Inklusion im Sport
Vor 15 Jahren wurde die UN-Behindertenrechtskonvention verabschiedet. Im deutschen Grundgesetz ist der Gleichheitsgrundsatz festgeschrieben. Doch im Sport gibt es - gerade in Inklusionsfragen - nach wie vor großen Handlungsbedarf.
"Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Vor fast auf den Tag genau 30 Jahren wurde dieser Satz in Artikel drei des deutschen Grundgesetzes festgeschrieben. Es war ein wichtiger politischer Schritt, der auch weit in die Sportwelt hineinwirkte und dem weitere folgten. Die Behindertenrechtskonvention der UN beispielsweise, deren 15. Geburtstag unter anderem am Montag mit einem Festakt im Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefeiert wurde.
Dass mit Sven Albrecht dabei auch der Geschäftsführer der Special Olympics Deutschland als einer von mehreren Rednern im Fokus stand, steht symbolisch für die Schlüsselrolle des Sports in der Frage nach Chancengleichheit für Menschen mit Beeinträchtigung. Eine Schlüsselrolle, die nur schwallweise immer mal wieder in den Fokus rückt, etwa als im Sommer 2023 in Berlin die Special Olympics World Games stattfanden. Diese nur gelegentlich große Aufmerksamkeit ist einer der Gründe für den großen Handlungsbedarf im Sport mit Blick auf Artikel drei des Grundgesetzes.
"Das würde ich schon als sehr durchwachsen bezeichnen", antwortet Sven Albrecht im Gespräch mit rbb|24 auf die Frage, wie es in Deutschland um die Inklusion im Sport stehe. Seit 1991 setzt sich der Special Olympics Deutschland e.V. für die Interessen von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung im Sport ein. Der Verein dient dabei als Schnittstelle zwischen zahlreichen Organisationen, Sportvereinen und -veranstaltern sowie der Politik. Dass es in den vergangenen Jahren Fortschritte in Sachen sportlicher Inklusion gegeben, bestreitet Albrecht keinesfalls. "Durch die UN-Behindertenkonvention hatten wir 2009 einen großen Schub", sagt er. Auch die World Games würden – zumindest punktuell – dazu beitragen, "dass wir Aufmerksamkeit erzeugen können und es ein Gesamtverständnis von gibt, wie wichtig Teilhabe im Sport für Inklusion ist."
Einziges Problem: Besagte Aufmerksamkeit und Verständnis variieren nicht nur, sondern sind bestenfalls eine Grundlage für Inklusion. Eine, auf die zuletzt zu wenig aufgebaut wurde. "Wenn man sich die nackten Zahlen anguckt, sieht man, dass Menschen mit Beeinträchtigung deutlich seltener an Sportangeboten teilnehmen als Menschen ohne Beeinträchtigung." Der Mitgliederrekord, den der Deutsche Olympische Sportbund jüngst für den organisierten Sport verkündete, hat mit der Entwicklung inklusiver Sportangebote wenig gemeinsam.
Albrecht weist hierbei auf zwei Kernprobleme hin: ein Rückgang von spezifischen Sportangeboten für Menschen mit Beeinträchtigung und ein massiver Mangel an gemeinsamen Angeboten für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung. "Es ist sehr selten, dass man wirklich inklusiv Mitglied in einem Verein ist. Der allergrößte Anteil an Sportangeboten liegt in Organisationen der Behindertenhilfen", sagt Albrecht und ergänzt: "Dort haben wir aber das Problem, dass der Sport zu Corona-Zeiten ein Stück weit abgebaut und bislang nur bedingt wieder aufgebaut wurde." Beim Wiederaufbau und Stärken der sportlichen Struktur nach Pandemie-Ende standen schlichtweg andere Bereiche des Breitensportes stärker im Fokus.
Auf politischer Ebene engagiert sich Special Olympics Deutschland deswegen bei der Gestaltung, eines neuen Kinder- und Jugendgesetzes, das die Inklusion von Menschen mit geistiger und körperlicher Beeinträchtigung künftig fördern und leichter machen soll. Darüber hinaus nennt Albrecht drei Schlüsselmaßnahmen. Erstens: frühzeitiger Kompetenzaufbau. "Auch für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ist eine frühzeitige Bewegungserziehung essenziell – entweder in den Förderschulen, idealerweise in inklusivem Sportunterricht." Zweitens: Angebote schaffen. Es gibt schlichtweg zu wenige Sportvereine, die inklusiven Sport anbieten. "Da geht es sehr stark darum, die Vereine aufzuklären und mit Qualifikationen fit zu machen", sagt Albrecht. Und drittens: Barrierefreie Infrastruktur schaffen.
Prominent auf die Fahne geschrieben hat sich das der Berliner Senat zuletzt mit Blick auf den Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Der soll nach seinem viel diskutierten – und zuletzt direkt wieder unterbrochenen – Umbau ein Leuchtturm sportlicher Inklusion sein. "Es ist sehr wichtig, solche Glanzlichter zu haben, die Vorbildfunktion haben und an denen Begegnung entsteht", sagt Albrecht, "aber es darf nur ein Teil von vielen Maßnahmen sein". Schließlich ist weiterhin ein großer Teil der Berliner Sportstätten, in denen Breitensport betrieben wird, keinesfalls für alle Menschen mit Beeinträchtigung. "Es ist staatliche und kommunale Aufgabe sicherzustellen, dass Orte und Anreise barrierefrei sind", nimmt Albrecht die Politik hier in die Pflicht.
Und zu guter Letzt schiebt Albrecht noch einen vierten, vielleicht sogar den wichtigsten Schlüssel hinterher: gesellschaftliche Veränderung. "Man muss eindeutig sagen, dass das Gesellschaftsklima zuletzt nicht inklusionsfreundlicher geworden ist", sagt er und bezieht sich hierbei auf die jüngsten Wahlergebnisse in den unterschiedlichen Bundesländern. "Die Eingliederungshilfe ist nicht nur wichtig für die Finanzierung sozialer Teilhabe, sondern auch kommunale Aufgabe", sagt Albrecht, "und wenn die Spitzenkandidaten bestimmter Partien in Inklusionsfragen von gesunden und kranken Kindern sprechen, fragt man sich wo das hinführt." Die Befürchtung, dass es eine andere Richtung sein wird als die einst von Artikel drei des Grundgesetzes vorgegebene, hat nicht nur Sven Albrecht.
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