Interview | Sportwissenschaftler Ingo Froböse
Am Joggen scheiden sich die Geister. Was wir tun können, um gesund und mit Erfolgserlebnissen zu Laufen und wieso Fitnessuhren eigentlich nur was für Profis sind, erklärt der Sportwissenschaftler und passionierte Läufer Ingo Froböse.
rbb|24: Herr Froböse, auf vielfachen Wunsch aus dem Kollegenkreis eine ungewöhnliche Frage zum Einstieg: Kann Laufen eigentlich auch ungesund sein?
Ingo Froböse: Naja, das hängt immer von der Belastungsintensität ab. Es kann insofern natürlich auch ungesund sein, wenn ich es überziehe – zu viel und zu intensiv laufe für meinen Körper, dann ist Joggen genau so ungesund wie Nichtstun.
Worauf kommt es bei gutem Lauftraining denn an?
Das Allerwichtigste ist, dass ich die richtige Belastung finde. Das bedeutet, dass ich mich orientiere, wie eigentlich meine Herz- und meine Atemfrequenz ist. Die gibt mir wunderbare Auskunft darüber, wie die Belastung für meinen Körper ist. Wenn ich eine viel zu hohe Herzfrequenz habe, dann ist der Körper überfordert, habe ich eine zu niedrige, dann habe ich keinen Trainingseffekt. Genauso ist es mit der Atemfrequenz, denn die beiden hängen unmittelbar zusammen.
An welchen Werten sollte man sich denn orientieren?
Ganz grob zur Orientierung für die Herzfrequenz: 80 Prozent des Trainings sollten ungefähr in einem Herzfrequenz-Bereich stattfinden, der sich aus der Rechnung 180 minus dem Lebensalter berechnet. Das würde also für einen 50-jährigen Menschen bedeuten, bei einer Herzfrequenz von höchsten 130 zu laufen, also im Bereich von 120 bis 130 Herzschlägen pro Minute. Das ist optimal. Wenn man nicht unbedingt die Herzfrequenz messen möchte - oder kann, dann schaut man sich seine Atmung an. Die beste Dosierung ist hier: Vier Schritte einatmen, vier Schritte ausatmen. Dann ist man immer in einem sauerstoffreichen, aber nicht zu viel und zu wenig verbrauchenden System. Damit ist man im richtigen Niveau und daraus ergibt sich, dass ich immer einen Trainingseffekt habe.
Worauf gilt es darüber hinaus noch zu achten?
Je länger man läuft, desto besser. Mir ist immer lieber, ich laufe 30, 45 oder 60 Minuten, als nur mal eben 20 Minuten um die Ecke. Letzteres bringt auch etwas, aber der Körper muss sich immer erst einpendeln. Idealerweise läuft man etwa 45 Minuten, das ist ein wunderbarer Start in das aktive Leben. Wenn ich dann noch vernünftige Ausrüstung trage, also die richtigen Schuhe, dann habe ich auch die Möglichkeit, eine gute Lauftechnik zu haben, die Sprunggelenke optimal zu bewegen, das Kniegelenk zu schonen und das Hüftgelenk einigermaßen richtig zu belasten.
Kann man beim Equipment was falsch machen, vor allem bei der Schuhwahl?
Wenn Sie sich mal die Spitzensportler anschauen, die haben fast gar keine Dämpfung im Schuh. Dämpfung hinten in der Ferse macht den Fuß etwas instabil beim Aufsetzen. Bei den Profis wird im Ausdauerbereich dann sogar mit Carbon in den Sohlen gearbeitet, was ja sehr hart ist. Ein härterer Schuh macht da mehr Geschwindigkeit. Insofern: Je besser ich werde, desto weniger Dämpfung brauche ich.
Anfängerinnen und Anfänger sollten aber ruhig einen Schuh nehmen, der mehr gedämpft ist, weil die Muskulatur noch nicht optimal ausgebaut ist. Beim Kauf sollten sie außerdem immer darauf achten, dass Sportschuhe abends gekauft werden. Während eines Laufes wird der Schuh enger, dadurch, dass der Fuß wächst. Das Fußgewölbe sackt ein bisschen in sich zusammen, sodass ich etwa eine bis anderthalb Schuhgrößen mehr am Ende eines längeren Laufs habe. Deshalb bietet es sich an, Laufschuhe abends zu kaufen, wenn der Fuß sowieso ein bisschen zusammen gesackt ist. Und dann muss man einfach ein bisschen ausprobieren, welcher Schuh zu einem passt. Ich laufe seit Jahren das gleiche Modell. Aber: nicht denselben Schuh natürlich. Den wechsle ich zwei bis drei Mal im Jahr - alle drei Monate. Das sollte man tun, wenn man viel läuft. Ich selbst laufe allerdings auch täglich, also sehr oft.
Laufen ist ein vielvermarkteter Sport. Es gibt teures Equipment, zum Beispiel um seine Herzfrequenz zu messen. Braucht man Dinge wie teure Sportuhren, um sich zu verbessern oder wird man automatisch besser, wenn man einfach viel läuft?
Das Letztere ist richtig. Einfach nach Gefühl joggen ist das Beste. Das heißt also – und diese Leitlinie würde ich jedem sofort geben: Fühl dich subjektiv unterfordert beim Laufen. Das heißt, du könntest immer noch schneller laufen. Wenn man das macht, ist man im richtigen Modus. Subjektiv unterfordert sein, nicht danach kaputt auf die Couch fallen. Teures Equipment brauche ich nicht unbedingt. Es hilft Anfängerinnen so ein bisschen, um in das aktive Leben herein zu finden, um sich mal zu eichen und zu wissen, wie die eigene Herzfrequenz beim Training ist. Eigentlich brauchen das aber nur die Profis, die sich richtig steuern, kontrollieren und messen wollen. Alle anderen sollten viel mehr auf den eigenen Körper achten.
Wie ist es mit einem Trainingsplan, braucht man den?
Nein, ich brauche nicht unbedingt einen Trainingsplan. Wenn ich mich irgendwann mal für einen Marathon vorbereite, dann vielleicht. Ein bestimmtes Ziel braucht schon eine gewisse Zielorientierung. Aber wenn ich einfach nur laufe für meine Gesundheit und ich achte auf mich, dann ist es sehr gut, wenn ich einfach die Länge verändere, länger werde. Viel länger als 60 Minuten brauche ich dann allerdings auch nicht zu laufen. Also wenn ich die schaffe, dann kann ich über das Tempo variieren, vielleicht auch mal Intervalle einpflegen, kleine Steigerungsläufe, das reicht letztendlich, um die eigene Performance langfristig zu verbessern. Nur wenn ich auf ein bestimmtes Ziel hinarbeite, brauche ich einen Plan. Gesundheitsorientiertes Laufen braucht Freiheit in dem, was man tut.
Was ist so gut am Laufen, dass Sie es sogar jeden Tag machen?
Es ist die natürlichste Form unserer Bewegung neben dem Gehen und die einfachste Trainingsform, denn ich kann es vor jeder Haustür beginnen. Das ist erstmal der große Vorteil: Wir können es alle, weil es in unserer Genetik angelegt ist. Gut ist darüber hinaus, dass von der ersten Sekunde an das Immunsystem stimuliert wird. Das heißt, Laufen ist - wenn ich es richtig mache - wie eine eigene Impfung. Die Durchblutung steigert sich, die Versorgung des Gehirns wird beim Laufen um 30 bis 40 Prozent mehr – das heißt mehr Sauerstoff im Gehirn, was gleichbedeutend mit mehr Frische ist.
Es gibt mir darüber hinaus einen Ausgleich zum Alltag. Es zahlt also auf eine mentale Gesundheit ein. Und vor allem trainiert es das Herz- und Kreislaufsystem, das heißt, die Gefäßelastizität wird besser, unsere Blutgefäße bleiben geschmeidiger und dementsprechend regulieren die viel besser in den Blutdruck rein. Unsere Herzarbeit wird ökonomisch, der Muskel wächst, er wird kräftiger, leistungsfähiger, er muss seltener schlagen. Das ist auf die lange Strecke des Lebens wertvoll, weil der Herzmuskel geschont wird.
Wann sollte man laufen - gibt es eine perfekte Tageszeit?
Ich selbst laufe am liebsten abends. Dann kann ich nach getaner Arbeit das Thema mentale Gesundheit mehr in den Fokus nehmen. Ich habe dann sowohl eine Herz-Kreislauf-Belastung als auch ein Entspannungsmomentum auf mentaler Ebene. Auch der Kreislauf ist gut auf den Lauf am Abend ausgerichtet. Ich würde eher empfehlen, Ausdauersportarten in den Abend zu legen und das Muskeltraining in die Morgenstunden. Wenn es zeitlich aber nicht anders geht, kann man auch morgens laufen, um frischer zu werden für den Tag.
Wettkämpfe und auch Breitensportläufe finden aber häufig morgens statt. Ist das dann schlecht?
Manchmal starten Marathons auch etwas später, was ich persönlich auch besser finde. Wenn sie jetzt zum Beispiel um 9 Uhr ein Rennen starten, dann bedeutet das in der Regel für die Sportler, um sechs Uhr aufzustehen. Sie müssen ja vorher gefrühstückt haben, eine gewisse Energiezufuhr gemacht haben, deshalb finde ich das frühe Laufen in der Regel für die Biologie nicht so ideal. Es verlagert den Biorhythmus sehr weit nach vorne. Das möchte man nicht jeden Tag machen. Für Wettkämpfe ist das mal ganz gut, aber für den Tagesgebrauch nicht optimal.
Im Sommer kann es ganz schön heiß werden. Sollte man da seinen Lauf nach dem Wetter planen?
Ich würde sagen, ab Temperaturen über 30 Grad sollte man es ein bisschen danach planen. Dann würde ich in der Tat in den Morgenstunden laufen, ein bisschen früher oder später, wenn die Sonne wieder untergeht, damit die direkte Sonneneinstrahlung nicht so stark ist. Eine Kopfbedeckung ergibt auf jeden Fall Sinn und auch die Schultern zu bedecken. Die senkrecht von oben kommende Sonne, ist sehr belastend für die Haut. Wer das kleidungstechnisch nicht schafft, sollte sich wenigstens mit guter Sonnencreme einschmieren.
Außerdem muss der eigene Wassertank voll sein. Auf jeden Fall immer mit einem großen Glas Wasser starten und auf den Flüssigkeitshaushalt achten. Wer nicht ganz versteht, was ich meine, sollte sich mal vor dem Laufen auf die Waage stellen und dann direkt danach, dann sieht man den Wasserverlust. Das muss ich dann danach eigentlich auch wieder auffüllen. Langsam trinken ist wichtig und wenn ich länger unterwegs bin, auch mit Mineralien anreichern. Den Salzverlust sollte ich ebenfalls kontrollieren.
Wie lange sollte sich eine Laufanfängerin oder ein Laufanfänger Zeit nehmen, wenn ein bestimmtes Laufevent das Ziel ist?
Das kann ich schnell beantworten: Ein Marathon braucht ein Jahr, ein Halbmarathon ungefähr sechs Monate, ein 10 Kilometerlauf drei bis vier Monate. Davon abgesehen sage ich aber immer: Je länger man sich Zeit nimmt, umso besser ist es.
Vielen Dank.
Das Interview führte Simon Wenzel für rbb|24.
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