2:1-Sieg gegen Dortmund in der Analyse
Union Berlin freut sich über Kevin Vogts erstes Tor seit knapp zehn Jahren. Beim Sieg über Dortmund bewies die Mannschaft spielerische Reife und eine neue mentale Stärke, die sie Bo Svensson verdankt. Von Till Oppermann
Um zu verstehen, wie lange Kevin Vogt auf sein Tor gegen Dortmund warten musste, hilft es, in den eigenen Erinnerungen zu kramen. 2014 war das Jahr, in dem Deutschland Fußballweltmeister wurde, eine neue Partei namens AfD erstmals in einen Landtag einzog und als der Zweitligist Union Berlin einen österreichischen Außenverteidiger namens Christopher Trimmel verpflichtete.
Am 18. Oktober 2014 traf Kevin Vogt für den 1. FC Köln. Er musste bis Samstag warten, bis er endlich wieder jubeln durfte. Mit seinem Elfmeter in der 26. Minute der Partie gegen Borussia Dortmund endete für Vogt eine fast zehn Jahre währende Torflaute.
"Nein", sagte Vogt nach der Partie lachend, er könne selbst nicht erklären, warum das so lange gedauert habe. "Da fehlen mir jegliche Argumente." Immerhin scheint schon seit einigen Wochen klar gewesen zu sein, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er eine gute Chance bekommen würde. Vogt habe im Training häufig Elfmeter geübt, erklärte Trainer Bo Svensson. Seine Sicherheit im Training brachte Unions neuem Elfmeterschützen das Vertrauen der Mannschaft ein.
Dieses Vertrauen spürte er auch auf dem Platz: "Ich habe direkt nach dem Pfiff so sechs Köpfe gesehen, die in meine Richtung geguckt haben", erzählte Vogt. "Da war mir klar, dass ich die Verantwortung übernehmen muss." Er hielt dem Druck stand. Sein Schuss mit der Innenseite flog mit über 100 Kilometern pro Stunde in den Winkel. So souverän wie Vogt hatte bei den Eisernen lange niemand mehr vom Punkt verwandelt.
So ist nach dem Spiel eines klar: Der 33-Jährige schießt auch Unions nächsten Elfmeter. Wenn er dann noch auf dem Platz steht. Gegen Dortmund musste der Verteidiger nach gut 60 Minuten ausgewechselt werden. Schiedsrichter Tobias Reichel habe ihm klar zu verstehen gegeben, dass er sich am Rande eines Platzverweises bewegte. Schon in der 15. Minute hatte Vogt Gelb gesehen. Wie jeder seiner Mitspieler warf er sich auch danach noch in jeden Zweikampf. "Eisern kämpft Union" singt Achim Mentzel in seiner Stadionhymne. Am Samstag war das so.
Sehr zur Freude des Trainers Svensson, der den Grund kannte. "Die Jungs haben das einfach sehr gut umgesetzt", sagte er und meinte seinen Matchplan. "Wir waren sehr mutig und sind sehr hoch angelaufen", fand auch Vogt. Mit seinen Abwehrpartnern Christopher Trimmel, Diogo Leite, Danilho Doekhi und Tom Rothe musste er schon früh im Spiel immer wieder ab der Mittellinie Eins-gegen-Eins verteidigen. Denn Union begann sein mannorientiertes Pressing am Dortmunder Strafraum. "Die erste Halbzeit haben sie uns sehr hoch und aggressiv angelaufen. Damit haben wir unsere Probleme gehabt", gab Dortmund-Keeper Gregor Kobel zu.
Schon vor Vogts Führung stießen die Unioner immer wieder gefährlich in den Dortmunder Strafraum. Neun zu vier Schüsse und eine 2:0-Führung zur Halbzeit belegen, wie dominant die Eisernen im ersten Durchgang spielten. Obwohl Dortmund laut Statistik 60 Prozent Ballbesitz hatte, war Bo Svenssons Mannschaft optisch klar überlegen.
Seinen Anteil daran hatte Aljoscha Kemlein. Bei seinem ersten Startelfeinsatz für Union zeigte der Mittelfeldspieler aus der eigenen Jugend, dass ihm die Zukunft gehört. Im Gesicht sieht Kemlein zwar noch aus wie ein Abiturient, aber seine Spielweise erinnert an die von Nationalspieler Robert Andrich. Gegen Dortmund rannte er übers ganze Feld, führte robuste Zweikämpfe und spielte direkt und genau in die Tiefe. Vor dem Elfmeter von Vogt war es Kemlein, der den kurz darauf gefoulten Benedict Hollerbach mit punktgenauem langem Ball in den Lauf viel Platz verschaffte.
Trotz seiner starken Leistung wechselte Svensson den 20-Jährigen nach 67 Minuten aus. Mittlerweile störte Union nicht mehr am Dortmunder Strafraum, sondern verteidigte tief in der eigenen Hälfte. "Wir wussten, dass es mit dieser Intensität irgendwann schwer werden würde", erklärte Svensson.
Aber obwohl Union zwischen dem Anschlusstreffer in der 62. und der 80. Minute so gut wie keine Entlastung gelang, wurde es vor dem eigenen Tor nie wirklich gefährlich. Nach Svenssons Auswechselungen formierte sich Union im altbekannten 5-3-2 und spielte wie in besten Fischer-Zeiten. Was aussah wie eine Verschlechterung zur ersten Halbzeit, ist in Wahrheit eine große Stärke. Denn so ist Union ist schon früh in der Saison in der Lage, sich die nötigen Pausen von Svenssons intensivem Pressing zu nehmen, ohne Chancen zuzulassen.
Zumal man der Mannschaft in der Schlussphase keine Nervosität anmerkte. Obwohl sich die sechsminütige Nachspielzeit für manche Fans ungefähr genauso lang angefühlt haben dürfte, wie Kevin Vogts Zeit ohne Tor. Obwohl Union vor einer Woche gegen Gladbach genau in dieser Phase ein bitteres Gegentor kassiert hatte. Auch Svensson hob das lobend hervor: "Nach so einer Last-Minute-Niederlage so ein Team zu sein. Das freut mich richtig." Wer viele der Spieler und ihre kopflosen und nervösen Leistungen in der Vorsaison gesehen hat, weiß: Diese neue mentale Stärke verdankt Union vor allem Bo Svensson.
Sendung: rbb24, 05.10.24, 21:45 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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