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Quelle: IMAGO/Eibner

Wasserspringer Lars Rüdiger

Das Olympia-Drama nach dem Unfall-Trauma

Aus im Vorkampf: Der Berliner Wasserspringer Lars Rüdiger galt bei den Olympischen Spielen als Mitfavorit. Dann setzte er zum eineinhalbfachen Auerbach an - dem Sprung, bei dem er vor zwei Jahren eine heftige Verletzung erlitt. Von Jette John

Lars Rüdiger hatte ein paar Sprünge gebraucht, um sich mit einem der drei unterschiedlich harten Dreimeterbretter im Pariser Centre Aquatique von Saint-Denis anzufreunden. Der Berliner Wasserspringer entschied sich schließlich, seine Olympia-Serie auf dem innersten Brett zu zeigen. Auf dem direkt neben dem Turm. Es ist das Weichste. Es schwingt am ruhigsten.

Hier wollte der 28-Jährige das olympische Einzelfinale am Donnerstag erreichen. Dazu kam es nicht. Sein Vorkampf am Dienstag wurde ab Sprung zwei zum Drama. Er musste nach dem ersten Anlauf den eineinhalbfachen Auerbach mit dreieinhalb Schrauben abbrechen, neu beginnen. Dafür zog ihm jeder Punktrichter zwei Zähler ab.

"Die ganze Woche über habe ich super Anläufe gemacht. Ich bin in der Form meines Lebens gewesen. Ich wollte den Anlauf extrem kraftvoll machen", sagt Rüdiger.

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Die Enttäuschung ist groß

Aber dann setzte er seinen linken Fuß ein wenig zu weit nach vorne, beim Absprung gab sein Oberschenkel nach. Er stoppte den Bewegungsablauf, setzte noch mal an.

"Danach war es schwer wieder den Fokus zu finden. Ich wollte mir nichts anmerken lassen, aber es hat sich doch Verunsicherung breitgemacht", erläutert Rüdiger.

Die weiteren vier Sprünge klappten nicht annähernd so, wie in den Trainingstagen zuvor in Paris. "Es war wie verhext", sagt Rüdiger. Er wurde im Vorkampf 25. und damit Letzter. Was für eine Enttäuschung! Am Abend grübelte der Springer noch lange - und am nächsten Morgen wusste er immer noch nicht, "warum es so geschehen ist".

Rüdiger fiel bewusstlos in die Tiefe

Dabei ist außerhalb der Wasserspringer-Community kaum bekannt, was für eine großartige Leistung Rüdiger vollbracht hatte, um sich überhaupt für Olympia zu qualifizieren. Rüdigers Heimtrainer, Bundestrainer Christoph Bohm, hatte bereits vor den Spielen in Paris gesagt: "Für mich ist Lars eh schon der Held. Ein Champion. Ich wünsche ihm das Finale."

Er war ja dabei, als Rüdiger im Spätsommer 2022, kurz nach dem Gewinn der WM-Bronzemedaille mit Timo Barthel im Synchronspringen, der dramatische Unfall passierte: Im Trainingslager in Belek krachte der Wasserspringer vom Berliner TSC beim Versuch eines eineinhalbfachen Auerbach-Saltos samt dreieinhalb Schrauben mit dem Kopf aufs Brett.

"Ich wollte abspringen, aber meine Beine haben nachgegeben. Das Brett hat mich geworfen", erzählt Rüdiger. An viel mehr kann er sich nicht erinnern.

Rüdiger plumpste bewusstlos in die Tiefe. Blut quoll aus einer tiefen Wunde an der oberen Stirn, mischte sich mit Chlorwasser. In der Halle wurde geschrien. Rüdigers Freundin, Wasserspringerin Christina Wassen, die oben auf dem Turm stand, sprang kopfüber ins Wasser, Bohm vom Beckenrand. Sie zogen Rüdiger an Land.

Dessen Erinnerung setzt erst wieder im Krankenwagen ein. Dort stellte er fest, dass er eine Halskrause trug. Rüdiger erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma. Er brach sich einen Finger. Aber das war nebensächlich für ihn, auch wenn er zweimal an der Hand operiert werden musste, weil sich das Fingergelenk um 90 Grad verdreht hatte.

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Niemanden hätte gewundert, wenn er aufgegeben hätte

Wichtiger war ihm zu verstehen, warum ihm in der Türkei dieses lebensgefährliche Missgeschick passiert war. Denn für Rüdiger, der bei den Sommerspielen in Tokio 2021 in einem ungewöhnlich spannenden Finale zusammen mit Patrick Hausding die olympische Bronzemedaille im Synchronspringen gewonnen hatte, war klar: "Ich musste mich wieder herantrauen an den Sprung."

Es hätte niemanden gewundert, wenn er aufgegeben hätte. Wenn er den Leistungssport beendet hätte, den er im Alter von sechs Jahren begonnen hatte. Es gab schon Wasserspringer, die sich nach einem ähnlichen Schock nie mehr aufs Brett wagten, so wie es Skispringer gab, die nach Stürzen von der Schanze nie wieder die psychische Stabilität für weite Flüge erlangten.

"Es war ja ein traumatisches Erlebnis. Ein heftiger Unfall", sagt Trainer Bohm. "Aber Lars hat sich der Sache gestellt."

Rüdiger hatte kurz vor den Spielen ganz entspannt und, wie es schien, mit emotionalem Abstand von seiner Auseinandersetzung mit dem Unfall erzählt: "Ich hatte damals Corona. Ich war geschwächt. Ich konnte schnell einschätzen, warum es passiert ist. Und ich weiß, dass es nicht mehr passiert. Ich habe alles vollkommen verarbeitet."

"Mir kamen die Tränen. Ihm auch"

Gespräche mit seiner Freundin und seinem Trainer halfen dem Bauingenieur-Studenten. Er begann, den eineinhalbfachen Auerbach-Salto mit dreieinhalb Schrauben Woche für Woche, Stück für Stück, wieder aufzubauen: vom Einmeterbrett, aus drei Metern in die Schaumgummi-Grube.

"Es war ein krass emotionaler Moment, als Lars ein Dreivierteljahr später den Sprung wieder vom Dreimeterbrett gemacht hat. Wir hatten alle Gänsehaut", sagt Trainer Bohm. "Mir kamen die Tränen. Ihm auch."

Rüdiger ist mit 1,87 Metern ungewöhnlich groß für einen Wasserspringer. In der Weltspitze dieser Sportart, die oft so komplex und doch so grazil und spektakulär erscheint, sind die Männer im Schnitt nur 1,75 Meter groß. Weil er sich bis zu 2,40 Meter übers Brett katapultiert, während die anderen bei 1,90 oder 1,80 Metern über dem Brett ihre perfekten Winkelgeschwindigkeiten für Drehungen und Schrauben erreichen, braucht der Berliner Sportsoldat ein weiches Sprungbrett, auf dem er sich wohlfühlt.

Eines, wie das direkt neben dem Turm im Wassersportzentrum von Saint-Denis. Und dann passierte ihm dieser technische Fehler beim Anlauf – ausgerechnet beim eineinhalbfachen Auerbach mit dreieinhalb Schrauben – ein Unglückssprung.

Mit Platz drei beim Weltcup in Berlin in diesem März hatte der Synchron-Europameister von 2020 erst vor ein paar Monaten gezeigt, dass er in der Weltspitze dabei sein kann. Genau wie Moritz Wesemann, der zweite Deutsche im olympischen Einzelwettbewerb vom Dreimeterbrett.

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Bundestrainer Christoph Bohm hätte Rüdiger in Paris "einen schönen Abschluss einer grandiosen Karriere" gewünscht. Der kraftvolle Springer hat seine Erfolge bisher in Synchron-Wettbewerben erzielt.

Er hatte gewusst, dass ihm nur wenige zugetraut haben, die Einzelqualifikation für Olympia zu schaffen, erst echt nach dem dramatischen Unfall in der Türkei. "Ich wollte noch mal durchziehen, es noch mal allen zeigen", hatte Lars Rüdiger gesagt. Und: "Ich mache den Eineinhalb-Auerbach seit mehr als einem Jahr wieder. Und ich mache ihn gern."

Am Morgen nach dem völlig vermasselten Vorkampf klang Rüdiger noch immer sehr enttäuscht. Und ratlos, auf der Suche nach einer Antwort. Er sei seit der B-Jugend nicht mehr so schlecht gesprungen wie auf dem Brett im Paris Centre Aquatique, sagte er. "Ich hatte keine Angst. Es lag auch nicht daran, dass es der Sprung war, bei dem damals der Unfall passierte. Alles war optimal. Für mich fehlt die Klarheit, was geschehen ist."

Wer kann schon ergründen, was sich tief im eigenen Unterbewusstsein abspielt?

Patrick Hausding, mit dem er in Tokio Olympia-Bronze gewonnen hatte, war einer der ersten, der Lars Rüdiger nach dem Aus in der Vorrunde aus Berlin eine Textnachricht schickte, in der sinngemäß stand: Du hast ja schon eine Olympia-Medaille, die kann dir keiner mehr nehmen.

Lars Rüdiger sagt: "Wahrscheinlich hatte ich in Tokio damals beim Springen das größte Glück meines Lebens und hier in Paris das größte Pech meines Lebens."

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.08.2024, 14:15 Uhr

Beitrag von Jette John

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