen hier sehr schnell alle relevanten Informationen vor", erklärt die Sprecherin der Euro City Berlin, Gaby Papenburg. "Es geht darum, dass wir einen effektiven Austausch bieten, damit, falls was passiert, nicht alle wichtigen Informationen erst zusammengetragen werden müssen."
Polizeisprecherin Beate Ostertag bezeichnet das Lagezentrum als hilfreiches Bindeglied zwischen allen Stellen, die während der EM für die Sicherheit in Berlin verantwortlich sind: "Über dieses Zentrum können sich die Führungsstäbe und Leitstellen schnell austauschen. Dass die Verkehrsbetriebe mit am Tisch sitzen, ist praktisch, denn der Bus- und Bahnverkehr ist für die Steuerung der Fanströme und auch für die Sicherheit immer ein Thema - auch, wenn wir Fanlager bei der An- und Abreise einmal voneinander trennen müssen."
Eine wichtige Information hatte es am Freitag bereits am Vormittag gegeben. Der Deutsche Wetterdienst hatte Unwetterwarnungen für Berlin und Teile von Brandenburg veröffentlicht, die Meteorologen warnten vor Hagel, Starkregen und schweren Sturmböen. Mitarbeitende des Lagezentrums waren deshalb über Stunden praktisch in Dauerkontakt mit dem Wetterdienst - und mit den Veranstaltern der Fanzonen, den Kulturprojekten Berlin.
Dabei ist das Lagezentrum selbst ist nicht der Ort, an dem Entscheidungen über Einsätze oder die Schließung der Fanmeile am Brandenburger Tor getroffen werden. Polizei und Feuerwehr haben eigene Führungsstäbe, auch bei den Verkehrsbetrieben und der Bahn werden die Entscheidungen woanders getroffen. Aufgabe des Lagezentrums ist es laut Papenburg eher, Wissen zu bündeln und aufzubereiten. "Unser Ziel ist ein effektiver Austausch von sicherheitsrelevanten Informationen", eklärt Papenburg.
Aufgrund der Unwetterwarnung hatten die Kulturprojekte die Fanzonen am frühen Nachmittag zwischenzeitlich geräumt: Die anwesenden Fans wurden angehalten, im Hauptbahnhof Unterschlupf zu suchen. Mit Anpfiff der Partie zwischen Polen und Österreich wurden dann die Einlässe wieder geöffnet. Bis zum Spielbeginn hätten laut Veranstalter über den gesamten Freitag hinweg rund 27.000 Menschen die Fanzonen am Brandenburger Tor und Reichstag besucht.
Der "Situation Room" sieht auf den ersten Blick aus wie eine Kommandozentrale in einem Hollywoodfilm. Weil an diesem Freitag aber außer einer verpufften Gewitterwarnung nicht viel passiert, wirkt der ganze Apparat fast etwas überdimensioniert. Als die Kulturprojekte Berlin die Fanzones wieder öffnen, tummeln sich einige Mitarbeitende im Nebenraum um einen runden Buffettisch mit Laugenbretzeln und Mini-Croissants. Bis zum Freitagnachmittag gab es für das Lagezentrum einfach keine wirkliche "Lage" - was an sich eine gute Nachricht ist.
Schon das EM-Spiel Kroatien gegen Spanien blieb weitgehend friedlich: 46 Personen wurden zwischenzeitlich festgehalten, 25 Verfahren eingeleitet, unter anderem wegen Beleidigung, Diebstahls und Körperverletzung. Gemessen an den Dimensionen der Euro in Berlin spricht Beate Ostertag von der Polizeipressestelle dennoch von einem im Großen und Ganzen friedlichen Verlauf. "Man muss sagen, dass größere Probleme mit Fangruppen bisher ausgeblieben sind, auch wenn es im Stadion während des Spiels kurzzeitig im Fanblock zu Ausschreitungen kam", so Ostertag.
Davon abgesehen hat die Mehrheit der Fans die Spiele in Feieratmosphäre genossen, Public-Viewing-Veranstaltungen in der ganzen Stadt waren gut besucht und verliefen ohne größere Zwischenfälle. Probleme im Nahverkehr, größere Ausschreitungen in den Fanzones und andere Besonderheiten, die für das Lagezentrum relevant wären, hat es bisher relativ wenige gegeben. Am Freitagabend sollte sich das ändern.
Kurz nachdem der 3:1-Sieg der Österreicher gegen Polen im Berliner Olympiastadion abgepfiffen wurde, stürzte ein polnischer Fan vom Unterrang rund drei Meter tief in den Graben, Rettungskräfte mussten ihn in ein Krankenhaus bringen. Kurz davor hatten die Reporter vom Fernsehen und rbb|24 das Lagezentrum verlassen. Wie die Polizei später meldete, kam es am Freitagbend nach dem Schlusspfiff auch noch zu Ausschreitungen am Brandenburger Tor: An der Einlass-Kontrollstelle waren überwiegend polnische Anhänger und Ordner aneinandergeraten.
Beamte griffen ein, wurden laut Polizei von Fans angegriffen und mit Flaschen sowie Steinen beworfen - sie hätten daraufhin körperliche Gewalt und Pfefferspray eingesetzt. Zehn Tatverdächtige wurden nach Polizeiangaben festgenommen. Einer davon wurde wegen des Verdachts auf ein Schädel-Hirn-Trauma in ein Krankenhaus gebracht. Zudem hätten sich acht Einsatzkräfte bei den Auseinandersetzungen verletzt, eine Dienstkraft erlitt einen Bruch am Unterarm.
Über den gesamten Spieltag kam es nach Polizeiangaben zu 114 Festnahmen, unter anderem wegen des Verdachts der Körperverletzung, des Haus- sowie Landfriedensbruchs sowie des tätlichen Angriffs auf Beamte. Insgesamt waren am Freitag rund 2.600 Kräfte im Einsatz.
Sendung: rbb24 Abendschau, 21.06.2024, 19:40 Uhr
Beitrag von Roberto Jurkschat
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