Konflikt in deutschen Stadien
Handys sind in den Fankurven deutscher Stadien nicht gern gesehen. Erst recht nicht, wenn diese benutzt werden, um Content für Social Media zu generieren. Und trotzdem nutzen die Fanszenen das Internet auch zur Selbstinszinierung. Von Lukas Witte
Egal ob Choreografien, Pyroshows oder Gänsehautatmosphäre – die Fanszenen in Deutschland sind weltweit bekannt für den starken Support ihrer Vereine. Woche für Woche entstehen in den Fußballstadien von Bundesliga bis in die Regionalligen spektakuläre Bilder und Videos, die in den sozialen Medien teilweise viral gehen. Doch wer selbst mit in der Kurve steht und diese Momente mit dem eigenen Smartphone festhalten möchte, der hat gute Chance den Ärger der Umstehenden auf sich zu ziehen.
In den meisten Fanblöcken Deutschlands gilt das ungeschriebene Gesetz: Handys raus aus der Kurve! Der Grund für das Handyverbot ist laut Christian Exner von der Koordinationsstelle Fanprojekte klar zu benennen: "Wenn man zum Fußball geht, dann soll 90 Minuten lang supportet werden, ohne ein Handy in der Hand zu halten und sich selbst zu inszenieren. Es geht um den Verein und die Unterstützung."
Gerade das Hochladen von Aufnahmen aus der Kurve auf Plattformen wie Instagram oder TikTok sei in der Fanszene deshalb besonders verpönt, erklärt Exner. Dabei würde es auch darum gehen, dass die Gesichter der anderen Menschen im Block nicht veröffentlicht werden sollen. Zum einen zum Schutz der Privatsphäre, zum anderen um der Polizei die Identifizierung von Tätern zu erschweren. Schließlich sind es gerade die spektakulären Pyroshows, die gerne gefilmt werden, in deutschen Stadien jedoch untersagt sind.
Da stößt natürlich sauer auf, dass derzeit immer mehr Influencer zum Fußball finden, die sich das Filmen im Stadion zum Beruf gemacht haben. Zu jedem großen Spiel sind mittlerweile zahlreiche Vlogs auf YouTube und Co. zu finden, in denen Creator die Geschehnisse in den Stadien aufnehmen, kommentieren und hochladen. Das Geschäft mit dem Fußball boomt. "Es ist ein heiß diskutiertes Thema. Damit bekommt man relativ sicher Klicks, wenn man eine bestimmte Reichweite hat. Es interessiert einfach unheimlich viele Leute", erklärt Dimi.
Dimi ist selbst Content Creator und großer Fußballfan. In seinen kurzen Videos auf Instagram und TikTok setzt er den Fokus vor allem auf Fankurven, Ultrabewegungen und Support. Er produziert jedoch keine Videos aus dem Stadion, kritisiert stattdessen immer wieder Vlogger für ihr Verhalten bei den Spielen. "Sie inszenieren dabei vor allem ihre eigene Marke und ihr Gesicht. Da steht der Verein nicht im Vordergrund und es ist manchmal sogar relativ egal, bei welchem Spiel sie auftauchen. Sie werden eingeladen, um Werbung zu machen", sagt er.
"Es ist Fans ein Dorn im Auge, wenn jemand kommt und ihr Herzenswerk für sich verkauft. Viele Vlogger filmen Kurven und Choreografien und verdienen damit Geld", erklärt auch Exner. Zudem stehe der Vorwurf im Raum, dass die Influencer mit ihrer Anwesenheit im Stadion den "echten" Fußballfans die Plätze wegnehmen würden.
Gerade bei der Heim-EM in diesem Jahr hätte es Scharen von Influencern in den Stadien gegeben, welche die Kritik aus den Fanszenen auf sich gezogen hatten. "Ich habe da Videos von Leuten gesehen, die nicht einmal wussten, wer da gerade gegeneinander spielt. Das ist für Fußballfans natürlich schwierig, weil viele eben nicht das Privileg haben, zu solchen Spielen zu gehen. Da sind viele gefrustet", sagt Dimi.
Diese Ablehnung bedeutet jedoch keinesfalls, dass Ultras in den sozialen Medien überhaupt nicht stattfinden wollen. Auf Facebook, Instagram und Co. finden sich zahlreiche Gruppen und Kanäle, die sich ausschließlich mit der Fankultur beschäftigen. Jede große Pyroshow und Choreografie ist im Internet zu finden.
Große Publikationen wie Faszination Fankurve oder Fussballmafia.de generieren mit den Bildern und Videos aus den Stadien tausende von Likes, Klicks und Kommentaren. Der etwas kleinere Kanal "KurvenLifestyle" teilte auf rbb-Anfrage mit, dass den Fanszenen durchaus bewusst sei, dass ihre Aktionen in sozialen Netzwerken dokumentiert und verbreitet würden. Ultras hielten sich zwar selbst weitestgehend aus den Sozialen Medien zurück, würden allerdings trotzdem die Möglichkeiten dahinter sehen.
Das bestätigt auch Exner. So würde es vor allem um den Vergleich zu anderen Kurven gehen. "Natürlich ist bei großen Choreos und Pyroaktionen eine Inszenierung auch wichtig für die Fanszenen. Sie sind bewusst auch für die Außenwirkung gestaltet. Es geht um eine Machtdemonstration, Stärke zu zeigen und was für eine coole Show man auf die Beine stellen kann", sagt er.
Die Aufnahmen, die es dann am Ende ins Internet schaffen, werden deshalb oft auch von der Szene selbst produziert. Allerdings nicht mit verwackelten Handybildern, sondern mit teilweise sogar akkreditierten Fotografen im Innenraum oder auf anderen Tribünen. So ist gewährleistet, dass das Gesamtbild der Kurve und des Supports sichtbar wird, nicht aber die Gesichter einzelner. Diese Aufnahmen würden dann in eigenen Foren und auf Websites hochgeladen und so für sämtliche Social-Media-Kanäle zur Verfügung gestellt, erklärt Exner.
Diese bewusste Inszenierung und der zeitgleich strenge Kodex in Bezug auf Handynutzung und soziale Medien wirft natürlich die Frage einer gewissen Ambivalenz auf. Exner kann diese aber nur bedingt erkennen. "Beim einen geht es um die Inszenierung des Einzelnen, bei den Ultras steht die Gruppe im Vordergrund. Da geht es nicht darum, dass man selbst auf Social Media zu sehen ist, sondern eben der gemeinsame Support für den Verein."
Beitrag von Lukas Witte
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