Fake News vor 70 Jahren
Amerikanische Flieger werfen Kartoffelkäfer ab, um die Ernte zu vernichten. Die DDR- Propagandamaschinerie lief auf Hochtouren und die Bürger wurden zum Käfersammeln verdonnert. Passiert vor 70 Jahren, mitten im Kalten Krieg. Von Iris Wussmann
Es ist eine skurrile Geschichte aus der Zeit des Kalten Krieges. Tausende Kartoffelkäfer fraßen sich im Sommer 1950 durch die Felder des noch jungen Arbeiter-und Bauernstaates DDR. Für den damaligen Landwirtschaftsminister Ernst Goldenbaum gab es dafür nur eine Erklärung: Die Käfer konnten nur aus amerikanischen Flugzeugen abgeworfen worden sein, denn zu jener Zeit herrschte so schlechtes Wetter, dass die Käfer allein hätten gar nicht fliegen können.
SED-Agitationschef Gerhard Eisler gab sich überzeugt: Die Kartoffelernte habe vernichtet werden sollen, die Wirtschaft geschädigt und die Menschen unzufrieden gemacht werden, weil der Westen damit habe vertuschen wollen, dass es in der DDR aufwärts ging. So die Argumentation damals.
Steffen Krestin, der Leiter des Cottbuser Stadtmuseums, beschreibt die Lage in den 1950er Jahren als erbärmlich. Eine Phase der harten Konfrontation zwischen Ost und West. Da liefen die Propagandamaschinen in beiden Lagern auf Hochtouren.
Zeitzeuge ist Georg Kretschmar aus Striesow (Spree-Neiße), damals elf Jahre alt. Er erinnert sich an die Propaganda, dass es, wie er sagt, die bösen Amerikaner gewesen seien, die besagte Käfer über der DDR abgeworfen hätten. Die Gemeinden seien verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, dass aus jedem Haushalt einer zum Kartoffelkäfersammeln bestimmt wurde. Geglaubt habe er die Geschichte schon damals nicht, sagt der heute 80-Jährige.
"Wir wurden beschwindelt", so Kretschmer 70 Jahre nach der vermeintlichen amerikanischen Invasion von Kartoffelkäfern. Museumschef Steffen Krestin sieht in der Geschichte von 1950 durchaus Parallelen in die Gegenwart, was die Existenz von Fake News angeht. Man habe schon damals nicht immer darauf geachtet, ob das alles stimmt, sagt Krestin mit Blick auf die Geschichte.
Der Historiker Stefan Woll kennt die Geschichte von damals. Es gebe keinen Beleg dafür, dass Amerikaner so etwas gemacht hätten, sagt der wissenschaftliche Leiter des Berliner DDR-Museums. Denn wären tatsächlich über der DDR Kartoffelkäfer abgeworfen worden, hätten die sich auch ganz schnell im Westen verbreitet.
Offen bleibt die Antwort auf die Frage, warum es ausgerechnet 1950 so viele Kartoffelkäfer in der DDR gab. Eines ist sicher: Aus amerikanischen Flugzeugen sind sie wohl nicht gekommen.
Artikel im mobilen Angebot lesen