Interview | Gina Lückenkemper
Bei den Olympischen Spielen sprintete Gina Lückenkemper mit der Staffel zur Bronzemedaille. Ein Gespräch über Trainingsvorteile in international stark besetzten Gruppen und das Niveau der deutschen Leichtathletik.
rbb|24: Gina Lückenkemper, haben Sie schon einen Ehrenplatz für Ihre olympische Bronzemedaille gefunden?
Gina Lückenkemper: In einem Regal bei mir zu Hause habe ich ein bisschen Platz geschafft, da ist sie jetzt erstmal untergebracht. Ob das die finale Lösung ist, weiß ich aber noch nicht.
Welche Erinnerungen kommen - mit etwas Abstand - an das Finale mit der deutschen Sprintstaffel im Stade de France hoch? Eine bessere Abendgestaltung hätte es für einen Freitag in Paris aus Sicht einer Leichtathletin wohl kaum geben können.
So richtig viel Zeit, um das alles zu reflektieren und Revue passieren zu lassen, hatte ich noch gar nicht. Meine Saison ist nicht zu Ende, ein paar Wettkämpfe stehen noch an. Natürlich sind das aber Momente, an die man gerne zurückdenkt. Ich werde immer in Erinnerung behalten, wie ich Bekky (Rebekka Haase; Anm. d. Red.) auf der Zielgeraden hinterhergebrüllt habe und sehen konnte, dass sie als Dritte über die Ziellinie gelaufen ist. Realisieren konnte ich das aber erst, als es oben auf dem großen Screen angezeigt wurde.
In der Vergangenheit haben Sie immer wieder betont, wie wenig Sie davon halten, Athletinnen und Athleten über ihre persönlichen Bestzeiten zu definieren. Im Finale der 4x100-Meter-Staffel sind Sie mit 9,89 Sekunden die schnellste Zeit aller Sprinterinnen gelaufen. Hand aufs Herz: Was bedeutet Ihnen das?
Das ist schon etwas Supercooles, das da am Ende stehen zu haben. Solche Zeiten bin ich in der Staffel fliegend bis jetzt nur auf den Geraden gelaufen, nicht in der Kurve. In der Kurve war ich immer bei kleinen Zehner-Zeiten. Natürlich ist es extrem cool, da eine Entwicklung zu sehen. Ich bin in den vergangenen Jahren mit meinen Zeiten in der Kurve schon verdammt stabil gewesen und habe da starke Zeiten angeboten. An der Stelle ist es für mich das i-Tüpfelchen, dass ich zeigen konnte, was mein Körper momentan auf dem Kasten hat.
Vor dem Beginn der Olympischen Spiele haben Sie im Interview mit "Sports Illustrated" gesagt, Sie hätten das Gefühl, "dass da etwas Großes in den Beinen schlummert." Womit Sie Recht behalten haben. Ihr Traum vom ersten Einzelfinale bei Olympischen Spielen ging allerdings noch nicht in Erfüllung. Man muss schließlich aber auch noch Ziele für die Zukunft haben, zum Beispiel für die nächsten Olympischen Sommerspiele 2028 in Los Angeles.
Absolut. Ich sage mir, dass ich noch unfinished business habe. Im Einzel bin ich definitiv nicht angetreten, um mit dem zehnten Platz rauszugehen. Ich wollte unter die Top 8. Das ist mir leider nicht gelungen. Mit der Staffel konnte ich in der Kurve zeigen, was für ein Potenzial in meinen Beinen schlummert.
Ich habe Lust auf mehr und freue mich auf die nächsten Jahre. Wir kommen dem Traum von einem großen Einzelfinale von Jahr zu Jahr immer näher. Auf diesem Level war das jetzt meine erste Top-10-Platzierung im Einzel, was auch schon etwas Großes ist – es ist aber nicht das, was ich erreichen wollte. Das spornt mich nur noch mehr an, weiter und härter an mir zu arbeiten, um noch besser zu werden und dieses Ziel endlich zu erreichen.
Nach den medaillenlosen Weltmeisterschaften 2023 stand die deutsche Leichtathletik in der Kritik. Bei den Sommerspielen in Paris sorgten nun gleich mehrere deutsche Athletinnen und Athleten für Aufsehen: neben der Sprintstaffel etwa die Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye, die mit ihrem letzten Versuch die Goldmedaille gewann. Oder die Weitspringerin Malaika Mihambo, die Silber mit nach Hause brachte. Wie ist es im Jahr 2024 um die deutsche Leichtathletik bestellt?
Es sieht in der deutschen Leichtathletik gar nicht so schlecht aus, wie es teilweise dargestellt wurde. In den vergangenen Jahren mussten wir aufgrund weniger Medaillen ordentlich Federn lassen – auch 2022 hatten wir bei den Weltmeisterschaften nur zwei Medaillen. Nichtsdestotrotz haben wir sehr viele starke Athleten dabei. Das Weltniveau entwickelt sich weiter, man sollte das nicht außer Acht lassen.
Wir haben aber extrem viel Potenzial in der deutschen Leichtathletik. Es gilt, Möglichkeiten zu finden, die Potenziale dieser herausragenden Athleten anständig zu fördern, damit sie den Sport überhaupt auf diesem Level treiben können und die Möglichkeit haben, sich mit den Besten der Besten messen zu können. Das Potenzial für tolle Leistungen ist in Deutschland auf jeden Fall vorhanden. Es geht aber auch darum, die Trainer anständig zu fördern.
Wie müsste sich die Sportförderung in Deutschland verändern, damit sich Top-Athleten gar nicht erst die Frage stellen müssten, ob sie für ihr Training lieber ins Ausland gehen oder in der Heimat bleiben?
Da muss ich ehrlich gesagt leider passen. (lacht) Das ist ein Thema, mit dem ich mich noch gar nicht so intensiv auseinandergesetzt habe. Ich sollte mich erstmal ein bisschen informieren, bevor ich Blödsinn erzähle.
Seit Herbst 2019 sind Sie Teil einer internationalen Gruppe, die in Florida unter Coach Lance Brauman trainiert. Wie gravierend sind die Unterschiede der Trainingsbedingungen in den USA und Deutschland?
Einer der größten Unterschiede ist es, dass ich in den USA die Möglichkeit habe, in einer international stark besetzten Trainingsgruppe zu trainieren. In Deutschland finden wir so etwas in der Leichtathletik nicht vor. Das liegt auch daran, wie deutsche Trainerstellen finanziert werden.
Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, dass man die eigenen Athleten und nicht die internationale Konkurrenz stärken möchte. Wenn ich mich aber nicht schon im Training mit den Besten der Besten messen kann, wie soll ich dann in der Lage dazu sein, auf die große Bühne zu treten und diese Athleten besiegen zu können? Am Ende ist man vor der eigenen Haustür doch limitiert. Wir sagen immer liebevoll: 'iron sharpens iron.' Wir können nur besser werden, wenn wir uns mit den Besten der Besten messen. Und eine internationale Trainingsgruppe macht da extrem viel aus.
Auch der US-Amerikaner Noah Lyles, der in Paris die Goldmedaille über 100 Meter gewann, gehört dieser Trainingsgruppe an. Im Gespräch mit der "Sportschau" hat sich Lyles sehr positiv über Sie geäußert und Ihre Arbeitsmoral hervorgehoben.
In den vergangenen Jahren habe ich in den USA wirklich viel mitnehmen können. Zum Beispiel in der Sprint-Technik: Allein die Möglichkeit zu haben, einen Athleten wie Noah zu fragen, wie genau er das umsetzt und wie sich das anfühlt. Genauso die mentale Komponente – da durfte ich viel von den Athleten lernen. Auch ein Wayde van Niekerk, der 2016 in Rio den Weltrekord über 400 Meter aufgestellt hat, ist in meiner Trainingsgruppe.
Eine international stark besetzte Trainingsgruppe ist etwas, was uns in der deutschen Leichtathletik weiterhelfen könnte – allein, weil dadurch ein anderer Wissenstransfer stattfindet.
Am 1. September 2024 findet das alljährliche Istaf im Olympiastadion statt. Im Vorjahr mussten Sie den Wettkampf krankheitsbedingt kurzfristig absagen. Sehen wir Sie dieses Mal wieder in Berlin?
Ich gehe ganz stark davon aus. Am Donnerstag laufe ich nochmal in Lausanne in der "Diamond League". Ich fühle mich aktuell gut und gesund. Natürlich bin ich von den Olympischen Spielen und den ganzen Eindrücken ein bisschen geplättet – wäre ja auch komisch, wenn nicht. Insgesamt geht es dem Körper gut, das ist die Hauptsache. Ich klopfe direkt mal auf meine Holzkommode, dass das auch so bleibt. (lacht) Ich plane fix mit dem Istaf und freue mich darauf, im Berliner Olympiastadion wieder auf der Bahn zu stehen. Für mich ist und bleibt das Berliner Olympiastadion mit Abstand das schönste Stadion, das es weltweit gibt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Anton Fahl, rbb Sport.
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