Fußball-Europameisterschaft
Sie werden nicht bezahlt, bekommen keine Tickets und müssen im Zweifel sogar Urlaub nehmen. Ein Gespräch darüber, warum es sich trotzdem lohnt, bei der EM ein Volunteer zu sein. Und wieso Länderspiele besser sind als Vereinsfußball.
rbb|24: Burcu Kiliç, 146.000 Bewerbungen hat es gegeben, 16.000 Volunteers, also freiwillige Helfer, sind nach speziellen Interviews ausgewählt geworden, die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland zu begleiten. Sie sind eine davon. Wann und warum haben Sie entschieden: Das will ich machen?
Das reicht bis ins Jahr 2006 zurück. Ich und mein Mann, wir haben damals drei Spiele der Weltmeisterschaft in Deutschland besucht. Zwei Gruppenspiele und das sagenumwobene Viertelfinale Deutschland-Argentinien (4:2 n.E., Anm. d. Red.). Damals habe ich innerhalb Berlins und im und um das Stadion herum ständig diese Volunteers gesehen und gedacht: Wie cool ist das denn? Das musst du später auch mal machen!
Sie bekommen Verpflegung und dürfen die Klamotten behalten, die Sie während der Schichten tragen.
Die grünen Trikots, die an Brasilien erinnern. Wir wurden schon häufiger von Fans gefragt: Seit wann spielt denn Brasilien bei der EM mit?
Für den nächsten Urlaub an der Copacabana sind Sie also ausgestattet. Geld aber gibt es keines. Aus gutem Grund, sagt der Ausrichter, die Uefa. Denn damit appelliere man an die intrinsische Motivation eines jeden einzelnen. Was war ihre?
Die Begegnung mit anderen Menschen. Und das ist auch genau das, was ich während der gesamten EM erlebe. Die Menschen sind fröhlich und überwiegend freundlich. Wobei ich persönlich überhaupt keine negativen Erfahrungen gemacht. Ich habe nur ein, zwei Mal mitbekommen, dass die Polizei alkoholisierte Fans von den Fanzones entfernt hat.
Also verbindet der Fußball tatsächlich?
Man kann sich zumindest immer über ihn unterhalten. Und ich glaube, man braucht diese Art von Begegnungen. Gerade in einer Zeit, in der es so viele Krisen auf der Welt gibt. Man muss versuchen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Warum denkt er jetzt so? Was bewegt ihn? Und dann versuche ich, diese Ansichten zu verstehen. Ein Event wie die Europameisterschaft bringt Menschen auf friedliche Weise zusammen. Und das finde ich schön.
Sind Sie denn richtiger Fußball-Fan?
Das Bundesliga-Geschehen verfolge ich nicht wirklich aufmerksam. Aber dafür den internationalen Fußball. Zwischen den Anhängern der Klub-Mannschaften gibt es ja immer so kleine Fehden. Der internationale Fußball vereint die Menschen eher, als dass er sie trennt. Das finde ich klasse.
Was waren denn bisher Ihre Aufgaben als Volunteer?
Ich bin eine sogenannte Springerin in der Host City, auf den Fanzones, und werde immer dort eingesetzt, wo gerade Bedarf ist. Das bedeutet, dass ich immer erst zu Beginn meiner Schicht erfahre, was ich genau zu tun habe.
Eine Schicht dauert laut Uefa zwischen sechs und neun Stunden. Auf wie viele dieser Einsätze werden Sie am Ende des Turniers gekommen sein?
Bei mir begann es am ersten Spieltag und es endet mit dem Finaltag. Mit einer Zusatzschicht, die ich übernommen habe, komme ich dann auf 17 Einsätze.
Haben Sie dafür Urlaub nehmen müssen?
Ich habe meiner Chefin gleich am Anfang des Jahres gesagt, dass ich mich als Volunteer beworben habe und genommen wurde. Da ich aber auch flexible Arbeitszeiten habe, ist es für mich unproblematisch, denn ich habe etwas vorgearbeitet und bummle sozusagen Überstunden ab.
An manchen Tagen sind Sie trotzdem erst im Büro und dann als Volunteer unterwegs. Das hält man nur durch, wenn man zumindest seelisch entlohnt wird.
Es gab viele schöne Momente. Einer war der Besuch der Turnierdirektoren Philipp Lahm und Celia Sasic, gleich am zweiten Spieltag im Cityhub von Berlin. Sie haben sich das vor Ort angeschaut, waren wirklich sehr nett und wertschätzend. Sie haben Fotos mit uns gemacht, sich mit uns unterhalten, uns gefragt, wie es uns geht, wie es läuft, sofort das "Du" angeboten. Das fand ich wirklich klasse.
Und bei der eigentlichen Arbeit?
Der Jubel der Fans in der Fanzone bei einem Tor — das geht durch Mark und Bein. Egal bei welcher Mannschaft. Diese Freude, wenn das eigene Team getroffen hat. Das ist einfach Wahnsinn. Wenn ich mich an das Spiel zwischen Spanien und Kroatien erinnere (3:0), bei dem ich direkt am Brandenburger Tor stand, das war so laut! Wenn es da einen Seismografen gegeben hätte, der wäre garantiert ausgeschlagen. Und dann hat man auch sofort Gänsehaut, wenn man das hört. Ich war aber auch im Stadion.
Moment. Es heißt doch, Volunteers bekämen keine Tickets zu den Spielen?
Die Verbände der Türkei und der Niederlande haben vor ihrem Viertelfinal-Spiel angefragt, ob Volunteers dabei unterstützen können, Flaggen zu verteilen. Ich habe mich gemeldet und dann stand ich im leeren Olympiastadion und schaute von der Ostseite in das Stadion hinein. Und auch das war ein wahnsinniger Gänsehautmoment. Dieses Stadion so zu sehen. Wirklich sehr beeindruckend. Ein sehr, sehr schöner Moment.
Zum Spiel mussten Sie also wieder draußen sein?
Ich glaube, nervlich hätte ich das auch gar nicht ausgehalten. Von daher war ich gar nicht ganz so unzufrieden, dass ich dann nicht mehr vor Ort war.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde geführt von Ilja Behnisch.
Sendung: rbb|24 Inforadio, 07.07.2024, 19:15 Uhr
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