Paris 2024
Ohne die rund 45.000 freiwilligen Helfer wären die Olympischen Spiele von Paris nicht denkbar. Miriam Okandze aus Berlin ist mittendrin und schwer begeistert. Ganz nebenbei räumt sie mit einem Vorurteil auf. Von Jette John
Seit Beginn der Sommerspiele läuft Miriam Okandze täglich um kurz nach sieben an den Olympischen Ringen vorbei, am Rondell zwischen Volleyball-, Tischtennis-, Gewichtheber- und Handball-Halle. Später am Tag stehen hier Schlangen von Touristen aus aller Welt für ein Foto mit den fünf Ringen an. Wenn Okandze kurz darauf aus dem Tunnel zur Halle der Arena Paris-Süd um die Ecke biegt, ruft der Mann vom Sicherheitsdienst meist fröhlich: "Bonjour. Ca va?" "Guten Morgen. Wie geht's?"
Die 29-jährige Miriam Okandze aus Berlin-Mitte ist eine von 45.000 Volunteers, von freiwilligen Helfern, die dafür sorgen, dass die Olympischen Spiele möglichst reibungslos funktionieren. "Bei uns Volunteers und bei den Sicherheitsleuten ist es so: Man grüßt sich - egal wo. Man weiß: Du bist Helfer, ich bin Helfer, man unterhält sich für 30 Sekunden, dann verschwindet jeder in seine Halle", schildert Okandze. "Das ist ein bisschen ungewohnt für Berliner, ein bisschen wie auf dem Dorf, wo sich jeder kennt."
Zu erkennen sind die Volunteers an ihrer in mint- und dunkelgrün gehaltenen Bekleidung. Manche von ihnen leiten die Zuschauer mit Megafonen oder überdimensionalen Zeigefingern aus Moosgummi zum richtigen Halleneingang. Andere begleiten die Athleten zu Wettkämpfen, assistieren bei der medizinischen Versorgung oder helfen an der Strecke, indem sie Essen und Trinken reichen.
Miriam Okandze ist auf der Medientribüne der Volleyball-Arena als Mitglied des Press-Operations-Teams zuständig für die Beantwortung von Fragen. In der klimatisierten Halle hilft sie allen, die ihre Plätze nicht finden, sie reicht Journalisten die Team-Aufstellungen, zeigt ihnen den Weg zur Interview-Zone. Und sie übersetzt.
Okandzes Vater stammt aus dem Kongo. "Ich bin deutsch-französisch aufgewachsen", sagt sie. Dazu spricht die Berlinerin, die gerade ihr Psychologie-Studium beendet hat, Englisch: "Ich fühle mich auch in Frankreich zu Hause. Es ist meine zweite Heimat."
Vor zwei Jahren hatte sich Okandze als Volunteer für die Olympischen und Paralympischen Spiele beworben. Sie liebt Sport, spielt Volleyball, als Diagonal-Angreiferin beim Berliner Volleyball-Verein Vorwärts in Lichtenberg. Dort trainiert sie die Jungs der U12, U13 und U14 und sichtet im Rahmen des Berliner Nachwuchs-Konzepts der SCC Juniors für "Profivereine machen Schule".
Gleichzeitig konnte sie bei ihrer Bewerbung als Volunteer ihre Erfahrung im Court-Management bei den Bundesliga- und Champions-League-Spielen der BR Volleys angeben. Dabei kümmert sie sich seit sechs Jahren um die Bodenaufkleber, das Netz, die Bälle, die Ballkinder, die Zusammenarbeit mit dem Schiedsgericht oder um die listengenaue Verteilung der Wasserkästen an die Mannschaften. Für die Paralympics bewarb sie sich, weil ihr Bruder Rick Cornel Hellmann in Paris im Rollstuhl-Badminton an den Start geht. Er wurde voriges Jahr Europameister im Einzel und im Doppel.
In der ersten Bewerbungsrunde wurde Okandze nicht direkt als Volunteer ausgewählt. Erst im Juni erfuhr sie, dass sie doch während Olympia zum Einsatz kommen würde – in der Halle ihrer Wunschsportart Volleyball. Genau dort also, wo Deutschlands Männer-Nationalmannschaft am Freitag mit einem begeisternden Spiel den Einzug ins Viertelfinale perfekt machte.
Bezahlt wird Miriam Okandze nicht für ihre Acht-Stunden-Schichten. Kosten für Anreise und Übernachtung muss sie selber tragen, aber das nimmt sie für all die Erlebnisse, die Olympia ihr bietet, in Kauf. Gerade ist sie aus einem Hotelzimmer im 15. Arrondissement in ein Hostel gezogen, in dem auch andere Volunteers wohnen. Die deutschen Volunteers haben sich in einer Whatsapp-Gruppe vernetzt. "Das wird sicher lustig im Aufenthaltsraum", sagt Okandze. "Erst gestern haben wir nach dem Arbeitsende um 16 Uhr noch eineinhalb Stunden im Volunteers-Center Ping-Pong gespielt." Wie unter den Athleten im Olympischen Dorf ist der Tausch von Pins - kleinen Ansteckern - auch unter den Volunteers beliebt.
Okandze gefällt die Internationalität, die sie in Paris erlebt. Unter den Volunteers sind viele Franzosen, die nicht in Paris wohnen, sondern in Orten wie Lille oder Nantes. Sie hat Brasilianer kennengelernt, Engländer, Japaner, eine Italienerin, Chinesen. Kürzlich unterhielt sie sich beim Mittagessen mit einem Kanadier über die unterschiedlichen Schulsysteme.
Was das Essen angeht, habe sie es in der Süd-Arena gut getroffen, sagt Okandze. Neben Kaffee und Frühstücks-Snacks bekommen die Volunteers hier einmal am Tag ein Drei-Gänge-Menü, sowie Obst und Getränke.
Mit den Pariser Bewohnern hat die Volunteer aus Berlin bislang nur positive Erfahrungen gemacht. In ihrer grünen Kleidung wurde ihr im Supermarkt im Restaurant und in ihrer Unterkunft gesagt: "Oh, vielen Dank für deinen Einsatz. Toll, dass du uns hilfst bei dem großen Projekt Olympia." Als sie am ersten Arbeitstag mit ihrem jüngeren Bruder zum Pizza-Essen ging, sagte der Kellner: "Hey, eure Getränke übernimmt das Haus, denn du unterstützt uns ja."
Viele Pariser würden staunen, dass sie helfe, obwohl sie gar keine Pariserin sei. Sie fragen neugierig, wie es zugehe hinter den Kulissen. Okandze findet: "Die Pariser zeigen sich bisher von ihrer besten Seite."
Ein Thema, zu dem sie immer wieder um ihre Meinung als Gast aus dem Ausland gefragt wurde, ist die Räumung der Obdachlosen-Camps in Paris. Die Aktion der Stadtverwaltung kam nicht gut an bei der Bevölkerung. "Ich habe aber den Eindruck, trotz aller Bedenken im Vorfeld haben die Pariser Olympia in der Stadt akzeptiert. Sie machen das Beste daraus", sagt Okandze.
"Die Hotellerie ist super happy. Hier um die Arena-Süd machen die Restaurants wahrscheinlich das Geschäft des Jahrhunderts", so Okandze. Bei Familien, meint sie, habe das Event große Beliebtheit, deutlich mehr als beim Gros der Studenten, die vermutlich lieber ihre Ruhe hätten.
Über die Berichte in deutschen Medien, dass die Pariser wegen Olympia aus der Stadt flüchten, muss Okandze lachen. Sie war schon oft in Frankreichs Hauptstadt. Dort ist es in jedem Sommer so, dass alle, die es sich leisten können, in den Ferien die Stadt verlassen: "Wenn es heiß ist wie zuletzt, ist die Luft in Paris eine Katastrophe. Alle wollen alle raus aus der Stadt, aufs Land, an die Cote d‘ Azur. Mit Olympia hat das nichts zu tun."
Nachdem Miriam Okandze an diesem heißen Sommertag nach acht Stunden die klimatisierte Volleyball-Arena verlassen hat, macht sie endlich das, was die Olympiagäste hier seit Tagen unermüdlich tun: vor den Olympischen Ringen am Rondell des Arena-Süd-Areals für ein Foto mit den fünf Ringen posieren.
Sendung: rbb24 Inforadio, 03.08.2024, 09:15 Uhr
Beitrag von Jette John
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