Sonderprüfung bei Cottbusverkehr
Terminüberschreitungen bei der Bestellung von Straßenbahnen, Spekulationsgeschäfte und fragwürdige Abrechnungen von Bewirtungskosten sollen Cottbusverkehr mindestens 4,5 Millionen Euro gekostet haben. Der Aufsichtsrat hält trotzdem am Geschäftsführer fest. Von René Althammer und Sophia Wetzke
So gut wie täglich würden sie in Cottbus mit Bus und Straßenbahn fahren, sagt das Rentnerpaar an der belebten Tram-Haltestelle vor dem Hauptbahnhof. Die Linie 10 fahre bis raus zu ihrem Garten, das sei praktisch. Und meistens seien Busse und Bahnen in Cottbus pünktlich, bestätigen auch andere Fahrgäste, die hier warten. "Ich muss ja mit der Bahn fahren", sagt eine Frau und zeigt auf ihren Rollator. Auch eine Studentin erzählt, sie sei auf Bus und Straßenbahn angewiesen, um zur Uni und zur Arbeit zu kommen.
Die Fahrgäste der städtischen Cottbusverkehr zeigen sich an diesem Frühlingstag zufrieden mit dem öffentlichen Nahverkehr in der Stadt. Weniger zufrieden waren fünf leitende Angestellte, die sich im vergangenen Jahr hilfesuchend an den damaligen Oberbürgermeister Holger Kelch und den Aufsichtsrat des Unternehmens wandten.
Die Mitarbeiter trieb die Sorge um ihr Unternehmen um. Konkret ging es um den Geschäftsführer der Cottbusverkehr. Sein Handeln habe "negative wirtschaftliche Folgen" für das Unternehmen, das zu 100 Prozent der Stadt gehört, so der Vorwurf. Kelch beauftragte daraufhin eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit einer Sonderprüfung. Nach Informationen von rbb24 Recherche und radioeins sollten die Prüfer acht Sachverhalte durchleuchten. Das Ergebnis haben sie auf zwölf Seiten zusammengefasst. Zwölf Seiten plus Anlagen, die in Cottbus wie ein Staatsgeheimnis behandelt werden.
Das Resümee der Wirtschaftsprüfer ist nach rbb-Informationen für ein kommunales Unternehmen verheerend. Sie kommen nach Informationen von rbb24 Recherche und radioeins unter anderem zu dem Ergebnis, dass der Geschäftsführer von Beschlüssen des Aufsichtsrats und des Gesellschafters abgewichen sei, das Sparsamkeitsgebot bei Bewirtungen nicht beachtet und beim Einkauf von Strom spekuliert haben soll. Außerdem soll er Fristen bei der Bestellung von 15 neuen Straßenbahnen versäumt haben, wodurch die Preisbindung auslief: die Mehrkosten liegen angeblich bei gut 4,5 Millionen Euro.
Bei der Beantragung von Fördermitteln für neue Wasserstoffbusse – einem städtischen Prestigeprojekt – habe der Geschäftsführer zudem unzutreffende Angaben gemacht, so die Prüfer. Sollte das bekannt werden, könnten nicht nur die zugesagten Fördermittel in Frage gestellt – also zurückgezogen – werden, sondern es könne nach Auffassung der Prüfer noch weitergehende Konsequenzen geben. Welche Konsequenzen gemeint sein könnten, lassen sie offen. Sicher ist: Seit September 2022 ermittelt die Staatsanwaltschaft Cottbus. "Tatvorwürfe werden derzeit geprüft und rechtlich eingeordnet", schreibt die Pressestelle auf Anfrage des rbb. Der Geschäftsführer bestreitet die Vorwürfe.
Mit dem Verdacht "unzutreffender Angaben" wurde er schon einmal konfrontiert. Bevor er nach Cottbus kam, war er bei den Verkehrsbetrieben in Gera angestellt. Nach seinem Wechsel nach Brandenburg leitete die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Mühlhausen Ermittlungen gegen ihn ein: Tatvorwurf Subventionsbetrug. Nach Auskunft der dortigen Pressestelle "ging es darum, ob die Voraussetzungen für die zu leistenden Eigenmittel" bei einer Maßnahme für den öffentlichen Personennahverkehr "seitens der Stadtwerke bereits bei Erlass des Zuwendungsbescheides gegeben waren." Heißt: ob der Antrag auf Fördermittel korrekt gestellt wurde. 2018 wurde das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt, der Manager gilt damit nicht als vorbestraft. Er selbst streitet gegenüber dem rbb ab, in Gera "falsche Angaben bei Fördermittelanträgen/Subventionen" getätigt zu haben.
Die Stadtverordneten konnten sich bislang noch kein eigenes Bild machen, der komplette Prüfbericht wird ihnen nicht zur Verfügung gestellt. Lediglich eine Zusammenfassung präsentierten die Aufsichtsratsvorsitzende und stellvertretende Bürgermeisterin Marietta Tzschoppe (SPD) sowie Kämmerer Markus Niggemann (CDU) in einer nichtöffentlichen Sitzung. Auf Nachfrage erklärten mehrere Teilnehmer, man habe Stillschweigen vereinbart. Dabei betrifft das Ergebnis der Wirtschaftsprüfer nicht zuletzt auch den Aufsichtsrat und seine Vorsitzende, weil sich die Frage stellt, ob sie in den vergangenen Jahren ihrer Verantwortung gerecht geworden sind. Denn sollte das nicht geschehen sein, können sie dafür haftbar gemacht werden. Etwa wegen Bewirtungskosten, für die die Sonderprüfer nicht in allen Fällen eine "dienstliche Notwendigkeit" erkennen können. In den Abrechnungen taucht auch der rbb auf, der die Vorgänge derzeit prüft
Im Dezember 2022 hat der Aufsichtsrat - dem Vertreter der Arbeitnehmer, der Stadt und der Parteien angehören - gemeinsam mit dem Eigentümer beraten, wie es nach der Sonderprüfung weitergehen soll. Auf der Website der Stadtverwaltung Cottbus wird das Ergebnis veröffentlicht: "In der Bewertung der Ergebnisse der Prüfung hat der Aufsichtsrat der Cottbusverkehr GmbH dem Geschäftsführer in seiner Sitzung am Freitag, 09.12.2022, das Vertrauen ausgesprochen. Zu Details gibt es aus Gründen des Persönlichkeitsrechts keine weiteren Angaben." Der Geschäftsführer weist auf rbb-Anfrage alle Vorwürfe als "falsch" und unbegründet zurück. Es habe keinen "Vermögensschaden" gegeben.
Man habe den Wirtschaftsprüfern auch sämtliche geforderten Unterlagen zur Verfügung gestellt, schreibt er dem rbb. Die beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, spezialisiert auf die Prüfung von Unternehmen der öffentlichen Hand, will sich nicht zu Details äußern. Auf rbb-Anfrage teilt sie jedoch mit, es sei "nahezu ausgeschlossen, dass vorgelegte Prüfungen als nicht zutreffend bzw. die Prüfungsergebnisse als nicht korrekt eingeordnet werden." Ein solcher Fall könne höchstens eintreten, wenn Informationen zum Sachverhalt fehlen, die in der Prüfung zu berücksichtigen sind. Doch genau das verneint der Geschäftsführer in seiner Antwort an den rbb.
Er habe, so schreibt er dem rbb weiter, in einer ausführlichen Stellungnahme an den Aufsichtsrat den "Nachweis zu" seiner "vollständigen Entlastung" geführt. Und die Aufsichtsratsvorsitzende Tzschoppe erklärt, im Aufsichtsrat seien unabhängig vom Prüfbericht noch "weitere Stellungnahmen und interne Unterlagen zur Sache hinzugezogen" worden, die nicht veröffentlicht werden können. Ähnlich antwortet die Stadt als Eigentümer. Weitere Nachfragen werden mit dem Verweis auf Nichtöffentlichkeit und den Schutz von Persönlichkeitsrechten abgewiesen.
Das seien "ungewöhnliche Vorgänge", schätzt der Kommunalrechtsexperte Thorsten Ingo Schmidt, Professor an der Universität Potsdam, ein. Schmidt hat die dem rbb vorliegenden Informationen ausgewertet. Sollten die Vorwürfe stimmen, seien sie für ein kommunales Unternehmen erheblich und durch den Aufsichtsrat keinesfalls zu rechtfertigen, so Schmidt. Es sei vielmehr zu prüfen, ob Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer geltend gemacht werden können. Auch Wirtschaftsexperte Jürgen Kessler hat sich für den rbb das Ergebnis der Sonderprüfer angesehen. Dass die Wirtschaftsprüfer Fehler gemacht haben könnten, hält er für unwahrscheinlich. Grade deshalb müsse der Aufsichtsrat handeln. Schließlich habe der die Geschäftsführung zu überwachen und sei ebenfalls haftbar, wenn das nicht sachgemäß geschehe. Im Fall Cottbus sei es durchaus denkbar, den Geschäftsführer abzuberufen, so Kessler im rbb-Interview.
Aus dem Brandenburger Innenministerium, das für Cottbus im Rahmen der Kommunalaufsicht zuständig ist, heißt es, man sei zwar nicht für die kommunalen Unternehmen wohl aber für die Rechtmäßigkeit des kommunalen Handelns zuständig. Von der Sonderprüfung habe man durch die rbb-Anfrage und zum "Teil aus der Presseberichterstattung" erfahren. Jetzt werde man sich durch die Stadt über die Ergebnisse und das "von der Stadt Veranlasste" unterrichten lassen. Grundsätzlich aber haben "die Gemeinden die Pflicht, als Gesellschafter dafür Sorge zu tragen, dass die Organe des kommunalen Unternehmens sich rechtskonform verhalten." Heißt übersetzt für diesen Fall: Die Stadt Cottbus ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Geschäftsführer von Cottbusverkehr seiner Aufgabe korrekt nachkommt.
Sendung: rbb24, 19.05.2023, 13:00 Uhr
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