Mission Aufstieg
Hertha BSC beendet die Hinrunde mit nur 22 Punkten auf Rang zwölf - deutlich zu wenig für das Saisonziel Aufstieg. Um in der Rückrunde noch einmal anzugreifen, sollten die Berliner wichtige Erkenntnisse aus der ersten Saisonhälfte ziehen. Von Marc Schwitzky
Nur 22 Punkte aus 17 Spielen, Tabellenplatz zwölf mit bereits sieben Zählern Abstand auf einen direkten Aufstiegsplatz und nur ein Sieg aus den letzten sieben Ligaspielen – Fußball-Zweitligist Hertha BSC geht mit keinem guten Gefühl in die Winterpause. "22 Punkte sind für unsere Ansprüche zu wenig. Da brauchen wir gar nicht drumherumreden", stellt auch Herthas Sportdirektor Benjamin Weber klar. "Natürlich steckt mehr drin. Und darum wird es gehen: dass wir das Potenzial, das in der Mannschaft drinsteckt, noch mehr abrufen und in Punkte ummünzen."
So kritisch Weber mit der sportlichen Situation der "alten Dame" umgeht, so wenig rüttelt er an Trainer Cristian Fiél. Es sei "total legitim", dass Medien und Umfeld aufgrund der bisherigen Bilanz des 44-Jährigen über dessen Position debattieren, so Weber. Aber: "Für uns geht es darum, die Sachen zu analysieren und die Ableitung daraus zu treffen. Das haben wir in der letzten Woche auch schon gemeinsam getan. Deswegen gibt’s da keine Trainerdiskussion." Ein klares Bekenntnis.
Und so wird es für die Berliner Verantwortlichen darum gehen, gemeinsam mit Trainer Fiél an anderen Stellschrauben zu drehen und wichtige Lehren aus der Hinrunde zu ziehen, um 2025 noch einmal oben anzugreifen.
Die Liste schmerzhafter Erkenntnisse aus der abgelaufenen Hinrunde ist lang – und betrifft eben auch Fiél. Der Deutsch-Spanier kam im vergangenen Sommer als Nachfolger von Pal Dardai in die Hauptstadt, um einen dominanten, mutigen Fußball zu implementieren. Waren die ersten Spiele noch von vielversprechenden Ansätzen eines ambitionierten Ballbesitzfußballs geprägt, muss nach 17 Partien ein ernüchterndes erstes Fazit gezogen werden.
Hertha verbucht zwar den durchschnittlich zweithöchsten Ballbesitz der 2. Bundesliga, doch führen die vielen Ballkontakte deutlich zu selten zu echter Torgefahr. Aus dem meisten raumgewinnenden Ballbesitz und den zweitmeisten raumgewinnenden Pässen der Liga sind nur 414 schusserzeugende Aktionen (Platz neun in der Liga) und laut der xGoals-Statistik nur 25,05 erwartbare Tore (Platz 13) herausgesprungen. Kurzum: Hertha betreibt spielerisch hohen Aufwand und kommt sehr oft in die gegnerische Spielhälfte, doch konkrete Torchancen entstehen daraus kaum. Es fehlt an Vertikalität, Flankenqualität und der idealen Strafraumbesetzung, um wirklich zwingend zu werden.
Es wirkt, als würde Hertha den Gegner defensiv nicht aufwühlen, sondern vielmehr ungewollt zementieren. Der zu langsame Spielaufbau und berechenbare Angriffsmuster im letzten Spieldrittel locken die gegnerischen Abwehrreihen selten aus der Reserve. Hat Fiél nicht seine absoluten Wunschspieler zur Verfügung und stimmt nicht jede individuelle Tagesform, wird aus der ansehnlichen, konstruktiven Dominanz ein unkreatives, harmloses Herumgeschiebe des Balls. Hier muss Fiél womöglich pragmatischer werden und den Spielern mehr Werkzeuge an die Hand geben, wenn Plan A nicht funktioniert.
Eine "Ableitung" aus der von Weber angesprochenen Analyse könnte sein, dass die Defizite der Mannschaft womöglich nicht an Fiél, sondern an anderen Stellen des Betreuerstabs festzumachen sind. Hertha ist es in den letzten Jahren trainerunabhängig äußerst selten gelungen, Konstanz aufzubauen und Spieler nachhaltig besser zu machen.
Oftmals explodieren die Kicker erst, wenn sie Berlin verlassen haben – auch weil sich ihre vermeintliche Verletzungsanfälligkeit jener Spieler als eher singuläres Phänomen herausstellt und sie echten Rhythmus aufbauen können. Ein berühmtes Beispiel ist Hertha-Eigengewächs Maximilian Mittelstädt, der sich in blau-weiß nie endgültig entfalten konnte, dann aber beim VfB Stuttgart in kürzester Zeit zum deutschen Nationalspieler wurde.
Es scheint oftmals so, als würde es im Team ums Team nicht stimmen. Ganze Abteilungen verändern sich entweder über lange Zeit gar nicht, oder aber sie wurden in den letzten Jahren immer weiter heruntergeschnitten und mit Mitarbeitenden aufgefüllt, die bislang wenig Erfolge nachzuweisen haben. Ob Trainerteam, Athletikabteilung, Scouting oder Videoanalyse – aufgrund der allseits eher negativen Entwicklungen im sportlichen Bereich gebietet es sich für die Vereinsverantwortlichen, im Winter jeden Stein umzudrehen und womöglich personelle Anpassungen abseits des Cheftrainers vorzunehmen.
"Wir müssen und wollen mehr Punkte holen. Es ist sehr, sehr viel möglich, in der Mannschaft steckt viel Potenzial. Das haben wir nicht immer abgerufen", resümierte Weber. Damit die an sich talentierte Hertha-Mannschaft an ihre Leistungsgrenzen stößt, muss sie Grundtugenden auf den Rasen bringen. Denn immer dann, wenn die Blau-Weißen die Intensität nicht hochhalten, bekommen sie Probleme.
In den 17 Partien der Hinrunde ist Hertha achtmal weniger als der Gegner gelaufen. In zwei Spielen, in denen die Hauptstädter mehr Meter als ihr Kontrahent sammelten, waren sie lange Zeit ein Mann mehr – jene Begegnungen müssen also anders bewertet werden. Von jenen insgesamt zehn "lauffauleren" Spielen hat Hertha sieben verloren, dazu zwei Unentschieden erzielt. Nur ein einziges Spiel, in dem die Fiél-Truppe weniger lief – der 3:1-Erfolg in Magdeburg – konnte sie gewinnen.
Die Erkenntnis daraus muss lauten, dass sich Hertha ohne den nötigen Einsatz selbst um viele Punkte bringt, denn immer dann, wenn die Mannschaft ihre Klasse mit der nötigen Intensität kombinierte, war sie für den Gegner schwer zu schlagen. Jene Meter, die Hertha in den besseren Spielen abspulte, stehen für ein intensiveres Pressing und deutlich höhere Aktivität im eigenen Ballbesitz aller Spieler. Diesen Aufwand braucht es in der Rückrunde in deutlich mehr Spielen - eine Frage von Kondition, aber auch Überzeugung.
Konstanz ist allerdings auch ein Qualitätsmerkmal. Zwar beherbergt Herthas Kader viele talentierte Spieler, jedoch sehr wenige, die ihr Potenzial regelmäßig ausreizen und mit Leistung vorangehen. Andauernd auftretende individuelle Patzer, mangelnde offensive Effizienz und eklatante Schwächen beim Verteidigen von Standardsituationen resultieren daraus.
Eine teils alarmierend lange Liste von verletzungsbedingten Ausfällen zahlreicher Leistungsträger wie Fabian Reese oder Linus Gechter haben die Mannschaft sichtlich geschwächt und kaum Konstanz aufbauen lassen. Auch die späten Verkäufe von Marc Oliver Kempf und Haris Tabakovic hat das Team nicht auffangen können. Nach einer gespielten Hinrunde steht die Erkenntnis, dass der verfügbare Kader nicht so gut wie gedacht ist. Auf einigen Positionen müssen immer wieder fachfremde Spieler aushelfen, auf anderen lastet der Druck auf jungen Spielern, die naturgemäß selten auf gleichbleibend hohem Niveau spielen.
Eine Ursache ist, dass die Sommer-Neuzugänge eine durchwachsene Bilanz aufweisen. Michael Cuisance ist ohne Zweifel ein Unterschiedsspieler, mit acht direkten Torbeteiligungen ist er eine echte Verstärkung. Andere Neuzugänge wie Jon Dagur Thorsteinsson und Luca Schuler haben bislang enttäuscht. Diego Demme und Kevin Sessa können dem Kader definitiv helfen, fehlten aber längere Zeit verletzt. John Anthony Brooks konnte bislang noch keine Sekunde spielen. So fallen die Ausfälle und Abgänge bislang stärker ins Gewicht als die Neuverpflichtungen.
Es scheint unabdinglich, dass Hertha trotz einiger Rückkehrer im Winter noch einmal personell nachlegt. Ein gelernter Linksverteidiger, eine verlässliche Option für das defensive Mittelfeld und ein Knipser im Mittelsturm sollten ganz oben auf Webers Wunschzettel stehen.
Beitrag von Marc Schwitzky
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