Investor in der Krise
Investor 777 steckt in der Krise - und so stehen die Anteile von Hertha BSC wohl einmal mehr zum Verkauf. Fans des Vereins wollen aus dem Hamsterrad ausbrechen und bieten dem Verein finanzielle Hilfe an. Gibt es Vorbilder für solch ein Szenario? Von Marc Schwitzky
Fabian Drescher stellte klar: "Wenn es dazu kommt, dass es Möglichkeiten gibt, wieder an Anteile ranzukommen, dann ist es doch unsere verdammte Aufgabe, intern zu prüfen, wie Hertha BSC wieder in den Mehrheitsbesitz oder im Idealfall in den hundertprozentigen Besitz der Anteile kommen kann." Der Interimspräsident von Hertha BSC antwortete damit auf der letzten Mitgliederversammlung im Mai auf eine sorgenvolle Frage eines Fans, wie es denn mit den Anteilen von Investor 777 Partners weitergehen könnte.
Das US-Unternehmen hat sich finanziell verhoben und soll seinen Gläubigern angeblich bis zu fünf Milliarden Euro schulden. So will die New Yorker Versicherungsgesellschaft Advantage Capital Holdings LLC (A-CAP), die Hauptgläubiger von 777 ist und ein Pfandrecht an allen 777-Vermögenswerten geltend macht, laut mehreren Medienberichten die Hertha-Anteile verkaufen. Zwar teilte Hertha dem "kicker" vor knapp vier Wochen mit, dass es keine konkreten Informationen hinsichtlich eines Verkaufs gäbe. Doch es ist definitiv Bewegung in der Thematik. Die Zusammenarbeit mit 777 steht vor dem Aus - und Hertha vor der Frage, wie es mit den Anteilen weitergehen soll.
"Wenn der Investor veräußern möchte, haben wir ein Vorkaufsrecht und ein Vetorecht", versicherte Drescher. Nach Aussage von Geschäftsführer Tom Herrich haben die Berliner einen Stab eingerichtet, der sich mit dem Thema befasst. Wie der "kicker" berichtet, werden die Hertha-Anteile von 777 (78,8 Prozent der KGaA) auf dem Markt für deutlich unter 100 Millionen gehandelt, manch Quelle berichtet sogar von weniger als 70 Millionen Euro. Es ist ein Bruchteil davon, was die Anteile vor einigen Jahren noch wert waren – und dennoch für den klammen Klub, der im November 2025 eine Anleihe von 40 Millionen Euro bedienen muss, alleine nicht zu stemmen.
Doch gibt es womöglich Alternativen? Die Stimmen der Hertha-Fans werden immer lauter, ihren Verein finanziell dabei unterstützen zu wollen, wieder "Herr im eigenen Haus" zu werden. Auf Social Media entstehen immer mehr Diskussionen zu dem Thema und erste Umfragen von Fans für Fans, wie viel Geld sie bereitstellen würden. Sie wollen raus aus dem Hamsterrad der jahrzehntelangen finanziellen Abhängigkeit von anderen.
Doch wie könnte so etwas aussehen? Da wäre eine für den Fußball noch komplett neue Idee: eine Genossenschaft. In Deutschland gibt es rund 7.500 Genossenschaften in unterschiedlichen Bereichen, die alle ein Ziel eint: Es geht nicht um den maximalen Profit, sondern darum, gleichberechtigt, basisdemokratisch und nachhaltig an einem Vorhaben - in dem Fall Erfolg für Hertha BSC - zu arbeiten. Das Entscheidende, was Genossenschaften von beispielsweise KGaAs unterscheidet: Unabhängig von der Zahl der Anteile und der Höhe der Investition hat jedes Mitglied bei Entscheidungen jeweils nur eine Stimme. Das verleiht Stabilität: Die Insolvenzrate von Genossenschaften beträgt gerade einmal 0,1 Prozent.
Genossenschaften stellen womöglich eine Utopie im kapitalistisch getriebenen, nahezu gehetzten Profi-Fußball dar. Doch der FC St. Pauli will diese Utopie vermutlich noch in diesem Jahr erreichbar machen. Bereits 2018 präsentierte der Kiezklub seine Vision einer Genossenschaft. "Wir haben den Mut, aus uns heraus eine eigene Finanzierung auf die Beine zu stellen", sagte Vereinspräsident Oke Göttlich damals. Ihm gehe es darum, "unabhängig und mitbestimmend eine alternative Finanzierung für den FC St. Pauli zu ermöglichen."
St. Pauli benötigt Geld: Zum einen für den Ausbau des Nachwuchsleistungszentrum, zum anderen für das Schließen in den letzten Jahren entstandener finanzieller Lücken. Der Verein hatte vor einiger Zeit eine Umfrage unter den Fans durchgeführt. Die Ergebnisse: Die allermeisten Fans wären bereit, zwischen niedrigen dreistelligen und mittleren vierstelligen Beträgen für den Zweck zur Verfügung zu stellen.
Im Falle von Hertha hieße das: Aktuell 54.000 Vereinsmitglieder hätten die Möglichkeit, sich zu beteiligen. Bei einem möglichen Preis von 70 Millionen Euro für die KGaA-Anteile wären das pro Mitglied rund 1.300 Euro - und das nur, wenn Hertha selbst keinen Cent dazugeben würde. Sicherlich wäre das kein Selbstläufer, aber utopisch?
Die Genossenschaft würde den Fans eine nie dagewesene Form von Beteiligung an ihrem Verein ermöglichen. Und dem Verein eine neue Stabilität verleihen, da Genossenschaftsmitglieder deutlich weniger wankelmütig agieren als externe Investoren und der Klub nicht nur von einem Partner abhängig wäre. Zudem wäre man robuster gegenüber externen Faktoren wie schwankenden TV-Geldern oder schwierigeren Sponsorensuchen.
Doch der Aufwand, solch eine Struktur aufzubauen, könnte kompliziert werden. Schließlich müsste eine völlig neue Form der Satzung entstehen und auch hier viele bürokratische Fragen beantwortet werden. Womöglich wäre es einfacher, die Form einer KGaA beizubehalten - nur mit einem klaren Profil für neue Anteilseigner. So ist die zweite Option ein lokales Investorenbündnis. Gleich mehrere Vereine sind in den letzten Jahren den Weg gegangen, Bündnisse von regionalen Unternehmen für sich zu gewinnen. Es gibt hierbei funktionierende prominente Beispiele.
Arminia Bielefeld steckte 2017 in einer tiefen Krise. Mit Schulden in Höhe von 30 Millionen Euro stand der Verein vor dem Aus. In der industriestarken Region Ostwestfalens fand sich ein Bündnis lokaler Unternehmen zusammen, das den Verein rettete. Unter anderem Dr. August Oetker, Gauselmann, Schüco oder auch Melitta waren Teil der Investorengruppe. Es gab frisches Eigenkapital für Gesellschaftsanteile und Sponsoringverträge, zudem fand das Bündnis einen Schuldenschnitt mit den Gläubigern. Die Restschulden wurden mit dem Stadionverkauf getilgt. Mehr als 90 Prozent der Mitglieder stimmten dem Anteilsverkauf zu, der unter anderem eine akute Liquiditätslücke schloss. Die Arminia war schuldenfrei und gerettet.
Auch der 1. FC Kaiserslautern und Eintracht Frankfurt sind jenen Weg gegangen - ebenfalls in wirtschaftlich kritischen Situationen. Während der FCK zudem auch mehrere Fan-Anleihen bemühte, deren Rückzahlung letztendlich in der Insolvenzmasse 2020 untergingen, hat sich Frankfurt über die Anteilsverkäufe an vereinsnahe Unternehmen wirtschaftlich stabilisiert und den nachhaltigen sportlichen Erfolg ermöglicht.
Das jüngste Beispiel aus Deutschland ist Werder Bremen. Dort haben acht Personen für 38 Millionen Euro 18 Prozent der Anteile gekauft. Das "Bremer Bündnis" besteht aus mehreren vereinsnahen Unternehmern um Ex-Werder-Manager Frank Baumann. Der Verkauf der Anteile ist an strenge Auflagen geknüpft, es besteht eine lange Haltefrist. Innerhalb des Bündnisses dürfen die Anteile hin- und herverkauft werden, doch der externe Verkauf ist stark eingeschränkt. Das Thema Erbe wurde ebenfalls mitbedacht. Das Geld soll in den Kauf junger Talente und langfristig den Umbau der Akademie genutzt werden. Fanseitig wurde der Deal gut aufgenommen, was vor allem an der Auswahl der Partner als auch an der Struktur des Deals lag.
Das Konzept der lokalen Investorenbündnisse gibt es im deutschen Fußball also gleich mehrmals - und das meist auch erfolgreich. Die Partner treten deutlich kooperativer, transparenter und weniger auf eigenen Gewinn ausgerichtet auf. Gleichzeitig zeigen die Modelle, dass selbst lokale Bündnisse kein harmonischer Selbstläufer sind.
Sowohl bei Arminia Bielefeld als auch bei Eintracht Frankfurt gab es (teils noch nicht aufgelöste) Vorfälle von versuchter Einflussnahme und Kompetenzgerangel. So hat es bei der Arminia den Versuch eines Unternehmens aus dem Bündnis gegeben, eigene Leute vermehrt in Positionen innerhalb des Vereins zu bringen. Auch eine teilweise nicht allzu transparente Vorstellung der Anteilseigner war zuletzt ein Problem in Bielefeld. In Frankfurt gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Streitigkeiten um weitere Anteilsverkäufe, Sperrminoritäten und mehr Macht.
Die Beispiele zeigen: Es darf nach Möglichkeit nicht ein einzelner Investor alleine oder zu großen Teilen investieren, um Abhängigkeiten zu minimieren. Das zeigt der Fall des VfB Stuttgart. Dort investierte die Porsche AG knapp 40 Millionen Euro. Medienberichten zufolge lieferte sich der neue Investor schon nach wenigen Wochen einen Machtkampf mit der Vereinsseite, wer in Zukunft an der Spitze des Aufsichtsrats stehen soll.
Hertha müsste sich somit auf die Suche nach lokalen und vertrauenswürdigen Wirtschaftspartnern begeben. Dass diese Suche Erfolg haben kann, zeigt sich an vielen anderen Fußballstandorten. Berlins städtische Wirtschaft war im Jahr 2020 gemessen am nominalen BIP nach Paris und Madrid und vor Rom die drittgrößte innerhalb der Europäischen Union.
Firmen wie die Gegenbauer Holding (Umsatz 2021: 840 Millionen Euro), Dussmann Group (Umsatz 2023: drei Milliarden Euro), Enpal B.V. (Umsatz 2022: 415 Millionen Euro) haben ihren Sitz in Berlin. Auch die Autohaus Gotthard König GmbH (Umsatz 2024: voraussichtlich 706 Millionen Euro), die bereits Partner von Hertha ist. Potenziale sind vorhanden, doch die Zeit rennt.
Sendung: rbb DER TAG, 15.08.2024, 18 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
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