Autor Ronny Blaschke im Interview
Die schillernde Fußball-Unterhaltungsindustrie und der verstaubte Kolonialismus: Für Ronny Blaschke ist beides miteinander verknüpft. Im Interview spricht der Autor über Rassismus in Vereinen, Klischees in Computerspielen und mögliche Lösungen.
rbb|24: Herr Blaschke, Fußball ist ein Fest der Vielfalt, Fußball ist Völkerverständigung. So oder so ähnlich betonen es die Verbände gerne. Was stört Sie daran?
Ronny Blaschke: Einige dieser Begriffe stammen aus einer Zeit, in der die französischen und britischen Gründer der Fifa [Weltfußballverband; Anm.d. Red.] und des Internationalen Olympischen Komitees als Kolonialmächte sozusagen an der Spitze der Hierarchie standen. Sie konnten bestimmen, was Völkerverständigung heißt. Auch heute sind es meistens männliche und weiße Funktionäre, die sich gegenseitig rekrutieren und dann entscheiden, was Völkerverständigung heißt. Wenn in diesen Gremien mehr Frauen wären, mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte, dann gäbe es vielleicht eine andere Definition des Begriffs.
Die Recherchen für Ihr Buch "Spielfeld der Herrenmenschen" haben Sie in neun Länder auf fünf Kontinenten geführt, Sie haben dabei mit mehr als 120 Menschen gesprochen. Wie hat sich dadurch Ihr Blick auf den Fußball verändert?
Eine grundlegende Erkenntnis war: Ohne den Kolonialismus würde es den Fußball als globalen Sport gar nicht geben. Wir sind immer so froh und stolz, dass wir Teil dieser globalen Bewegung sind und dass überall Menschen Fußball spielen können. Aber er ist verbreitet worden, weil sich britische, französische, portugiesische, auch deutsche Soldaten bei der Ausbeutung anderer Länder ihre Freizeit vertreiben wollten und dabei Fußball gespielt haben.
In Ihrem Buch thematisieren Sie eine repräsentative Studie, der zufolge rassistische Einstellungen im Umfeld von Fußballvereinen stärker ausgeprägt seien. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Da müsste man sicherlich noch weiterforschen. Es ist auf jeden Fall widersprüchlich. Der Fußball ist ja bunter als der Rest der Gesellschaft. Zum Beispiel: Im Finale der U17-Weltmeisterschaft waren acht oder neun Spieler der deutschen Startelf nicht weiß. Es hat aber nur rund ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland eine Migrationsgeschichte. Im Fußball ist die Einwanderungsgesellschaft sozusagen überrepräsentiert. Und jetzt denken viele Leute: Die schwarzen Fußballer haben wahrscheinlich mehr Talent. Aber sie sehen nicht, dass genau diese Spieler woanders ausgegrenzt werden, in der Bildung, bei Praktika, auf dem Arbeitsmarkt. Und dass sie oftmals – auch das ist eine Langzeitfolge des Kolonialismus – für ihre Körper gefeiert werden und manche Leute sie vielleicht auch wegen der Hautfarbe überhaupt für den Sport empfehlen. Aber eben nicht für das Jurastudium.
Sie legen den Fokus weniger auf den offensichtlichen Rassismus, wie Schmäh-Rufe von den Rängen, sondern Sie problematisieren gängige Vorurteile, die vielen vielleicht gar nicht auffallen. Zum Beispiel, wie schwarze Spieler bei Computerspielen bewertet werden.
Da haben zwei britische Wissenschaftler eine Version des Computerspiels "Fifa", einem Franchise von EA Sports, analysiert und sich angeschaut, wie die Programmierer das genau machen. Diese müssen ja digitale Ebenbilder von realen Spielern schaffen. Dafür gibt es kleinteilige Kompetenzen, vermeintliche kognitive, vermeintliche körperliche. Heraus kam bei den Analysen, dass Schwarze überproportional oft für ihre körperlichen Fähigkeiten programmiert werden und Weiße für ihre Spielintelligenz. Sowohl das Computerspiel als auch viele Fußball-Medien lassen den Eindruck entstehen, dass weiße und schwarze Fußballer unterschiedliche Veranlagungen hätten.
Sie kritisieren auch, dass in TV-Kommentaren beim Thema "Schnelligkeit" die Wahrscheinlichkeit dreimal höher sei, dass es um einen Spieler mit dunkler Hautfarbe geht. Allerdings: Wenn doch die Statistiken tatsächlich belegen, dass in der Bundesliga viele der schnellsten Spieler nicht weiß sind – wie kann es dann problematisch sein, das auch zu benennen?
Ein Problem entsteht, wenn die Reporter nur das Körperliche betonen und den Eindruck erwecken, dass schwarze Fußballer per se schneller sind – was nicht stimmt. Ich fand Forschungsergebnisse aus Australien diesbezüglich interessant. Bei der Sportart Australian Rules Football, einer Mischung aus Rugby und Fußball, sind mehr als zehn Prozent der Spieler indigener Herkunft, obwohl es in der australischen Bevölkerung nur drei Prozent sind. Man ist der Ansicht, diese Spieler seien schneller, seien wendiger, hätten einen sechsten Sinn. Deswegen werden sie stärker rekrutiert und werden stärker dorthin gedrängt. Das heißt nicht, dass sie tatsächlich schneller sind, aber sie sind einfach präsenter.
Einer der Protagonisten Ihres Buches ist Pablo Thiam, der in den Nullerjahren unter anderem beim FC Bayern München spielte und später Leiter der Fußball-Akademie von Hertha BSC wurde. Was hat Sie an seiner Geschichte beeindruckt?
Mich hat beeindruckt, dass er überhaupt offen für das Interview war und dabei sehr reflektiert. Er war einer der wenigen schwarzen Funktionäre im Fußball. Er hat von den Neunziger- und Nullerjahren berichtet, dass es damals utopisch war, das Thema Rassismus offen anzugehen. Es herrschte eher die Haltung: Anfeindungen musst du mit guter Leistung zurückzahlen, da musst du drüberstehen. Er selbst, so glaubt er, war stabil und selbstbewusst genug, um das alles zu meistern. Für ihn war es okay, oft die einzige schwarze Person im Raum zu sein.
Thiam berichtet unter anderem davon, während seiner Profizeit von Schlägern in Bomberjacken bedroht worden zu sein. Warum war es denn so schwer, solche Missstände in der breiten Öffentlichkeit zu thematisieren?
Es gab keine Projekte diesbezüglich, keine Kampagnen, was es erst jetzt allmählich gibt. Die Neunziger Jahre waren eine Zeit, in der es todbringende Anschläge gegen Migranten gab. Gastarbeiter und Vertragsarbeiter waren nicht wirklich willkommen. Wir hatten ganz viel, was der Deutsche Fußball-Bund selbst und auch viele Vereine nicht aufgearbeitet haben. Es gab rechtsextreme Hooligans, auch bei Hertha BSC und vielen weiteren Klubs. Nach wie vor haben wir ein sehr weißes Publikum in allen Bundesliga-Stadien. Das war kein Umfeld, wo Fußballer vor 30 Jahren mit Selbstvertrauen an die Öffentlichkeit hätten gehen können, um Rassismus zu bekämpfen. Und das ist es eigentlich bis heute nicht.
Die nächste Fußball-WM wird hauptsächlich in den USA stattfinden, wo der Präsident dann wieder Donald Trump heißen wird. Welchen Einfluss könnte seine Wiederwahl auf das Turnier haben?
Ich war für meine Recherchen in Los Angeles, wo fast die Hälfte der Menschen Latinos sind. Die Fankultur dort war total geil, vieles auf Spanisch, manches auch Koreanisch, die Stadt ist sehr divers. Die USA sind das einzige westliche Land, wo Fußball nicht die beliebteste Sportart ist. Fußball gilt eher als Sportart der weißen Mittelschicht. Es kostet dort sehr viel Geld, im Fußball überhaupt an die Spitze zu kommen. Die Latinos fühlen sich davon auch benachteiligt. Und na klar, wenn ein Präsident die Latinos per se als Vergewaltiger und Mörder bezeichnet und Migration im Wahlkampf eines der großen Themen war, dann wird das vielleicht irgendwo eine Rolle spielen. Trotzdem: Das Turnier ist ein lukratives Geschäft, und ohnehin sind die drei Ausrichter USA, Mexiko und Kanada wirtschaftlich aufs engste verbunden. Das wird auch Donald Trump erkennen. Deswegen kann er nicht viel kaputt machen, weil es ein Selbstläufer ist.
Fußball ohne Diskriminierung, wie würde der aussehen?
Fußball ohne Diskriminierung wird es leider nicht geben. Das sollten wir auch nicht suggerieren. Diese Erzählung von der bunten Nationalmannschaft überdeckt auch den strukturellen Rassismus, wo schwarze Menschen oftmals als Fußballer angesehen werden, aber nicht als Führungskräfte. Und auch dieses ewige Zitat "Integration durch Sport", das stimmt eigentlich auch nicht. Bei Stars wie Mesut Özil, Karim Benzema und Marcus Rashford geht oder ging es um Integration durch Erfolg, um Integration durch Tore, Integration durch verwandelte Elfmeter. Das sind Menschen, die in den jeweiligen Ländern aufgewachsen sind, aber die letztendlich, sobald sie scheitern oder sich politisch äußern, nicht mehr anerkannt werden.
Und wie sähe ein Schritt in die richtige Richtung aus?
Für wichtig halte ich Quoten-Regelungen, die Bonifizierung von guten Projekten, aber auch Sanktionierung von schlechten. Da muss der Fußball härter eingreifen und nicht nur hoffen, dass es alles von selbst passiert.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Shea Westhoff, rbb Sportredaktion.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.11.2024, 09:15 Uhr