Weltrekorde, Partystimmung und Baguettes
Wenn der Berlin-Marathon am Sonntag zum 50. Mal stattfindet, werden so viele Läuferinnen und Läufer wie nie zuvor durch die deutsche Hauptstadt rennen. Ein Rückblick auf fünf Dekaden - mit Begründer und "Inspirator" Horst Milde. Von Anton Fahl
Als erstmals ein Marathon in Berlin stattfand, war die Stadt noch geteilt – und das Teilnehmerfeld überschaubar. "1974, im damaligen West-Berlin - von einer Mauer umgeben - waren genau 286 Teilnehmer und Teilnehmerinnen am Start – zu der Zeit noch wenige Frauen", erinnert sich Horst Milde, Initiator oder "Inspirator" des Berlin-Marathons, wie er selbst sagt, im Gespräch mit dem rbb. "244 kamen ins Ziel, aus insgesamt vier Nationen. Inzwischen haben wir mindestens 35 Prozent Teilnehmerinnen. Ich habe damals mit 3 Prozent Frauen angefangen."
Der Berliner Milde, gelernter Konditor und Bäcker und damals Vorsitzender der Leichtathletik-Abteilung des SCC, schwelgt angesichts der Entwicklung des Marathons in Erinnerungen: "Wenn mich damals jemand gefragt hätte, es hat aber keiner gefragt: Herr Milde, was erwarten Sie denn für die Zukunft? Da kann ich nur sagen: An solche sagenhaften Teilnehmerzahlen hat man da überhaupt nicht gedacht", so der 85-Jährige. "Man hat einfach nur gemacht. Wenn man eine Idee hat, muss man sie umsetzen. Berlin war schon Anfang des Jahrhunderts eine Läuferstadt. Wir haben das Laufen nicht erfunden, wir haben es nur weiterentwickelt."
Eine Weiterentwicklung, die sich auch anhand der veränderten Strecke rekonstruieren lässt. "Von 1974 bis 1980 sind wir auf dem Kronprinzessinnenweg neben der Avus, durch den Wald und bis zum Strandbad Wannsee gelaufen. Zwei Runden", sagt Horst Milde. Jutta von Haase (3:22:01 Stunden) und Günter Hallas (2:44:53 Stunden) krönten sich am 13. Oktober 1974 zu den ersten Marathon-Gewinnern in Berlin. "Das Schöne ist, dass sie noch leben", findet Milde.
"Ab 1981 begann im Grunde der Aufstieg. 1990, nach dem Fall der Mauer, war der Start durch das Brandenburger Tor eine Weltsensation, eine hochsportpolitische Angelegenheit." Seitdem führt die Strecke an den Sehenswürdigkeiten der Stadt entlang – unter anderem über den Großen Stern, den Kurfürstendamm und vorbei am Gendarmenmarkt.
Und schon in der ersten Auflage nach dem Mauerfall sorgte ein australischer Läufer für Aufsehen: "Steve Moneghetti hat damals mit Weltjahresbestzeit gewonnen, mit einer Zeit unter zwei Stunden und zehn Minuten, die bis dahin noch nie in Berlin gelaufen wurde. Da hörte man im Ausland zum ersten Mal: Da in Berlin, kurz vor Polen, kann man auch gute Zeiten rennen."
Seitdem fallen in Berlin in aller Regelmäßigkeit die Weltrekorde. Der Äthiopier Haile Gebrselassie gewann vier Mal in Folge (2006-09) und stellte dabei zwei Bestmarken auf (2007 und 2008).
Bisheriger Rekord-Gewinner beim Berlin-Marathon ist Eliud Kipchoge mit fünf Siegen. Der Kenianer fühlt sich auf der Berliner Strecke so wohl, dass er seinen Weltrekord von 2018 (2:01:39 Stunden) nur vier Jahre später unterbot und mit einer Zeit von 2:01:09 Stunden ins Ziel kam.
Bei den Frauen brillierte zuletzt die Äthiopierin Tigist Assefa zwei Mal in Folge – im Vorjahr in Weltrekordzeit, indem sie die bis dahin gültige Bestmarke um mehr als zwei Minuten unterbot (2:11:53 Stunden).
Was dabei auch immer wieder von den Läuferinnen und Läufern hervorgehoben wird: die besondere Stimmung. "Die Berliner Atmosphäre ist sensationell. Da muss man allen Helfern und allen, die beteiligt sind, auf die Schultern klopfen – insbesondere auch den Zuschauern", sagt so auch Horst Milde.
Genauso abwechslungsreich wie die Routenführung durch Berlin sind auch die Kostüme, die jedes Jahr auf den Straßen der deutschen Hauptstadt zu sehen sind. Läufer im Obelix-, Dinosaurier- oder Spiderman-Kostüm, mit dem Brandenburger Tor auf den Schultern oder als Flasche verkleidet? Alles schon gesehen.
"Die Fantasie von Läuferinnen und Läufern ist unbegrenzt. Ich bewundere das, weil es das Laufen nicht leichter macht. Natürlich laufen diese Menschen nicht auf eine gute Zeit. Sie rennen, um dabei zu sein und in der Regel, um Geld für gemeinnützige Zwecke zu sammeln", weiß Milde. "Es gab auch mal einen Franzosen, Michel Descombes, der immer ein Baguette in der Hand hatte und die Berliner zum Jubeln aufgefordert hat. Das sind skurrile Geschichten, die nur ein Marathon schreiben kann."
Schon weit vor dem Startschuss am Sonntag hat der Berlin-Marathon das nächste Kapitel seiner Erfolgsgeschichte geschrieben. 58.212 Läuferinnen und Läufer aus 161 Nationen haben sich für die Jubiläumsauflage angemeldet – so viele wie nie zuvor.
"Natürlich freue ich mich über diese Riesen-Zahlen – auch wenn ich sie nicht alle per Handschlag begrüßen kann, so wie ich das vor 50 Jahren gemacht habe", sagt Milde mit einem Lachen. "Für die Stadt ist das ein Spektakel und Abenteuer. Es muss zumindest mal schönes Wetter sein, dann muss die Stimmung gut sein – und dann zählen wir nachher nach, wie viele wirklich im Ziel waren."
Sendung: rbb24, 23.09.2024, 21:55 Uhr
Beitrag von Anton Fahl
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