2:0-Sieg in Nürnberg
Hertha BSC hat Wiedergutmachung für die Niederlage gegen Düsseldorf leisten und in Nürnberg gewinnen können. Zwar stimmte am Samstag die Tagesform nicht, doch Hertha macht sich unter Trainer Cristian Fiél immer unabhängiger von Zufällen. Von Marc Schwitzky
"Das Beste an dir war das Preisschild beim Abschied", titelte ein Banner in Nürnbergs Fankurve. Es war an Hertha-Trainer Cristian Fiél gerichtet. Der 44-Jährige arbeitete bis zum Sommer drei Jahre bei den Franken – sein Abgang trotz laufenden Vertrags nach Berlin wurde damals nicht gut in Nürnberg aufgenommen. Am Samstag kehrte er mit Hertha BSC erstmals an seine alte Wirkungsstätte zurück.
Die Berliner zahlten im vergangenen Sommer trotz finanzieller Probleme eine Ablöse, um einen bestimmten Spielstil bei sich implementieren zu können. "Wir haben einen Trainer gesucht, der mutigen, dominanten, offensiven Fußball spielen lässt, der Erfahrung in der 2. Liga mitbringt, einen Bezug zur Ausbildung im Nachwuchsleistungszentrum besitzt, für die Entwicklung von jungen Spielern steht und natürlich zu dem Kader passt, wie wir ihn haben bzw. uns vorstellen", erklärte Sportdirektor Benjamin Weber unter der Woche gegenüber transfermarkt.de das gewünschte Profil.
Vor allem spielerisch versprachen sich die Hertha-Verantwortlichen einiges vom Trainerwechsel. Vorgänger Pal Dardai gelang es nur selten, das fußballerische Potenzial des Hertha-Kaders wirklich auszuschöpfen. Zu oft war Hertha in der vergangenen Saison selbst gegen individuell deutlich schwächere Gegner spielerisch unterlegen und zu abhängig von individuellen Glanzmomenten eines Fabian Reese oder Haris Tabakovic. Weber und Co. wünschten sich einen neuen ganzheitlichen Ansatz, der Hertha taktisch ein klareres Gerüst verleiht und weniger wankelmütig daherkommt.
Erste spielerische Erfolge unter Fiél waren trotz teilweise enttäuschenden Ergebnissen in den ersten Spielen der neuen Saison nicht zu leugnen. Die "alte Dame" wandelt sich immer mehr von Dardai’scher Umschalttruppe zur Fiél’schen Ballbesitzmannschaft. Was anfangs manchmal noch unbeholfen wirkte, wird mit jedem Spiel natürlicher. Auch gegen Nürnberg war von Beginn an zu erkennen, wie das neue Trainerteam die Blau-Weißen spielen lassen will. Klare Muster und Abläufe zeigen eine neue Verlässlichkeit darin, wie Hertha in einem Spiel auftritt. Etwas, das in der Vorsaison oftmals fehlte und keine Konstanz aufkommen ließ.
Feste Automatismen sollen Mannschaften dabei helfen, unabhängiger von Tagesform zu agieren. Hertha erwischte gegen Nürnberg keinen allzu guten Tag. Das war immer wieder zu erkennen. Es versprangen Bälle, die Entscheidungsfindung passte immer wieder nicht und Torabschlüssen fehlte die Genauigkeit. Und dennoch waren die Berliner am Samstag die bessere Mannschaft.
Eben weil sie ihr Spiel von Tagesform losgelöst durchzogen. Die Grundtugenden stimmten. Herthas einstudiertes Verhalten gegen den Ball erschwerte Nürnberg, strukturiert nach vorne zu spielen. Das Berliner Pressing nahm die wichtigsten Aufbauspieler der Franken aus dem Spiel, im Gegenpressing eroberten die Hauptstädter regelmäßig sehr hoch den Ball und unterbanden so ein gezieltes Umschaltspiel der Nürnberger, die eigentlich genau darauf aus waren.
Nur selten konnten die Hausherren wie geplant vertikal das Hertha-Mittelfeld überbrücken. Herthas Spieler waren sehr emsig in der Rückwärtsbewegung und nach Ballverlusten schnell wieder in der Ordnung. "Nürnberg will immer wieder in die Tiefe. Wir hatten besprochen, dass wir darauf am meisten aufpassen müssen", sagte Fiél nach dem Spiel. "Wir haben heute die gegnerischen Läufe gut mitgemacht."
Am Ende des Spiels waren die Gäste drei Kilometer mehr gelaufen als Nürnberg - jene Aktivität hatte direkte Auswirkungen auf das Spiel, denn so ließ Hertha nur wenig zu. Nürnberg kam zu lediglich sieben Schüssen und einem Expected-Goals-Wert von nur 0,76. Das lag auch daran, dass Hertha - auch dank Kapitän und Startelfrückkehrer Toni Leistner - gegnerische Standardsituation sehr viel besser verteidigte als noch in den letzten Spielen.
Die sogenannten "Basics" stimmten gegen Nürnberg also. Das zeigte sich auch im Spiel mit dem Ball. Denn auch hier sind die Trainingsinhalte Fiéls klar erkennbar. Das Aufbauspiel besteht aus etablierten Abläufen und auch im Übergang ins letzte Drittel wissen Herthas Spieler ganz genau, welche Räume sie besetzen sollen. So schafft es die "alte Dame" immer wieder, kontrolliert in die gegnerische Hälfte zu kommen.
Dennoch hatte Hertha Probleme im Offensivspiel. Den Kreativen um Michael Cuisance, Ibrahim Maza, Marten Winkler und Derry Scherhant wollte am Samstag nicht viel gelingen. Immer wieder fehlte die Präzision in den Aktionen, immer wieder verhinderten Stockfehler und falsche Entscheidungen, dass eigentlich vielversprechende - von klaren Mustern im Aufbau oder Gegenpressing herausgespielte - Angriffe zielführend genutzt werden. Hertha hätte gegen schwache, weil oft unsortierte Nürnberger deutlich öfter zum Abschluss kommen müssen, scheiterte aber meist an sich selbst.
Hertha gelangen dennoch zwei Tore. Das 1:0 in der 36. Minute folgte einem Angriffsmuster, das bereits öfter zu sehen war. Ibrahim Maza, eigentlich zentraler Mittelfeldspieler, ließ sich auf den linken Flügel fallen und zog so die Aufmerksamkeit auf sich. Dadurch konnte sich Linksaußen Derry Scherhant in den Halbraum zwischen Außen- und Innenverteidigung des Gegners schleichen, dort angespielt werden und das Tor schießen. Sehr ähnlich hatte Scherhant bereits seinen ersten Saisontreffer gegen Kaiserslautern erzielt - hier profitieren er und seine Mitspieler von einstudierten Abläufen.
Trotz der Führung musste Hertha lange um die drei Auswärtspunkte zittern, und das selbstverschuldet, denn wie in der ersten Halbzeit ließen die Mannschaft zu viele aussichtsreiche Offensivszenen ungenutzt liegen. So entwickelte sich der typische Spielverlauf, in welchem Nürnberg als zurückliegende Heimmannschaft Oberwasser bekam und anstürmte. Dabei blieben die Clubberer jedoch erschreckend harmlos - eben weil es so wirkte, als hätten sie keine wirklichen Offensivmuster, mit denen sie Gegner strukturiert knacken können. Das Spiel der Nürnberger wirkte eher zufällig und zu sehr von individuellen Geistesblitzen abhängig, als dass Hertha noch einmal wirklich in Bedrängnis geriet.
So war Nürnberg im zweiten Durchgang zwar die optisch überlegene Mannschaft, doch die besseren Angriffe gab es auf Berliner Seite zu sehen. Obwohl es auch zuvor zahlreiche Möglichkeiten dazu gegeben hätte, entschied Palko Dardai die Begegnung erst in der Nachspielzeit durch einen endlich einmal sauber ausgespielten Konter mit dem 2:0.
Hertha hatte es unnötig spannend gemacht, doch es war ein verdienter Sieg. Nicht weil Hertha die bessere Tagesform hatte, sondern die grundlegend reifere Spielanlage, durch die individuelle Tiefs und verletzungsbedingte Ausfälle von zahlreichen Spielern kompensiert werden können. Solch ein Vorteil könnte am Ende der Spielzeit deutlich mehr als nur 400.000 Euro wert gewesen sein.
Sendung: rbbUM6, 21.09.24, 18 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky
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