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Quelle: IMAGO/Huebner/Nordphoto | Collage: rbb

Fußballgötter, Stadtmeister und Revierduelle

Derby-Liebe und die Sehnsucht nach dem Hassgegner

Schalke gegen Dortmund, Hertha gegen Union, St. Pauli gegen den HSV – in Derbys gipfelt die Fußball-Leidenschaft. Spieler werden zu Helden, ihre Fans laufen zu Höchstform auf. Die Nachbarschaftstreffen der weniger netten Art. Von Jakob Lobach

Dieser Fußball-Samstag kann sich aus Berliner Sicht sehen lassen. Der 1. FC Union Berlin gegen Borussia Dortmund, ein paar Stunden später Hertha BSC zu Gast beim FC Schalke 04. Zwei Spiele, zwei absolute Highlights in Sachen Stimmung.

Wäre da nicht dieses kleine bisschen Wehmut beim Lesen dieser vier Namen. Könnte man doch nur ein kleines bisschen an den beiden Paarungen schrauben, sich als Vertretungs-Fußballgott für einen Tag auch über Liga-Zugehörigkeiten und solcherlei Kleinigkeiten hinwegsetzen. Man könnte den ansehnlichen Fußballsamstag in einen mit Abrisspotenzial verwandeln.

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Gänsehaut und brutale Glücksgefühle

Es sind zwei Spiele, die die Fanherzen fast gesundheitsgefährdent höherschlagen lassen: Der 1. FC Union gegen Hertha BSC und etwas weiter westlich Borussia Dortmund gegen Schalke 04. Wobei es schon ein wenig her ist, dass die Anhänger der vier Klubs in westfälische Derby-Wallungen verfallen durften oder die Berliner Gebete nach einem Duell um den Titel des Stadtmeisters erhört wurden. Warum diese beiden Duelle selbst den Fans fehlen, die nicht singend in den Kurven stehen, wird spätestens dann klar, wenn andernorts zwei Klubs zum oft weniger netten Nachbarschaftstreffen zusammenkommen.

Oder natürlich, man fragt einfach bei Torsten Mattuschka nach. Für so manch einen Köpenicker oder Cottbuser ist der 44-Jährige der einzig Wahre unter den weltweit vielen Fußballgöttern. Zumindest aber ist der Ex-Profi und aktuelle Zweitligaexperte zweifelsfrei befugt, über die Faszination eines Derbys zu sprechen. Mit seinem Freistoß am Samstag, dem 5. Februar 2011 hat er sich dieses Recht auf Lebenszeit gesichert.

70 Minuten sind gespielt im Olympiastadion, ein 1:1 leuchtet auf der Anzeigetafel, "Tusche" steht bereit. Vier Schritte Anlauf, den Ball leicht angedreht, dann direkt zum Jubel abgedreht. "Der war hässlich. Ich habe ja sonst fast nie gejubelt, also habe ich auf meiner Brust rumgekloppt wie ein Orang-Utan", erinnert Mattuschka sich. "Aber klar, diese Gefühle, was da abging, das war Gänsehaut pur. Die 25.000 Unioner in der roten Ecke, das waren brutale Glücksgefühle, die da durch deinen Körper gehen", erzählt er.

Ein Köpenicker Fußballgott: Torsten Mattuschkas Derby-Jubel mit Santi Kolk. | IMAGO/Annegret Hilse | Quelle: IMAGO/Annegret Hilse

Ein Derby nach 1.585 Tagen

Brutales Glück hier, derbste Enttäuschung da – größer als in einem Derby ist die Fallhöhe der Gefühle selbst im Sport nur selten. Stück für Stück schraubt sie sich vor dem Spiel hoch, bei den Fans und irgendwann auch den Spielern. "Wenn du gegen Sandhausen spielst, musst du dich selbst hochfahren", sagt der eigentlich fast immer hochgefahrene Mattuschka, "vor einem Derby bist du auf Hochspannung." Hochspannung, die sich an Derby-Spieltagen auch auf den Rängen eindrucksvoll entlädt.

Zuletzt im September in Düsseldorf. Exakt 1.585 Tage hatten sie warten müssen, die Fans der Fortuna auf ihr Derby gegen den 1. FC Köln. Dessen Fans hatten sich zuletzt die Fohlen aus Mönchengladbach ausgesucht, um ihre Geißbock-Hörner abzustoßen. Ihr Abstieg? Für die Düsseldorfer ein Segen. Mit einer fast göttlichen Choreografie bedankten sie sich im September bei ihrer für das Schicksal zuständigen Namensgeberin. "Die Fans verlangen in einem Derby von der Mannschaft 100 Prozent, aber geben sie ja auch", sagt Mattuschka "sie sind noch lauter, noch intensiver, noch länger am Anschlag."

Mit göttlichem Beistand gegen den 1. FC Köln: Die Fans von Fortuna Düsseldorf. | Bild: IMAGO/kolbert-press | Quelle: IMAGO/kolbert-press

Abneigung von Leipzig bis München

In Nürnberg und Fürth sind sie noch dazu besonders oft am Anschlag. 272-mal bislang, um genau zu sein. Ganze 13 Kilometer trennt die Stadien der Clubberer und der Kleeblätter, die nächste Nachbarschaftswanderung zum am häufigsten ausgetragenen Derby Deutschlands wartet am 20. Oktober. Nur noch zwei Tage, statt zwei Wochen müssen die Fans in Leipzig auf ihr Herbst-Highlight warten.

Also die echten Leipziger, die auch schon solche waren, bevor ein gewisser Getränkehersteller ihrer Stadt einen Erstligisten schuf. Lok Leipzig gegen Chemie Leipzig – im Bruno-Plache-Stadion dürfte es am Sonntag im wahrsten Sinne des Wortes brennen. Ähnlich wie der Schmerz in der Brust der Unterlegenen am Montagmorgen danach: "Der eine Fan geht mit breiter Brust und einem Lächeln auf die Arbeit", sagt Mattuschka, "der andere wird ein halbes Jahr lang gepiesackt."

Im Süden, genauer gesagt in München sind diese Rollen ohnehin seit Jahren klar verteilt. Die Bayern-Brust ist so breit, dass man sofort weiß, von welchem der beiden Münchner Vereinen die Rede ist - obwohl die anderen Münchner natürlich nicht weniger bayerisch sind. Und in Hessen? Da gipfelt der Hass zwischen Eintracht Frankfurt und den Kickers Offenbach mittlerweile in der Regionalliga Südwest. Einmal mehr an diesem Wochenende: Rund 3.000 Offenbacher und ihre für Sonntag geplante Reise zum Spiel gegen die U21 der Eintracht sorgen für Kopfschmerzen und Alarmbereitschaft bei der Polizei.

Gemeinsame Zaunparty: Mannschaft und Fans von Chemie Leipzig nach dem letzten Derby. | (Bild: IMAGO / Picture Point LE) | Quelle: IMAGO / Picture Point LE

Derbys bis zum abwinken

"Es gibt schon richtig coole Derbys, sehr hitzige Spiele, bei denen die Stimmung auf Anschlag ist", fasst Torsten Mattuschka zusammen, was sich nicht so einfach zusammenfassen lässt. Schließlich ist die bisherige Liste der Lieblingsduelle gegen den unliebsamsten Gegner noch lange nicht vollständig.

Der Hamburger SV, Werder Bremen, St. Pauli und Hansa Rostock zum Beispiel rivalisieren quasi im verachteten bis verhassten Viereck miteinander – oft oldschool mit großen Choreografien und noch größeren Pyroshows. Auch zwischen Braunschweig und Hannover dürfte es trotz aller norddeutscher Gemütlichkeit am Sonntag ebenfalls ungemütlich werden.

Bleibt die Frage, wann auch die Fans in Berlin mal wieder einem Derby entgegenfiebern dürfen? "Ein paar Leute finden es nicht schlecht, dass Hertha gerade unten ist und wir eine Liga höher spielen", sagt der im Herzen Unioner gebliebene Mattuschka, "aber ich hätte das Derby gerne wieder in Liga eins. Das bringt so viel Energie, das wäre schon geil."

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.10.2024, 17:15 Uhr

Beitrag von Jakob Lobach

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