Inklusion im Brandenburger Fußball
2025 startet eine einzigartige Trainerqualifizierung für geistig beeinträchtigte Menschen, Made in Brandenburg. Kann das Projekt ihnen Türen zu den Vereinen im Amateurbereich öffnen? Der Initiator hofft darauf. Von Matthias Wolf
"Alle meine Spieler haben einen Intelligenzquotienten von unter 75", sagt Fußballtrainer Lars Mrosko. "Aber alle meine Jungs lieben diesen Sport – und auch für mich ist die Arbeit mit ihnen eine Herzenssache."
Es ist Anfang Dezember. Auf dem Sport- und Erholungspark Strausberg trainiert die sogenannte ID-Landesauswahl des Behinderten- und Rehabilitationssportverbandes Brandenburg. ID steht für "Intellectual Disability", eine geistige Behinderung. Auswahltrainer Mrosko hat zu einem dreitägigen Lehrgang gebeten.
In einer Ecke des Sportplatzes ist Michael Tarohn in seinem Element. Er ist Torwart, seit kurzem bringt er sich aber auch ins Torwarttraining mit ein, das von Gökhan Aydin geleitet wird. "Klasse Parade", ruft Tarohn den drei Torhütern immer wieder motivierend zu. Die Freude an der Arbeit ist ihm anzusehen. "Ich will unbedingt Trainer werden", sagt der 41-Jährige und ergänzt: "Ein richtiger Trainer." Seine Behinderung hat das bisher unmöglich gemacht. Das soll sich nun ändern.
Lars Mrosko hat dafür gekämpft. Eineinhalb Jahre lang. Im Januar wird ein von ihm entwickeltes Projekt vorgestellt, ab März soll es starten. Eine bundesweit einzigartige Trainerqualifizierung für Menschen wie Michael Tarohn. Intern nennen sie es "Doppelpass", offiziell "Tandem-Ausbildung: Basis Coach für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung". Praktisch bedeutet das: Der Basic-Coach-Lehrgang des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der Trainer-Grundlehrgang, ist speziell auf geistig Behinderte abgestimmt. "Das wird herausfordernd für alle. Aber das schafft für viele Menschen mit Beeinträchtigung neue Perspektiven im Fußball", sagt Mrosko, der auch Inklusionsbeauftragter des Fußball-Landesverbandes Brandenburg (FLB) ist. Er hat es geschafft, dass der FLB, federführend, und der Berliner Fußballverband (BFV) diesen Lehrgang gemeinsam durchführen.
Kann dieser Lehrgang geistig Behinderten Türen zu nahezu jedem Verein im Amateurbereich öffnen? Das wäre das Ziel. Michael Tarohn aus Bernau hat schon früher versucht, Trainer zu werden. In einem Verein habe man ihm gesagt, er könne gerne mitmachen - aber da er ja keine Trainerlizenz besitze, seien nur einfache Aufgaben möglich. "Ich glaube, so richtig ernst genommen haben sie mich nicht", sagt er.
"Ich habe halt eine Beeinträchtigung. Manche Sachen fallen mir sehr schwer." Er, der als Lagerist ist einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeitet, leidet unter einer Lese- und Rechtsschreibschwäche. "Ich muss viele Sachen mehrfach lesen, um sie zu verstehen." Mit einem Laptop könne er gar nicht umgehen. "Dafür hätte ich gar nicht die Geduld."
Doch ohne solche Kenntnisse ist es unmöglich, die normale Basis-Coach-Ausbildung zu schaffen. Laut DFB eine "niederschwellige Qualifizierungsmaßnahme", die mit 40 Lerneinheiten Teil der C-Lizenz ist, welche so etwas wie die Grundqualifikation für angehende Fußballtrainer darstellt. Niederschwellig – aber doch eine zu hohe Hürde für Menschen mit geistiger Behinderung. Denn der Lehrgang enthält viele schriftliche Elemente, wie Trainingspläne erstellen, die Vor- und Nachbereitung von Einheiten, sogar ein Video müssen die Teilnehmer drehen von einer selbst geleiteten Trainingseinheit. "Sowas können die nicht alleine", sagt Lars Mrosko ein: "Aber wenn es um die Praxis geht, verstehen viele von ihnen sehr viel von Fußball."
Drei von hundert Fußballern mit Beeinträchtigung hält Mrosko für geeignet als Trainer, "die würden das intellektuell schaffen - aber sie muss man intensiv begleiten und fördern". Doch schon beim Basic Coach läuft der Lehrgang im "Blended Learning" – einem Lernmodell, in dem computergestütztes Lernen und klassischer Unterricht kombiniert werden. Im Pilotprojekt gehe man jetzt zwar auch mal in einen Raum und nutze Schaubilder – aber insgesamt läuft fast alles praxisnah, auf dem Trainingsplatz.
Zusätzlich wird den Teilnehmern und Teilnehmerinnen ein nicht beeinträchtigter Partner an die Seite gestellt. Details sind noch offen. Mrosko ist schon froh, dass er die erste Etappe genommen hat. Und deshalb will er auch noch nicht über der Frage nachdenken: Was kann womöglich aus diesem Projekt entstehen? Der FLB sieht es so: "Wir wollen Erfahrungen sammeln, ob es gelingt, Menschen mit Beeinträchtigung eine Trainerausbildung mit klaren Entwicklungsperspektiven zu ermöglichen."
Oliver Nitschke, Geschäftsführer beim FLB, hat Mrosko vom ersten Augenblick an unterstützt, spricht von einem "sensiblen Projekt", betont die besondere Verantwortung bei der Umsetzung. Ziel sei es letztlich, auch im Trainerbereich Menschen mit Beeinträchtigung "eine gleichberechtigte Teilnahme an der Trainerausbildung zu ermöglichen". Teilweise herrschte auch Skepsis vor. "Selbst bei mir", räumt Mrosko ein: "Schaffen wir das? Schaffen die Behinderten das?"
Auch beim Deutschen Fußball-Bund mussten sie erst vom Konzept überzeugt werden. Keine Frage, der DFB tut viel für Inklusion. Aber geistig Behinderte? Ein schwieriges Feld. Der Verband in Frankfurt verweist auf mehrere erfolgreiche Ausbildungszweige zum Thema Inklusion, im Handicap-Fußball. Es gibt auch zahlreiche Trainerinnen und Trainer mit Körperbehinderung, die die DFB-Lizenzen geschafft haben. Zusätzlich wird von der DFB-Sepp-Herberger-Stiftung gemeinsam mit der Scort Foundation und der DFL-Stiftung eine Tandem-Ausbildung durchgeführt. Dabei wird ein "Young Coach" mit Beeinträchtigung gemeinsam mit einem Tandempartner ohne Behinderung auf die Herausforderungen als Trainer im Handicap-Fußball vorbereitet. Eine gute Sache, sagt Mrosko: "Aber", und hier liegt für ihn ein entscheidender Unterschied, dafür gäbe es zwar eine Urkunde für die Teilnehmer, "aber keinen richtigen Trainerschein". Und um den geht es ihm.
Der DFB sagt auf Anfrage des rbb: Man beobachte das Projekt "mit Interesse. Man wisse auch, dass viele Menschen mit einer geistigen Behinderung große Fußballfans und ehrgeizige Aktive" seien, aber eines stellt man auch klar: Nach diesem Sonderlehrgang DFB-Basis-Coach werde der weitere Erwerb der Trainer-C-Lizenz nicht möglich sein.
"Die Inhalte einer Trainer C-Lizenz sind schon anspruchsvoll und können durch Menschen mit einer geistigen Behinderung weder erlernt noch verarbeitet werden", schreibt der DFB. Denn der Gradmesser zur Ausstellung der Lizenz sei neben der fußballfachlichen Qualifikation auch die Fähigkeit, "selbständig und eigenverantwortlich eine Mannschaft führen zu können". Eine Einzelfallprüfung sei für die Landesverbände, die die C-Lizenz-Ausbildung betreuen, nicht zu leisten.
Diese Sichtweise, sagt Mrosko, könne er verstehen. Aber insgeheim hofft er darauf, dass schon einige Teilnehmer seines Pilotlehrgangs das Gegenteil beweisen. "Ich kenne einige Jungs mit geistiger Behinderung, die haben richtig was drauf", sagt der 47-Jährige. Er habe im Fußball schon so viel erlebt, dass er an die Kraft dieses Sports glaube. Michael Tarohn ist jedenfalls schon Feuer und Flamme vor seinem Lehrgang. "Ich will besser werden als Trainer. Ich schaffe das." Er hofft, schon ab Sommer in einem Verein in seinem Heimatort durchstarten zu können – als richtiger Trainer.
Mrosko, großgeworden in einem sogenannten Brennpunkt in Berlin, hat erfolgreich einige Jugend- und Amateurteams trainiert. Aber bekannt ist er vor allem aus dem Profifußball: Er war in der Vergangenheit für DFL-Nachwuchsleistungszentren tätig, hat Profivereine und Spieler beraten, arbeitete als Scout für große Fußballmarken wie den FC Bayern, FC St. Pauli und den VfL Wolfsburg. Seine Erfahrungen mündeten in dem vielbeachteten Buch "Mroskos Talente". Aus seiner Bundesliga-Zeit, die er nicht vermisst ("Die Arbeit, die ich jetzt mache, ist der reine und ehrliche Fußball"), hat er viele Kontakte über Jahre gepflegt.
Einer ist Felix Magath, der mehrfache Meistertrainer – er ist Schirmherr und Berater seines Projekt-Trainerlehrgangs. "Wie ich glaubt auch Felix voll an diese Jungs." Mindestens zehn bis zwölf Tandems sollen im März an den Start gehen. Der DFB wird das Projekt beratend begleiten. Es heißt, wenn es gut funktioniert, könne es auch auf andere Landesverbände ausgeweitet werden. Der DFB schreibt, man wünsche Lars Mrosko "viel Erfolg". Auch beim Fußball-Landesverband Brandenburg ist man gespannt und auch ein bisschen stolz, schließlich werde "Menschen mit Beeinträchtigung erstmals der Zugang zu einer anerkannten DFB-Lizenz ermöglicht".
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.12.2024, 13:15 Uhr
Beitrag von Matthias Wolf
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