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Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 27.04.2023 | Nico van Capelle | Quelle: rbb

Interview | Lehrkraft zu rechten Vorfällen an Lausitzer Schule

"Das größte Problem ist, dass Straftaten begangen werden und weggesehen wird"

An einer Schule im Spree-Neiße-Kreis gehören rassistische Beleidigungen offenbar zum Alltag, in Klassenchats sollen Hitler-Bilder und rechtsextreme Posts kursieren. Eine Lehrkraft berichtet von Mitläufern, Wegschauenden - und Angst.

Mit einem Brandbrief hatten sich Lehrer der Oberschule in Burg (Spreewald) an diverse Medien, darunter auch den rbb gewandt. "Wir wenden uns an die Öffentlichkeit, da wir in unserem Arbeitsalltag als Schulpersonal täglich mit Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie konfrontiert werden und nicht mehr länger den Mund halten wollen", heißt es in dem Schreiben.

Inzwischen ermittelt die Polizei, andere Schulen berichten von ähnlichen Vorfällen, das zuständiges Schulamt will tätig werden, der Landrat sichert Unterstützung zu.

Die Lehrer, die den Brief geschrieben hatten, wollen anonym bleiben. Mit einer der Lehrkräfte konnte der rbb nun sprechen.

Spree-Neiße

Lehrer prangern in offenem Brief rechte Vorfälle an Brandenburger Schule an

Hitler-Gruß, rassistische und rechtsextreme Sprüche: Lehrer einer Schule im Spree-Neiße-Kreis haben sich mit einem offenen Brief an verschiedene Medien gewandt. Darin schreiben sie von täglichen rechten Vorfällen. Von Jo Goll

rbb|24: Was für rechtsextreme Vorfälle passieren an Ihrer Schule? Und sind das Einzelfälle?

Lehrer: Es sind keine Einzelfälle mehr. Es ist im alltäglichen Sprachgebrauch der Jugendlichen. Die Taten, wie das Zeigen des Hitlergrußes, häufen sich - beziehungsweise sind erst mal nur die Spitze des Eisberges. Ich denke, dass sich da in den letzten Jahren ganz viel gestaut hat, dass sich da Strukturen verfestigt haben, die einfach nicht mehr zu lösen sind.

Wir haben ein Problem mit Rechtsextremismus. Wir haben dahingehend ein Problem, dass Schüler, die anders denken, diskreditiert werden. Wir haben das Problem, dass die wenigen geflüchteten Schüler, die wir in der Schule haben, beleidigt werden. Sie werden angegangen. Ein weiteres Problem ist, dass die Lehrerschaft nicht hinschaut. Und das größte Problem ist, dass Straftaten begangen werden und es wird einfach zu lange weggesehen.

Als ein Lehrer einen Schüler des Klassenraums verwiesen hatte, soll dieser dann lautstark "Arbeit macht frei" gerufen haben. Das steht am Eingangstor des Konzentrationslagers Auschwitz. Was ist Ihnen über den Vorfall bekannt?

Lehrer: Der Lehrer ist mit dem Schüler zur Schulleitung gegangen und hat auch eine Mail an die Schulleitung gesendet, um das zur Anzeige zu bringen. Die Schulleitung hat recht verhalten reagiert beziehungsweise gab es eigentlich gar keine Reaktion. Erst nachdem der Bericht vom rbb online kam, hat die Schulleitung den Fall zur Anzeige gebracht.

So sieht es mitunter in einem Klassen-Chat der Schule aus. (Quelle: privat) | Quelle: privat

Es sollen auch Fahrzeuge mit Hakenkreuzen beschmiert worden sein.

Im Vorfeld gab es Diskussionen mit Schülern über gewisse politische Situationen, die zurzeit in Cottbus sind. Die Lehrkraft hatte eine klare Haltung zu den Vorfällen. Daraufhin fand die Lehrkraft am Ende des Schultages ein Hakenkreuz auf das Auto gemalt.

Ich kann Ihnen auch von einem Schüler berichten, der die Schule verlassen hat, weil er auf dem Hinweg von Schülern der gleichen Schule rassistisch beleidigt und gemobbt worden ist. Er ist in Deutschland geboren, hat deutsche Eltern und hat einfach einen dunkleren Teint. Die Mutter hat diesen Schüler dann von der Schule genommen. Er war wochenlang nicht in der Schule, einfach aus Angst.

Auch das Thema wurde bei der Schulleitung angeschnitten. Daraufhin wurde dann aber nichts weiter gesagt, sondern es wurde quasi billigend in Kauf genommen: Dann geht der Schüler halt einfach.

Brandbrief von Lehrkräften

Polizei ermittelt zu mutmaßlich rechten Vorfällen an Brandenburger Schule

Hitlergruß auf dem Sportplatz, Mobbing gegen linke und migrantische Mitschüler, eingeschüchterte Lehrer: Eine Schule im Spree-Neiße-Kreis schlägt Alarm. Inzwischen haben sich weitere Schulen beim rbb gemeldet – und das Schulamt schaltet sich ein.

Wie schätzen Sie das Kräfteverhältnis in der Schülerschaft ein? Ist das ein generelles Problem? Gibt es jemanden, der den Ton angibt?

Es gibt sehr wohl eine Gruppe von bestimmt bis zu zehn Schülern - vielleicht sogar mehr, ich weiß es nicht ganz genau - die den Ton angeben und den Schulalltag bestimmen. Sie treten meistens in einer großen Gruppe auf, scharen viele Mitläufer um sich herum und schaffen bei Schülern, die demokratische Werte vermitteln oder die neu nach Deutschland gekommen sind viele Ängste und Sorgen.

Kann man sagen, dass der Mainstream unter den Schülern durchaus ein rechter ist?

Der ist ganz klar rechts. Das hat sich auch durch eine Jugendwahl gezeigt, die wir an der Schule vor ein, zwei Jahren durchgeführt hatten. Das Ergebnis sah so aus, dass nur die AfD mit der NPD koalieren konnte.

Wie groß ist an Ihrer Schule die Gruppe der politisch eher linken Schüler, beziehungsweise der Schüler mit Migrationshintergrund?

Das ist eine ganz kleine Gruppe. Bei den ausländischen Schülern reden wir von nicht mehr als fünf, bei demokratisch eingestellten Schülern, die offen sagen, dass sie die rechte Haltung nicht gut finden, reden wir von vielleicht sieben, acht. Und das an einer Schule mit 500 Schülern.

Verfassungsschutzbericht

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Wie geht die Schülerschaft mit denen um, die sich entweder offen als politisch eher links äußern beziehungsweise einen migrantischen Hintergrund haben?

Die werden gemobbt. Das heißt, sie werden auf dem Schulhof oder in den Fluren diskreditiert. Sie werden beleidigt und einfach von der Mehrheit ausgeschlossen.

Was tun Sie persönlich, um diese Schüler zu unterstützen?

Meine Aufgabe als Lehrkraft ist es, Schülern Kraft zu gehen, ihnen ein offenes Ohr zu schenken und gemeinsam mit ihnen Probleme zu bewältigen, ihnen zu zeigen, dass hier jemand ist und sie nicht allein sind und sie sich immer, wenn es Probleme gibt, an mich oder bestimmte andere Lehrkräfte wenden können.

Damit Schüler gar nicht erst Angst haben müssen, ist es natürlich auch meine Aufgabe als Lehrkraft, mich mit Schülern auseinanderzusetzen, die rechtes Gedankengut äußern, sie auch ernst zu nehmen und ihnen zu zeigen, dass es auch noch einen anderen Weg gibt.

Wie verhält sich das Kollegium bei Vorfällen?

Ich denke, das Kollegium ist recht gespalten, was das Thema angeht. Es gibt Lehrkräfte, die sagen, dass neu zugezogene Schüler hier nicht willkommen sind. Ich denke aber auch, dass es Lehrkräfte gibt, die eine klare andere Haltung haben. Leider sind die in der Unterzahl, die sich klar äußern. Die Mehrheit schweigt einfach. Das ist aus meiner Sicht ein großes Problem.

Ich denke, dass es zum Teil aus Angst ist und dass es darauf zurückzuführen ist, dass der Fokus von Lehrkräften nicht darauf liegt, demokratische Werte zu vermitteln. Das ist meiner Meinung nach eine Art von Überforderung - aber auch Unwissenheit.

Nun ist eine Schule aber eine Bildungseinrichtung. Da muss doch bekannt sein, dass der Hitlergruß strafbar ist.

Ich denke, dass es da auch viel um die Außenwirkung geht. Natürlich wäre das rufschädigend, wenn das an die Öffentlichkeit kommt. Es ist auch ein Fakt, dass, wenn Lehrkräfte den Vorfall anmerken, es runtergespielt beziehungsweise gar nicht erst zur Anzeige gebracht wird.

Was würden Sie sich wünschen, wie man als Kollegium und als einzelne Lehrkraft mit den Vorfällen umgehen sollte?

Ich wünsche mir einfach eine ganz klare Null-Toleranz-Politik gegenüber Rassismus, Sexismus und Homophobie. Ich möchte, dass Projekte, die gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie sind, stärker gefördert werden, dass dem Vermitteln von demokratischen Werten ein viel größerer Raum gegeben wird. Ich wünsche mir, dass es eine ganz enge Zusammenarbeit zwischen Ämtern und Schulen, Leitungen und Personal gibt - und, dass die Lehrerschaft geschlossen steht und demokratische Werte vertritt.

Ich erwarte, dass die Schulleitung eine klare Haltung zeigt, dass Lehrkräfte ermuntert und auch in die Verantwortung gezogen werden, dort hinzuschauen, wo es wehtut und auch Fälle zur Anzeige zu bringen.

Des Weiteren denke ich, dass es sehr, sehr wichtig ist, mehr Schulsozialarbeit an Schulen einzusetzen. Wir haben einen Schulsozialarbeiter, er macht einen verdammt guten Job. Aber auch er fühlt sich alleingelassen und überfordert, weil er allein ist an einer Schule mit 500 Schülern. Da hat die Politik geschlafen. Sie schläft seit vielen Jahren, und sie muss jetzt endlich aufwachen, damit die Zustände, die an dieser Schule sind - und ich denke, dass diese Zustände auch an anderen Schulen sind - nicht noch mehr überhandnehmen.

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Der Fall Ihrer Schule ist seit dieser Woche in der Welt.
Was hat das mit dem Kollegium gemacht?

Ich hoffe, dass viele Lehrkräfte über ihr Verhalten in der Vergangenheit nachdenken und, dass viele versuchen werden, etwas zu ändern.

Leider habe ich das Gefühl, dass das Kollegium nicht nur zweigeteilt ist, sondern es mittlerweile mehrere verschiedene Lager gibt - von "Ja, wir haben ein Rassismus-Problem an dieser Schule" über "Ich sage lieber nichts, weil mir das alles zu heikel ist" bis zu "Ich finde nicht, dass wir ein Rassismus-Problem haben".

Haben Sie auch mal mit den Schülern gesprochen, die migrantisiert, rassifiziert werden?

Das ist natürlich sehr schwer, wenn man manche Kinder nur punktuell im Unterricht hat und in den Pausen, die man hat, oftmals nur Tür-und-Angel-Gespräche führt. Ich glaube, dass die Kinder angstvoll in die Schule kommen und dass die Schüler und die Schülerinnen den Ort nicht mehr als Ort des Lernens wahrnehmen, sondern einfach als Ort der Angst.

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Was macht es mit Ihnen persönlich, wenn Sie morgens in eine Schule gehen, bei der Sie wissen, dass es jederzeit wieder Vorfälle geben könnte und die Schulleitung nicht hinter Ihnen steht?

Ich bin Lehrkraft mit Herz und mich macht das sehr betroffen, weil es meine Vorstellung war, dass eine Schule ein Ort für alle Menschen sein sollte - egal, wo sie herkommen, welche sexuelle Orientierung sie haben, welcher Religion sie zugehören. Mich macht es traurig, mich schockiert es, aber mich macht es auch unglaublich stark, dagegen vorzugehen und zu sagen: Wir haben hier einen Punkt erreicht, den wir nicht mehr akzeptieren können. Mich macht es auch froh, dass ich Kollegen habe, die der gleichen Meinung sind und wir da gemeinsam an einem Strang ziehen.

Und auch Schüler, oder?

Auch Schüler. Nachdem der Artikel online gegangen ist, sind Schülerinnen auf mich zugekommen. Sie waren froh, dass der Artikel rausgekommen ist, weil sie jetzt wissen: Jetzt gibt es hier eine Öffentlichkeit. Und ich kann nur so viel sagen, dass manche Schüler bereit sind, jetzt noch mehr dagegen vorzugehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Sebastian Schiller und Nico van Capelle für rbb24 Brandenburg Aktuell. Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung des Gesprächs.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 27.04.2023, 19:30 Uhr

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