Warum die Engländer rund um Weihnachten mal schön alleine spielen sollen
Wenn der englische Fußball sich ab dem zweiten Weihnachtsfeiertag wieder auf die Socken gibt, werden sicher auch hierzulande wieder Stimmen laut: Bitte nachmachen! Warum das keine gute Idee wäre - und viele Argumente dagegen trotzdem Quatsch sind. Von Ilja Behnisch
Nur schön ist es halt schon. Also anderswo. In England. Aber dort herrschen Linksverkehr, eine konstitutionelle Monarchie und der Glaube, gebackene Bohnen seien ein Frühstück. Alles Dinge, die sich besonders wie folgt gut beobachten lassen: aus kritischer Distanz.
Eine Tradition, älter als der geschmückte Weihachtsbaum
Das gilt auch für den Fußball. Dubiose Klub-Eigentümer statt 50+1-Regel, die in Deutschland zumindest theoretisch dafür sorgt, dass es noch die Mitglieder sind, die das Sagen haben in den Vereinen. Und dann das Spiel an sich. Für die einen ist die englische Premier League die stärkste Liga der Welt. Die mit dem attraktivsten Fußball. Aber befragen Sie dazu mal einen italienischen Trainer und sie werden erfahren, wie leidenschaftlich man die Kunst des Verteidigens verteidigen kann. Und dann kicken sie auch noch an Weihnachten!
Gerade einmal 19 Tage Winterpause hat die Fußball-Bundesliga in diesem Jahr veranschlagt. Das bedeutet auch: Jede Menge Frostbeulen für Stadiongänger. Warum das komplett daneben ist. Von Ilja Behnisch
Boxing Day nennt sich das, was da ab dem 26. Dezember stattfindet im englischen Fußball. In Anlehnung an die sogenannten "Christmas Boxes", also Geschenke, die wohlhabende Engländer im viktorianischen Zeitalter an ihre Bediensteten und ärmere Bevölkerungsgruppen verteilten. Auch heute noch sind die Tickets am Boxing Day günstiger als sonst und der Besuch der Fußball-Spiele Familienangelegenheit.
Die Premiere gab es bereits 1860. Die Traditionen, Weihnachtsbäume zu schmücken (erstmals 1882) und den Weihnachtsmann in roter Kleidung zu vermuten (1890) ist jünger. Am Boxing Day fallen mehr Tore als sonst, es gewinnen häufiger die Außenseiter als sonst und überhaupt schaut die ganze Fußball-Welt noch mehr nach England als sonst eh schon.
Unchristlich, arme Spieler, Verletzungsrisiko? Alles Quatsch!
Nun gibt es immer wieder Anregungen, diesen besonderen Zauber, der sich in den Weihnachtstagen über den dortigen Fußball legt, auch nach Deutschland zu holen. Und sofortige Widerreden. Wie unchristlich! Die armen Spieler! Müssen sich doch auch mal erholen! Sollen doch auch Weihnachten feiern dürfen! Mit ihren Familien! Und das Verletzungsrisiko! Worauf man nach gebührender Bedenkzeit nur antworten kann: Alles Quatsch!
Denn angesichts des aktuellen Rahmenterminkalenders, der die Bundesliga bis zum 22.12. spielen ließ und ab dem 10. Januar wieder spielen lässt, wäre so ein Spieltag am 26./27. Dezember nun auch kein großer Kulturwandel mehr. Und was sind schon die wenigen hundert Familien der Profi-Fußballer im Vergleich zum Glück der Millionen Zuschauer! Mal abgesehen davon, dass gefühlt mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung froh wäre, einen Absenz-Grund für Familienweihnachtsfeiern zu haben.
Alles begann 1995 in Diedersdorf. Die Hertha-Hymne "Nur nach Hause" war bereits erschaffen und Frank Zander lud erstmals bedürftige Menschen zu Gänsebraten ein. Nun findet das Weihnachtsessen zum 30. Mal statt - erstmals seit Jahren wieder mit Zander im Estrel.
Denkt auch mal jemand an die anderen?
Und überhaupt: Denkt auch mal jemand an die anderen? Handball- (26./27.12), Eishockey- (26./28./30.12.), Basketball- (26./27./29./30.12.) und Volleyball-Bundesliga (28./29.12) spielen munter durch. Ski Alpin (28./29.12.), Vierschanzentournee (ab 28.12.) und Tour de Ski (ab 28.12.) sind ebenfalls unterwegs "zwischen den Jahren". Gelten all die Argumente denn nicht für sie?
Aber es hat schon seine Richtigkeit, dass der Fußball hierzulande wenigstens für zwei Wochen Sendepause hat. Zwei Wochen, in denen sich mal nicht ein viel zu großer Teil der Aufmerksamkeit nur auf ihn konzentriert. Und auch sonst gibt es natürlich jede Menge gute Gründe, im Winter mal überhaupt keinen Fußball zu spielen. Aber das ist ein anderer Text.