Fußball-EM
Der "Wolfsgruß" des türkischen Nationalspielers Demiral nach dem EM-Achtelfinale gegen Österreich hat hitzige Debatten ausgelöst. Nun will Präsident Erdogan am Samstag zum Viertelfinale gegen die Niederlande nach Berlin kommen.
Nach der scharfen Kritik am Torjubel des türkischen Nationalspielers Merih Demiral will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Samstag kurzfristig nach Berlin reisen, um sich das Viertelfinalspiel Türkei gegen die Niederlande im Stadion anzuschauen.
Erdogan sagte dafür seine geplante Reise nach Aserbaidschan ab, wie die Deutsche Presse-Agentur aus informierten Kreisen erfuhr. Erdogan wolle der türkischen Mannschaft den Rücken stärken.
Innerhalb von Sekunden war Demiral vom gefeierten Helden zur streitbaren Figur geworden. Der Innenverteidiger war beim überraschenden 2:1-Erfolg im EM-Achtelfinale gegen Österreich durch seine beiden Tore die zentrale Figur. Nach Abpfiff wurde der 26-Jährige zum Spieler des Spiels gekürt. Demiral jubelte, wirkte euphorisiert - und zeigte in Richtung der mitgereisten türkischen Fans im Stadion mit beiden Händen den "Wolfsgruß".
Es ist das Symbol der "Grauen Wölfe". Als "Graue Wölfe" werden die Anhänger der rechtsextremistischen "Ülkücü-Bewegung" bezeichnet, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In der Türkei ist die ultranationalistische MHP ihre politische Vertretung und Bündnispartnerin der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Der Gruß drückt in der Regel die Zugehörigkeit und das Sympathisieren mit der Bewegung und ihrer Ideologie aus.
"Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun", sagte Demiral: "Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste." Er hoffe, dass es "noch mehr Gelegenheiten gibt, diese Geste zu zeigen". Doch hitzige Debatten und Reaktionen aus der Politik waren da bereits im vollen Lauf.
Die Ableger der "Grauen Wölfe" in Deutschland werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Der stuft die Gruppierung als eine "erhebliche Bedrohung für die freiheitlich demokratische Grundordnung" ein. Der Ideologie der "Ülkücü"-Bewegung wird im Verfassungsschutzbericht 2023 ein "übersteigerter Nationalismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" wie Rassismus und Antisemitismus attestiert. Mit mehr als 12.000 Anhängern ist sie eine der größten rechtsextremen Gruppen in Deutschland.
Ein großer Teil davon sei in Vereinen organisiert, die wiederum unter dem Dach größerer Verbände in Deutschland zusammengeschlossen sind. Als mitgliederstärkster Verband gilt die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland (ADÜTDF) mit rund 7.000 Mitgliedern in über 200 Ortsvereinen. Auch die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V (ATIB) und die Föderation der Weltordnung in Europa (ANF) sind mit je rund 2.500 und 1.000 Mitgliedern vertreten.
Nach dem umstrittenen Wolfsgruß-Jubel Demirals hat die Europäische Fußball-Union (Uefa) eine Untersuchung eingeleitet. Der Verband begründete dies mit dem "mutmaßlich unangemessenen Verhalten" des 26-Jährigen. Weitere Informationen wird die Uefa "zu gegebener Zeit" veröffentlichen. Sollte Demiral bestraft werden, könnten ihm Folgen für das anstehende Viertelfinale drohen.
Dazu übte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Mittwoch scharfe Kritik. "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen", schrieb die SPD-Politikerin bei X. Die EM "als Plattform für Rassismus" zu nutzen, sei "völlig inakzeptabel". Die Sicherheitsbehörden hätten "türkische Rechtsextremisten in Deutschland fest im Blick".
Bundesagrarminister Cem Özdemir fordert Konsequenzen. "Seine Botschaft ist rechtsextrem, steht für Terror, Faschismus", schrieb der Grünen-Politiker auf der Plattform X mit Blick auf den Gruß. Die Europäische Fußball-Union UEFA müsse Konsequenzen ziehen.
Özdemir fügte hinzu: "Ich frage mich, warum das Zeigen des Symbols des Grauen Wolfes nicht auch bei uns längst verboten ist. Diese rechtsextreme Geste steht für widerlichen Antisemitismus und die Vertreibung der letzten Christen aus dem Siedlungsgebiet der Urchristen." Österreich habe den Gruß zurecht unter Strafe gestellt, das müsse auch in Deutschland gelten, bekräftigte der Grünen-Politiker.
Auch die Kurdische Gemeinde in Deutschland fordert ein Verbot der Geste. "Fans übernehmen solche Zeichen, unter türkischen Jugendlichen auch in Deutschland gilt es als cool, rechtsextrem zu sein", erklärte der Bundesvorsitzende Ali Toprak. "Man stelle sich vor, ein österreichischer Spieler hätte nach einem Torschuss einen Hitlergruß gezeigt."
Aus seinem Heimatland erhielt Demiral hingegen Rückendeckung. Der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, nannte die Einleitung des Verfahrens durch die UEFA eine "Provokation". Bahceli bezeichnete die Ermittlungen als "äußerst voreingenommen und falsch".
Das türkische Außenministerium hat mit deutlichen Worten auf die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser geübte Kritik bezüglich des Wolfsgruß-Jubels von Demiral geantwortet. "Die Reaktionen der deutschen Behörden auf Herrn Demiral sind selbst fremdenfeindlich", teilte das Außenministerium am Mittwoch mit. Der deutsche Inlandsgeheimdienst habe in seinem Bericht betont, dass "nicht jeder, der das graue Wolfszeichen macht, als Rechtsextremer bezeichnet werden kann".
Man verurteile "die politisch motivierten Reaktionen auf die Verwendung eines historischen und kulturellen Symbols in einer Weise, die niemanden während der Feier bei einer Sportveranstaltung anspricht", hieß es weiter. Beide Nationen bestellten in der Affäre den jeweiligen Botschafter des anderen Landes ein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.07.2024, 13:20 Uhr
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