Mögliche Berliner Olympiabewerbung
In Berlin nimmt eine mögliche Olympiabewerbung Form an. Doch entscheidend wird sein, ob sich die Stadtbewohner hinter der Idee versammeln. Befürworter hoffen, dass die Spiele von Paris mehr Lust gemacht haben. Von Shea Westhoff
Man sehnt sich nach Paris. Wer sich in diesen Tagen mit Berliner Sportfunktionären oder Mandatsträgern über das Thema Olympiabewerbung unterhält, kriegt immer wieder zu hören: Paris, je t’aime (sinngemäß).
Die im Sommer stattgefundenen Olympischen und Paralympischen Spiele in der französischen Hauptstadt wurden weltweit als großer Erfolg gewertet und gelten für die mögliche Bewerberstadt Berlin als leuchtendes Vorbild.
Den französischen Veranstaltern war so manches gelungen, etwa den sportlichen Wettbewerb einzubetten in eine innovative Sportstätten-Infrastruktur an bedeutenden kulturellen Orten, darüber hinaus einen neuen Standard an Barrierefreiheit zu setzen, und außerdem mit nur wenigen Neubauten sogar weitgehend nachhaltig zu planen.
In Frankreich konnten sie gar nicht genug bekommen von ihren Olympischen und Paralympischen Spielen. Eine pompöse Zeremonie folgte der nächsten, und selbst die offizielle Abschiedsparade vorige Woche an der Prachtstraße Champs-Élysées (die 70.000 Plätze waren in nur zwei Stunden ausgebucht) sollte nur den Auftakt bilden für ein von nun an alljährlich stattfindendes "Fest des Sports", wie Präsident Emmanuel Macron verfügte. In Frankreich, das ist der Eindruck, liegt man sich wieder in den Armen. Dem Sport sei Dank!
Diese gesetzte Norm einer Sportgroßveranstaltung muss man sich unbedingt vergegenwärtigen, wenn man einen inneren Szenenwechsel vornimmt, hinein in das Berliner Olympiastadion, wo sich am Mittwochabend unter einem pastellrosa eingefärbten Spätsommerhimmel knapp 500 Vertreter des Berliner Spitzensports, der Landespolitik sowie der Wirtschaft versammelten.
Und weil das Bild so schön passt, unter dem rosa Himmel: Das Olympiastadion war an diesem Abend auch der Ort, an dem eine mögliche Austragung der olympische Sportveranstaltung hier und da vielleicht auch durch eine rosarote Brille gesehen wurde. Es war definitiv nicht der Ort der Olympia-Pessimisten.
So sollte die Rede an diesem Abend auch von der verbindenden Kraft des Sports sein. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner sagte in Richtung der aus Paris zurückgekehrten Berliner Athleten, denen an diesem Abend zurecht eine besondere Bühne bereitet wurde, dass sie nicht nur Vorbilder in ihrer Leistungsbereitschaft und Disziplin seien, sondern auch beim Thema Zusammenhalt. "Gerade in Zeiten von Spaltung, Hass, Hetze" brauche man diese Vorbilder für "den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft". Es war auch ein Abend der Slogans.
Eingeladen hatte die Interessengemeinschaft "Initiative Sportmetropole Berlin", die zum Ziel hat, die deutsche Hauptstadt national wie international gewissermaßen als Hauptstadt des Sports zu vermarkten. Besprochen werden sollte an diesem Abend, was Berlin aus dem Mega-Sportjahr 2024 lernen und "gewinnbringend für die Zukunft umsetzen" kann. Und diese Zukunft soll, wenn es nach dem Willen der allermeisten hier anwesenden Manager und Politiker geht, in den Olympischen Spielen in Berlin münden.
Die Sommerspiele von Paris haben diese Sehnsucht weiter befeuert. So sagte Kaweh Niroomand, Geschäftsführer des Volleyball-Abomeisters BR Volleys und Sprecher der Berliner Profivereine, am Rande der Veranstaltung, die Spiele von Paris seien "eine Blaupause für uns" gewesen. Dort haben man sehen können, dass nicht mehr das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Ausrichterstadt zum Zwecke der Sportveranstaltung verändere, sondern dass es die Stadt selbst ist, nach der "sich dann auch die Ausrichtung der Spiele" orientieren müsse. "Dann kann es auch nachhaltig bleiben und dann kann es so eine Freude erzeugen, wie wir es in Paris gerade erlebt haben."
Das Thema Nachhaltigkeit scheint so etwas wie der Trumpf im Ärmel einer möglichen Berliner Bewerbung zu sein: 70 Prozent aller benötigten Sportstätten, so wiederholen es die Olympia-Befürworter stets, würde es ja bereits geben.
Es war an diesem Abend der Regierende Bürgermeister selbst, der die Anwesenden auf das Projekt Olympiabewerbung einschwor: "Ich hoffe, der olympische Geist von Paris schwappt mehr und mehr nach Berlin." Und: "Wir wollen sie nicht nur, wir können Olympische Spiele."
Der Bund favorisiere zwar 2040 als Zeitpunkt einer deutschen Gastgeberschaft, so Wegner. Doch er selbst könne sich ebenso gut 2036 vorstellen – 100 Jahre nach den von Nazipropaganda durchzogenen Spielen in Berlin. "Wir könnten zeigen, was Wandel bewirkt, wie sich ein Land von einer Diktatur zu einer freien Demokratie entwickeln kann."
Olympische Spiele in Berlin, bereits in zwölf Jahren? Tatsächlich bewies die Hauptstadt im laufenden Jahr bereits mehrfach, dass sie die Ausrichtung von Sport-Großveranstaltungen beherrscht.
So war Berlin zu Jahresbeginn Co-Gastgeberin der Handball-Europameisterschaft. In der Arena am Ostbahnhof fanden vor ausverkaufter Kulisse unter anderem zwei Vorrundenspiele der deutschen Auswahl statt, die sich obendrein noch in Topform präsentierte. In Erinnerung blieb außerdem das Team Färöer, das mit seiner aus 5.000 Färingern bestehenden "Weißen Wand" nicht viel weniger als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung in Berlin versammelte. Die bestens gelaunten Gäste vom Nordatlantik avancierten zweitweise zur eigentlichen Attraktion der Hauptstadt.
Mit Bravour gewuppt hat Berlin die Fußball-Europameisterschaft, mit sechs Partien im Olympiastadion samt Finale, außerdem mit einer gut besuchten Fanmeile, flankiert von zahlreichen Kulturveranstaltungen. Kursierten vor dem Turnier noch einige Sicherheitsbedenken, war es letztlich ein weitgehend reibungsloses Fußballfest, zumindest, wenn man von den Wolfsgruß-Inszenierungen einiger Anhänger der türkischen Nationalmannschaft absieht.
Als zusätzliche Beweisführung für gelingende Sport-Großevents in der Hauptstadt diente an diesem Abend im Olympiastadion auch die Anwesenheit von Jürgen Lock bei einem Podiumsgespräch auf der rot erleuchteten Bühne. Der Geschäftsführer des Berlin-Marathon-Veranstalters SCC Events sprach darüber, wie sich eben dieser Marathon zu einer der bedeutendsten Laufveranstaltungen der Welt entwickelt habe, und dass am nächsten Sonntag bei der bereits 50. Auflage 53.000 Finisher erwartet werden.
Berlin, das transportierte diese Veranstaltung, kann Sport. Und wer, wenn nicht Berlin, sollte die Olympischen Spiele im Falle einer deutschen Olympiabewerbung austragen?
Und damit zur eigentlichen Herausforderung. Organisatorisch könne Berlin die Olympische Spiele definitiv die Beine stellen, zeigte sich der Sportökonom Wolfgang Maennig im August gegenüber rbb24 überzeugt. Doch die entscheidende Frage sei vielmehr die nach dem Rückhalt in der Bevölkerung. Und an der habe er Zweifel.
Ob die Bewohner tatsächlich skeptisch gegenüber einer Olympiabewerbung sind, das lässt sich nicht nachvollziehen – und wird vorerst auch so bleiben. Denn eine Volksbefragung wird es nicht geben. Spranger gab im Vorjahr an, dafür keinen Bedarf zu sehen. "Berlin hat 2.500 Sportvereine mit mehr als 600.000 Mitgliedern, das ist doch auch eine Beteiligung", sagte sie damals.
Wahrscheinlich geht es auch darum, ein Desaster wie vor knapp zehn Jahren in Hamburg zu verhindern, als ein Referendum alle Olympiaambitionen des damaligen Bürgermeisters und heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz zerschmetterte.
Kritiker gibt es nämlich auch in Berlin genug, die dem IOC Vetternwirtschaft und Korruption anlasten, und die sich fragen, wer denn eigentlich von den Spielen profitiert, und warum ausgerechnet das klamme Berlin, das seinen eigenen Breitensportvereinen nicht genügend adäquate Sportstätten zur Verfügung stellen kann, warum also gerade diese Stadt das weltgrößte Spitzensportevent ausrichten will.
Klar ist: Ohne den Rückhalt der Bürgerinnen und Bürger geht es nicht. Nicht zuletzt deswegen, weil das IOC laut Maennig selbst Umfragen in Bewerberstädten beauftragt, um zu prüfen, ob die Bewohner auch genug Lust auf Olympia verspüren. Das IOC, so Maennig, wolle dabei "mindestens 60 bis 66 % Zustimmung" haben.
Ob diese Zahlen stimmen, das beantwortete das IOC auf rbb24-Nachfrage nicht. Es bestätigte allerdings, eine unabhängige Meinungsumfrage in einer "vorgeschlagenen Austragungsregion" bzw. dem Land zu beauftragen. An diesem Punkt des Verfahrens, so geht aus der Antwort hervor, sei der Deutsche Olympische Sportbund allerdings noch nicht.
Immerhin, im Olympiastadion wäre die IOC-Auswahlkommission an diesem lauen Spätsommerabend restlos überzeugt worden: Berlin hat Lust auf die Sommerspiele.
Doch auch Niroomand bestätigte auf Nachfrage: In Ländern wie Frankreich und Deutschland könnten die Olympischen Spiele "nur stattfinden, wenn die Bevölkerung dahintersteht".
"Wir müssen die Bevölkerung davon überzeugen, dass solche Bilder, die von Paris in die Welt gegangen sind, auch von Berlin ausgehen können".
Ja, in Frankreich lag man sich in den Armen. Hatte der Sport gewirkt?
In Deutschland scheint man gerade ja vor allem im Streit zu liegen, so zumindest die Grundstimmung. Die Sehnsucht nach Paris, sie ist vielleicht auch ein bisschen die Sehnsucht nach Harmonie.
Sendung: rbb24, 18.09.2024, 21:45 Uhr
Beitrag von Shea Westhoff
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