2:0-Sieg in Kiel in der Analyse
Union Berlin bleibt erfolgreich. Dabei helfen nicht nur die altbekannten kämpferischen Stärken. Beim 2:0 in Kiel wurden zwei junge Spieler zu den Hauptdarstellern. Von Till Oppermann
Dirk Zingler ist seit mittlerweile 20 Jahren Präsident des 1. FC Union. Und erfolgreich. Die sportlichen Entscheidungen überließ er dabei stets seinem "Fachpersonal". Er selbst sei schließlich Bauunternehmer, betont er oft und gerne.
Spätestens seit Unions Auswärtsspiel in Kiel ist aber klar: Auch der Vereinspräsident kennt sich mit Fußball aus. "Er wird sicherlich der zukünftige linke Außenverteidiger in der Nationalmannschaft", schwärmte Zingler kürzlich über Tom Rothe. In Kiel war der 19-Jährige mit einer Vorlage und einem Tor der entscheidende Mann. Ein junger Spieler als Matchwinner - sowas hatte es bei Union lange nicht mehr gegeben.
Nach dem Aufstieg in die Bundesliga gehörte es zur Strategie, sich möglichst viel Bundesligaerfahrung in den Kader zu holen. In der Folge wurden häufig Spieler jenseits der 30 verpflichtet. Auch in dieser Saison stellen die Eisernen den durchschnittlich ältesten Kader der Liga. Führungsspieler wie der 37-jährige Christopher Trimmel, der 33-jährige Kevin Vogt und der 32-jährige Frederik Rönnow sind die Gesichter der Mannschaft.
Das könnte sich bald ändern. Denn in ihrem Schatten tummeln sich mittlerweile mehrere hochtalentierte Jungspunde. Da wären die blonden Lockenköpfe Rothe, Benedict Hollerbach (23) und Leopold Querfeld (20). Dass diese Verjüngungskur einem Plan folgt, beweist Aljoscha Kemlein. Auch der ist erst 20 Jahre alt und kommt noch dazu aus der eigenen Jugend. Es sei klarer Wunsch des Präsidiums, ihn in die erste Mannschaft zu integrieren, forderte Zingler deshalb schon in der Saisonvorbereitung.
Gegen Kiel stand Kemlein am Sonntag zum zweiten Mal in Bo Svenssons Startelf. Er dankte es seinem Trainer mit einem Tor. In der 18. Minute köpfte Kemlein zur Führung ein - nach einer perfekt gespielten Flanke von Rothe. Das Tor nach Koproduktion der beiden jüngsten Spieler auf dem Feld war zu diesem Zeitpunkt mehr als verdient.
Von Beginn an hatten die Köpenicker Kiel dominiert. Erneut zeigten Svenssons Unioner mit flachen Passkombinationen und viel Ruhe am Ball, dass sie insbesondere im eigenen Ballbesitz eine gute Entwicklung nehmen. Immer wieder suchte Union dabei den Weg über Rothes Seite. 65 Prozent der Angriffe spielte Union in der ersten Halbzeit über links. Immer wieder kam die Mannschaft in die gefährlichen Zonen in und um Kiels Strafraum. Kein Wunder, dass Svensson später sagte: "Vor allem die erste Hälfte hat mir besonders gut gefallen."
Wer genau liest, merkt schnell: In dieser Aussage steckt ein "aber". "Nach dem Seitenwechsel hatten die Kieler gute Phasen und kamen zu ihren Chancen", erklärte Svensson. "Hier können wir uns bei unserem starken Torhüter bedanken." Bei Fernschüssen von Nicolai Remberg und Finn Porath war der angesprochene Rönnow mit akrobatischen Paraden zur Stelle. Mindestens genauso wichtig ist eine andere Qualität des dänischen Nationaltorhüters.
Kiels Flanken wurden selten gefährlich, weil Rönnow sie selbst acht oder neun Meter vor dem Tor aus der Luft pflückte wie reife Früchte. Vor ihm verteidigten Vogt, Danilho Doekhi und Diogo Leite mit viel Ruhe. Trotz ihres spielerischen Übergewichts kamen die Kieler nicht zu klaren Chancen im Strafraum. Auf die Abwehr kann sich Union verlassen, wenn das Gegenpressing mal nicht klappt und der Gegner so drückt wie Kiel zu Beginn der zweiten Halbzeit. Der resignierte Kieler Timo Becker fasste zusammen: "Union ist eine super Mannschaft, die gut verteidigt und uns kaum Chancen gelassen hat."
Mit vier Gegentoren nach sieben Spielen stellen die Berliner die zweitbeste Defensive der Liga. Dazu gewinnt Union im Ligavergleich die meisten Kopfballduelle, ist das zweitbeste Team bei den Zweikämpfen, läuft im Schnitt knapp 120 Kilometer pro Spiel und foult am häufigsten. Wenn Kemlein dann noch sagt, man wolle weiter von Spiel zu Spiel denken und sich auf die Basics konzentrieren, müssen beim Rest der Liga dunkle Erinnerungen wach werden. Nach den ersten sieben Spieltagen der Saison erinnern die neuen Unioner gefährlich an die Mannschaft, mit der Urs Fischer dreimal in Folge den Europacup erreichte.
"Momentan macht es sehr viel Bock mit der Truppe auf dem Platz zu stehen", schwärmte Rothe. Wie viel der fünfte Platz - punktgleich mit Meister Leverkusen - wert ist, werden die nächsten Spiele zeigen. Mit Eintracht Frankfurt, Bayern München und dem SC Freiburg treffen die Eisernen auf drei Mannschaften aus der Top Sechs der Liga. Nicht nur Dirk Zingler wird sich wünschen, dass Kemlein und Rothe auch in den Spitzenspielen zeigen dürfen, wie gut sie sind.
Sendung: rbb24, 20.10.24, 21:45 Uhr
Beitrag von Till Oppermann
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