Tabakovic verlässt Hertha BSC
Haris Tabakovic hat Hertha BSC nach nur einem Jahr wieder verlassen. Damit verlieren die Berliner den amtierenden Torschützenkönig der zweiten Liga, einen Leistungsträger und Publikumsliebling. Doch der Deal ergibt Sinn – für alle Seiten. Von Marc Schwitzky
"Wenn jemand kommt und 30 Millionen für Haris bietet, dann müssen wir reden. Ich glaube, er hat keine Absicht, von hier wegzugehen. Aber am Ende spielt auch das Geld eine Rolle", sagte Ex-Hertha-Coach Pal Dardai im Mai noch über einen Abgang von Haris Tabakovic. Nun, die geforderten 30 Millionen Euro sind es nicht geworden. Und doch hatte Dardai damit Recht, dass Geld natürlich eine Rolle spielt.
Tabakovic hat Hertha BSC verlassen. Medienberichten zufolge liegt die Ablösesumme, die die TSG Hoffenheim nach Berlin überweist, zwischen drei und fünf Millionen Euro. Und Tabakovic? Der Sturmtank wird einen finanziell vermutlich sehr lukrativen Vertrag in Sinsheim unterschreiben, den er bei Hertha wohl nie erhalten hätte können.
Jene Kennzahlen verdeutlichen, welch Qualität Hertha mit Tabakovic verliert. Der Mittelstürmer kam vor einem Jahr kurz vor Transferschluss von Austria Wien in die deutsche Hauptstadt – und schlug beinahe sofort ein. Am Ende der Saison 2023/24 hatte Tabakovic 22 Tore und sechs Vorlagen verbucht. Er wurde auf Anhieb Torschützenkönig der 2. Bundesliga – und zu einem Publikumsliebling der Hertha-Fans. Sie nannten ihn "Fluppe" – in Anlehnung an seinen Nachnamen.
Unvergessen bleibt der Moment, als Tabakovic im ersten Spiel nach dem Tod von Kay Bernstein traf und in Gedenken an den ehemaligen Präsidenten ein T-Shirt mit "Wir Herthaner. In tiefer Trauer." hochhielt. Er gehörte zusammen mit Fabian Reese und Toni Leistner zur ersten Achse seit Jahren, die Hertha ein Gesicht verlieh. Es war Liebe auf den ersten Kick.
22 Saisontore – so viele hatte bei Hertha niemand mehr seit 25 Jahren erzielt. In der Saison 1998/99 konnte Michael Preetz mit 23 Treffern auftrumpfen, danach vermochte es kein Spieler im blau-weißen Gewand, auch nur über die 20-Tore-Marke zu kommen. Auch wenn man Tabakovics Vorgängern zugestehen muss, dass sie meistens auf Erstliga-Niveau auf Torejagd gehen mussten, hat "Fluppe" mit seiner Ausbeute einen Stein im Brett der Berliner Geschichte. Auch ganz ohne Bundesliga-Rückkehr.
Gerade einmal 500.000 Euro hatte Herthas Sportdirektor Benjamin Weber vor einem Jahr für die Dienste des bosnischen Nationalstürmers ausgegeben. Ein absolutes Schnäppchen. Innerhalb eines Jahres ist Tabakovic vom Niemand zum Alptraum deutscher Zweitligaverteidiger aufgestiegen. Nicht nur durch die feine Klinge, sondern durch eine unglaubliche Physis und unbedingten Willen. Ein Strafraum-Gigant. Ihn umgab diese besondere Aura eines Mittelstürmers, der unerschütterlich trifft und trifft und trifft.
Doch jene Aura bröckelte in den letzten Wochen etwas. Im neuen Fußball unter Cristian Fiél war Tabakovic zwar weiter unangefochten gesetzt – und trotzdem fand er seinen Platz nicht wirklich. Er fremdelte mit den neuen taktischen Abläufen und somit auch Veränderungen an seinem eigenen Spiel. Konnte er unter Dardai noch meist im Strafraum verweilen und dort auf seinen Moment warten, ist der Stoßstürmer unter Fiél dazu angehalten, sich hin und wieder ins Feld fallen zu lassen, mitzuspielen und seine Mitspieler einzusetzen.
Eine Rolle, der Torjäger mit mehr Zeit womöglich hätte ausfüllen können, doch in den ersten Wochen der Saison wirkte der Fiél-Fußball wie ein paar neue Schuhe, die Tabakovic erst hätte einlaufen müssen. Es passte noch nicht so richtig. Vor allem sein doch limitiertes technisches Niveau kam immer öfter zum Vorschein. Tabakovic tat sich überaus schwer, Bälle länger als nur mit einem Kontakt zu halten und weiterzuleiten. Es entstanden zu viele Stockfehler, der Herthas Spiel lahmten.
Die Bilanz: drei Pflichtspiele, kein Tor und ein frustrierter Tabakovic, der mit sich und seinen Mitspielern sichtlich haderte. Aus der Lebensversicherung der Vorsaison war ein leichter Fremdkörper geworden. Das lag jedoch nicht nur Tabakovic selbst, das Fehlen von Flügelspieler Fabian Reese machte ihm zu schaffen. Ohne Reese fehlten "Fluppe" die so dringend benötigen Zuspiele, der in der letzten Saison mit Gewissheit verwandelte.
Trotz der Anlaufschwierigkeiten unter Fiél wollte Hertha dem Vernehmen nach mit Tabakovic in die Zukunft gehen. "Der Verein und ich führen gute und ehrliche Gespräche. Mehr will ich dazu nicht sagen", kommentierte der Angreifer aufgekommene Gerüchte um eine mögliche Vertragsverlängerung. Doch dazu sollte es nicht kommen, Tabakovic entschied sich für den Wechsel in die Bundesliga.
Es ist eine überaus verständliche Situation, die womöglich nur Gewinner hervorbringt. Tabakovic ist 30 Jahre alt, er wird nicht mehr ewig Profifußballer sein können. Bislang spielte er in der Schweiz, Ungarn, Österreich und 2. deutschen Liga – kurzum: große Verträge hat er in seiner bisherige Laufbahn nicht unterschrieben. Ein Wechsel in die 1. Bundesliga ist somit finanziell überaus attraktiv, Hoffenheim zahlt besser als es Hertha jemals könnte. Zudem erhält er spät in seiner Karriere noch die Chance, sich in einer europäischen Topliga zu beweisen. Eine Gelegenheit, die kaum abzulehnen ist.
Das Alter von Tabakovic spielt auch eine entscheidende Rolle in Herthas Betrachtungsweise des Deals. Vor einem Jahr zahlten die Berliner 500.000 Euro für einen bald 30-Jährigen, der sich auf jenem Niveau noch nicht bewiesen hatte, Torschützenkönig wurde und jene Ablösesumme womöglich verzehnfacht hat. Es ist eine sportliche und finanzielle Erfolgsgeschichte, die die "alte Dame" in dieser Form schon lange nicht mehr hatte. Seit 2020 hat der Hauptstadtverein gerade einmal sieben Spieler mit einem Transferplus verkaufen können. Auch das zeigt, weshalb der Klub in den letzten Jahren in solch eine wirtschaftliche Schieflage geriet.
Dass Hertha Tabakovic aufgrund seiner Qualität und Beliebtheit gerne gehalten hätte, es aber nicht konnte, ist das übliche Schicksal eines Zweitligisten. Dass solch ein finanzieller Gewinn dabei herauskommt, ist der Erfolg eines gut arbeitenden Vereins. Zumal nicht zu erwarten ist, dass der Bosnier mit Schweizer Wurzeln nun auch die 1. Bundesliga derartig dominieren und Hertha in absehbarer Zeit wehmütig damit hadern wird, nicht noch mehr Geld herausgeholt zu haben.
Der Tabakovic-Verkauf könnte weitreichende Folgen für Herthas Saison haben. Auch deshalb, weil die frischen Millionen dem Verein dabei helfen, dem für den Sommer anvisierten Transferplus signifikant näherzukommen. Fabian Reese oder Ibrahim Maza, weitaus wichtigere Puzzleteile im Fiél-Fußball, könnten so gehalten werden.
Auch, weil Hertha womöglich keinen Tabakovic-Ersatz verpflichten wird. Mit Luca Schuler, Florian Niederlechner und Smail Prevljak stehen gleich drei Nachfolger mit verschiedenen Eigenschaften bereit. "Sollte es so kommen, mache ich mir keine großen Sorgen. Alle anderen Stürmer haben bereits bewiesen, Tore machen zu können. Wir werden am Samstag auf jeden Fall mit einem Stürmer spielen", sagte Trainer Fiél kurz vor dem Tabakovic-Verkauf in Hinblick auf das Ligaspiel gegen den SSV Jahn Regensburg.
Niederlechner und Schuler haben sowohl in der Vorbereitung als auch ihren Joker-Einsätzen in der noch jungen Saison überzeugt, Verkaufskandidat Prevljak war bislang eher außen vor. 22 Tore der Vorsaison zu ersetzen, wird kein leichtes Unterfangen für Hertha sein, doch die neue Spielweise unter Fiél verändert auch die Abhängigkeit vom Mittelstürmer. Womöglich braucht es gar nicht den nächsten Tabakovic, sondern etwas ganz anderes. Klar ist: Die Casting-Wochen im Hertha-Sturm haben begonnen
Sendung: Der Tag, 23.08.2024, 19:15 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
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