Interview | Schwimmerin Angelina Köhler
Angelina Köhler gilt als neuer Hoffnungsschimmer am zuletzt trüben Himmel des deutschen Schwimmens. Im Vis à Vis mit Lars Becker spricht die 23-Jährige über den Umgang mit der Öffentlichkeit, ihre Wahl-Heimat Berlin und die anstehende Olympiapremiere.
rbb: Frau Köhler, wie ist Ihre Erinnerung an den Abend des 12. Februars 2024 in Doha?
Angelina Köhler: Das ist immer noch eine tolle Erinnerung. Ich freue mich jedes Mal wieder, die Bilder anzugucken. Es ist toll, die Medaille im Schrank zu haben und Weltmeisterin zu sein.
Sie holten den Titel über 100 Meter Schmetterling und sind damit die erste deutsche Weltmeisterin seit 2009. Sie haben sowohl im Vorlauf als auch im Halbfinale und Finale das Rennen bestimmt. Woher kamen dieses Selbstbewusstsein und die Sicherheit?
Mir war bereits vorher klar, dass ich schnell sein werde, weil wir eine Woche vorher einen Testwettkampf gemacht haben, bei dem es richtig gut lief. Ich bin keine, die pokert oder mal ein bisschen Tempo rausnehmen kann. Wenn ich schwimme, dann gebe ich hundert Prozent. Damals wollte ich unbedingt diese Olympia-Qualifikation und unter die ersten Vier kommen. Doch an diesen zwei Tagen hat einfach alles gestimmt - und das am richtigen Ort und zur richtigen Zeit.
Sie haben an diesem Abend die ganze Halle gerührt, als Sie in Tränen aufgelöst und doch vor Freude strahlend das Siegerinterview gaben. Berührt Sie dieser Moment immer noch, wenn Sie daran denken?
Auf jeden Fall. Es war der größte Moment meiner bisherigen Karriere und es ist immer wieder schön, diese Bilder zu sehen. Ich hatte leider nicht wirklich Zeit, mich richtig damit auseinanderzusetzen, denn es ging ja Schlag auf Schlag weiter. Das große Ziel Olympia steht vor der Tür, man musste also zusehen, dass man es schnell verarbeitet und wieder in den Trainingsalltag kommt, um sich perfekt vorzubereiten.
Sie sind sehr offen in all dem, was Sie erzählen. So berichteten Sie zum Beispiel von Ihrer Verpeiltheit und dass es manchmal nicht ganz einfach mit Ihnen ist. Oder auch von unangenehmen Erfahrungen und Mobbing aus Ihrer Schulzeit. War Ihnen wichtig, das öffentlich zu machen?
Ja, sehr. Es war mir ganz wichtig, den Leuten da draußen zu zeigen, dass man nicht perfekt sein muss, es auch Hindernisse gibt und egal, was den Menschen passiert, man trotzdem Leistung bringen kann. Vielleicht haben die Sachen, die mir passiert sind, sogar zu der Leistung beigetragen. Dadurch bin ich der Mensch geworden, der ich jetzt bin.
Vor allem den jungen Menschen will ich mitgeben, dass sie am Ball bleiben und an sich selbst glauben sollen. Auch, wenn es mal nicht so gut läuft. Daraus kann sehr viel entstehen. Ich hatte so ein Vorbild nie. Für mich waren das immer Weltstars - und genau das möchte ich nicht sein. Ich möchte der Mensch von nebenan sein, der auf dem Boden bleibt und den man immer ansprechen kann.
Wie schwierig fällt es Ihnen bei der gestiegenen Prominenz und dem Medieninteresse, das gerade auf Sie einprasselt, Sie selbst zu bleiben?
Das fällt mir relativ einfach. Ich bleibe locker drauf, verpeilt und vergesse viele Dinge genauso wie vorher. Nur weil jetzt so ein großes Interesse da ist, heißt das nicht, dass ich mich verändern werde.
Schauen wir mal auf Ihre Anfänge: Sie kommen aus dem Westerwald und sind dann relativ früh nach Hannover gegangen. Warum kam dieser Schritt?
Ich bin im Alter von zwölf Jahren nach Hannover gegangen, weil ich es unbedingt wollte. Es gibt ein Bild von mir, als ich acht oder neun war, da habe ich mich gemalt, wie ich mit der Olympiaflagge in die Schwimmhalle einziehe. Das war schon immer mein Traum und wenn ich von etwas überzeugt bin, dann will ich es zu hundert Prozent. Ich habe also alles dafür gegeben. Es war sehr hart und schwierig und ich bin schon als Kind nur alle sechs bis acht Wochen nach Hause gefahren. Aber es war auch eine schöne Zeit.
Sie haben sich nach dem WM-Titel explizit bei Ihrer Familie bedankt. Wie hat diese Sie unterstützt?
Meine Eltern haben mir alles ermöglich. Auch aus finanzieller Sicht ist es natürlich nicht ganz einfach, sein Kind aufs Internat zu schicken. Und auch die Trainingslager sind nicht günstig. Sie haben mich aber immer unterstützt und das ist glaube ich nicht selbstverständlich. Ohne meine Eltern würde ich niemals dort stehen, wo ich heute bin.
Bereits vor drei Jahren standen Sie kurz vor einer Teilnahme an den Olympischen Spielen, doch dann kam vielleicht der schlimmste mentale und sportliche Einschnitt Ihrer bisherigen Karriere. Wegen einer Coronainfektion konnten sie in Tokio nicht an den Wettkämpfen teilnehmen. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Das war der größte Niederschlag meiner Sportkarriere. Aber ich sage auch immer, dass es auch das Beste war. Ohne dieses Erlebnis hätte ich niemals meine Karten neugemischt und festgestellt, wer die Person ohne Schwimmen und ohne Erfolg ist. Das habe ich damals herausgefunden und gemerkt, dass ich etwas Neues ausprobieren und aus Hannover wegwill. Stattdessen wollte ich in die Stadt, die mich schon mein Leben lang gereizt hat: Berlin. Ich kannte die Trainingsgruppe bereits vorher und es hat auf Anhieb gematcht.
Wäre es übertrieben zu sagen, dass Sie in Berlin Ihr Glück gefunden haben?
Nein. Auf jeden Fall ist das so. Ich habe hier meine besten Freunde gefunden und ich habe das Gefühl, angekommen zu sein.
Einer von diesen Freunden ist Ole Braunschweig, Ihr Trainingspartner und Best-Buddy. Und auch mit Trainer Lasse Frank verstehen Sie sich blendend. Was bedeutet Ihnen diese Trainingsgruppe?
Sehr viel. Wir sind nicht nur eine Trainingsgruppe, sondern wirklich eine Familie. Mit Ole mache ich auch viel außerhalb des Beckens. Das ist ein ganz anderes Zusammensein, als ich es jemals zuvor erlebt habe. Man kann immer der Mensch sein, der man ist, ohne sich zu verstellen. Auch Lasse nimmt immer viel Rücksicht auf mich, obwohl ich ihm bestimmt schon einige graue Haare beschert habe.
Die WM liegt noch gar nicht lange zurück und schon geht es bald mit den Olympischen Spielen los. Wie ist die Vorbereitung in den letzten Monaten verlaufen?
Wir fliegen immer ins Höhentrainingslager und da lief alles super. Ich war ein oder zwei Tage ein bisschen krank, aber das ist normal. Sonst lief alles wie geplant und ich freue mich, dass es bald losgeht.
Hat die Goldmedaille aus Doha für ein bisschen Freiheit gesorgt oder den Druck für die Olympischen Spiele sogar erhöht?
Es ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite Freiheit, weil ich nun schon einen riesigen Erfolg in meiner Karriere erreicht habe, den mir niemand mehr nehmen kann. Auf der anderen Seite habe ich jetzt Druck, weil ich als Weltmeisterin anreise. Das Gute ist allerdings, dass es vor ein paar Wochen noch die US-Trails gab, wo Gretchen Walsh Weltrekord geschwommen ist. Das hat mir ein bisschen den Druck genommen, schließlich war sie eine Sekunde unter meiner Bestzeit. Klar werde ich aber mein Bestes geben und ich bin auch gespannt, was bei den Olympischen Spielen möglich sein wird. Schließlich sind nochmal drei Monate Training draufgekommen.
Haben Sie ein bestimmtes Ziel, was die Zeit oder die Platzierung angeht?
Natürlich träume ich davon, in den Klub der Mädels unter 56 Sekunden zu kommen. Davon bin ich nicht mehr so weit entfernt, aber da muss wirklich alles passen. Außerdem wäre es gigantisch, das Finale zu erreichen. Und wenn ich da erstmal bin, dann ist auch die Medaille zum Greifen nah. Es gilt, entspannt und locker zu bleiben und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, dann kann alles passieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Lars Becker, rbb Sport. Es wurde für die Online-Fassung redigiert und gekürzt. Das vollständige Vis à Vis mit Schwimmerin Angelina Köhler hören Sie hier.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.07.2024, 10:45 Uhr
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