1. FC Union Berlin
Beim 1. FC Union Berlin dürfte in der Weihnachtspause schlechte Stimmung herrschen. Nach acht sieglosen Ligaspielen und dem Pokalaus in Bielefeld wird offen über die Zukunft von Trainer Bo Svensson diskutiert. Von Till Oppermann
Für das letzte Spiel des Jahres hatten sich die Ultras von Union Berlin im Bremer Gästeblock nochmal etwas besonderes überlegt. Im Unterrang verteilten sie Hunderte rot-weiße Fahnen. Eingerahmt wurde das Kurvenbild von zwei Bannern mit der Aufschrift: "Aus Freude am Fußball". In den zwei Stunden danach wurde diese Freude zu Frust. Nach der 1:4-Niederlage redeten einige Fans am Zaun eindringlich mit den Spielern. Weihnachten dürften bei Union alle mit schlechter Laune verbringen – so schlecht waren die Leistungen der letzten Wochen.
Obwohl die Mannschaft mit 17 Punkten nach 15 Spielen sieben Punkte vor dem Relegationsplatz steht, wackelt sogar der Trainer. Zumindest vermied Sport-Geschäftsführer Horst Heldt nach der Partie ein klares Bekenntnis zu Bo Svensson. Dazu könne er jetzt nichts sagen, antwortete Heldt auf die Frage nach der Zukunft des Dänen als Union-Coach. "Ich muss das jetzt erstmal sacken lassen."
Nach acht Ligaspielen ohne Sieg würde wohl jeder Trainer wackeln. Was die Lage für Svensson besonders schwierig macht, ist die Art und Weise, wie Union in den beiden letzten Spielen gegen Bochum und Bremen verteidigte. "Wir haben die Gegentore viel zu einfach bekommen, was eigentlich untypisch für uns ist", analysierte Heldt. Zu wenig Tore schoss die drittschwächste Offensive der Liga schon seit Beginn der Saison. Dafür schien es Svensson gelungen zu sein, die Abwehr nachhaltig zu stabilisieren. Diese Entwicklung steht nach den letzten fünf Gegentoren zumindest in Frage.
Ein Blick in den Kader verrät, warum Heldt das besonders besorgt. In der Defensive stehen Svensson viele Spieler mit individuell hoher Qualität zur Verfügung. Frederik Rönnow gehörte in den letzten zweieinhalb Jahren zu den sichersten Torhütern der Liga. Linksverteidiger Tom Rothe ist U-21-Nationalspieler. Rechtsverteidiger Josip Juranovic wurde mit Kroatien Dritter bei der letzten Weltmeisterschaft und die Innenverteidiger Danilho Doekhi und Diogo Leite stehen auf dem Einkaufszettel einiger Champions-League-Vereine. Wenn es Svensson mit diesen Spielern nicht mehr gelingt, Tore zu verhindern, dann könnte das darauf hinweisen, dass er das Team nicht mehr erreicht.
Angreifer Benedict Hollerbach widersprach diesem Eindruck in Bremen energisch: "Der Trainer erreicht uns noch, wir sind nach wie vor guter Dinge", sagte Hollerbach. Und vielleicht dachte er bei seinem Nachsatz an die Transferphase im Januar. Denn so gut die Mannschaft defensiv besetzt ist, so viel Klasse fehlt ihr vor dem gegnerischen Tor. Mittelstürmer Jordan Siebatcheu gelang in der Hinrunde kein einziger Treffer. Seine Konkurrenten Ivan Prtajin und Andrej Ilic spielten trotzdem insgesamt nur 16 Minuten. Zu schwach waren wohl ihre Leistungen im Training.
Wer die ersten Monate unter Svensson fair bewerten möchte, muss auch über die holprige Transferphase im Sommer sprechen. Obwohl ein Neuner mit Torgarantie von Anfang an das wichtigste Transferziel war, gelang es Heldt nicht, einen solchen Spieler zu verpflichten.
Das hing auch damit zusammen, dass Robin Gosens lange zögerte, den Verein zu verlassen. So fehlte Geld, um nachzurüsten. Als Gosens dann kurz vor Ende der Transferphase doch noch nach Florenz wechselte, verlor Svensson einen Spieler, auf den er in der Vorbereitung gesetzt hatte. Dass Union trotz all dieser Wirren gut in die Saison startete, täuschte wohl darüber hinweg, dass der Verein mitten in einem Umbruch steckt. Für Svensson spricht, dass er mit Tom Rothe und Eigengewächs Aljoscha Kemlein zwei jungen Spielern vertraut, die Unions Zukunft sind.
Insbesondere Kemlein ist schon nach wenigen Bundesligaspielen eine Identifikationsfigur. Nicht nur, weil er quasi seine ganze fußballerische Ausbildung bei Union genossen hat, sondern auch weil die Mannschaft sonst kein klares Profil hat. "Wir müssen im Training wieder mit aller Konsequenz Dinge erarbeiten, damit jeder weiß, wo er zu verteidigen hat", fordert Rani Khedira. Offenbar haben in den letzten Wochen nicht alle Spieler so mitgezogen, wie sich der Vizekapitän das vorstellt.
"Freude am Fußball" entsteht aber nun mal vor allem im Spiel nach vorne. Wenn Svensson zum Trainingsauftakt am 2. Januar noch Trainer ist, muss er insbesondere das eigene Ballbesitzspiel verbessern. Die Mannschaft tut sich schwer, Chancen zu erarbeiten. Insbesondere tiefstehende Gegner lassen die Eisernen verzweifeln. Besonders bitter zeigte sich das beim DFB-Pokal-Aus gegen Drittligist Bielefeld.
Auch dabei könnte ein neuer Mittelstürmer helfen. Ein torgefährlicher Mann in der Spitze bindet Gegenspieler und ist eine Anspielstation, um den Ball in höheren Zonen zu halten. All das sollte aber keine Ausrede dafür sein, dass kein Offensivspieler unter Svensson besser geworden ist und manche nur wenige Chancen bekamen, sich zu zeigen. Obwohl Mittelfeldspieler Laszlo Benes am ersten Spieltag in Mainz nach seiner Einwechslung den ersten Punkt der Saison sicherte, saß er danach oft auf der Bank. Er ist ein Fußballer, der gerne dribbelt und den Ball durch die gegnerischen Linien steckt – all das eben, was auch Zuschauern Freude am Fußball bereitet.
Die Zusammenarbeit zwischen Union und Bo Svensson ist als langfristiges Projekt angelegt gewesen. Wenn es dem Trainer im neuen Jahr aber nicht schnell gelingt, wieder zu punkten, ist Heldt bereit, ihn zu feuern: "Die Rückrunde geht knackig los, Januar und Februar werden sehr wichtige Monate für uns."
Beitrag von Till Oppermann
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