Psychotherapeutin über Leistungsdruck
Mit dem Schulstart zieht in viele Kinderzimmer auch der Leistungsdruck ein. Die Cottbuser Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Karen Woskowski spricht im Interview darüber, was Eltern beachten sollten und wie sie ihren Kindern den Druck nehmen können.
rbb|24: Die Einschulung ist in vielen Familien ein bedeutender Moment und wird groß gefeiert. Das sorgt natürlich bei den Kindern auch für Druck. Aus Ihrer Sicht, ist der Leistungsdruck zu groß oder hat sich in den letzten Jahren etwas getan?
Karen Woskowski: Ich würde sagen, es wird schon Monate vorher eine große Erwartungshaltung bei den Kindern geschürt, weil alle möglichen Leute im Umkreis, sei es im Kindergarten, Familie, Nachbarn sagen, "Oh, du kommst in die Schule, freust du dich schon?" Es wird für die Kinder sehr groß, aber sie wissen noch gar nicht was auf sie zu kommt. Die sagen dann meistens ganz brav "Ja, ich freue mich, ich will endlich in die Schule" und dann kann es passieren, dass die Enttäuschung nach wenigen Tagen ziemlich groß ist, weil das dann vielleicht doch nicht so großartig ist, wie einem alle versucht haben klarzumachen.
Welche Lehren sollten Eltern und Großeltern daraus ziehen? Sollte man sich lieber zurückhalten?
Es ist ein sehr schmaler Grat, zum einen ist es ja wirklich etwas Besonderes. Ich finde etwas Besonderes hat auch immer ein Ritual verdient, deswegen ist es schön, wennn das feierlich begangen wird. Ich würde aber tatsächlich allen empfehlen, das wirklich ein Stück zurückzufahren und nicht schon ein halbes Jahr vorher anzufangen. Ich habe auch zwei Kinder, habe das auch durch und die waren eigentlich schon vor der Einschulung völlig konfus.
Gibt es absolute No-Go's? Was sollten Eltern dringend vermeiden?
Natürlich jegliche Form von Bestrafung, wenn es nicht so gut läuft. Und auch bei der Erwartungshaltung, beim Druck sollten sich Eltern zurücknehmen. Der kann durchaus schon von Anfang an stattfinden im Sinne von "Du musst besser werden, jetzt müssen wir uns nochmal ransetzen, bis du das richtig schön machst." Das geht gar nicht.
Eine gute Vorbereitung für die Eltern ist es auch sich vorzustellen, sie selbst fangen einen ganz neuen Job an mit ganz neuen Leuten und mit einer Arbeit, von der sie gar keine Ahnung haben. Die Eltern müssen damit auch zurechtkommen und sind dann zu Hause erschöpft und entsprechend maulfaul. Deswegen ist es überhaupt nicht sinnvoll, wenn zu Hause die Erwartungshaltung weitergeht.
Vielleicht ist es auch hilfreicher zu sagen, was macht Sinn, statt zu sagen, was sollten Eltern nicht tun. Da würde ich allen ein Experiment vorschlagen. Manche Eltern machen das schon intuitiv, andere kommen mit der Vorstellung gar nicht zurecht. Das Experiment wäre sechs Monate konsequent nur das zu besprechen, was die Kinder gut hingekriegt haben. Alle schiefen Krakel, alles was vergessen wurde nicht kommentieren, sondern wenn von zehn Kringeln acht eine Vollkatastrophe sind und zwei sind so halbwegs akzeptabel, dann zu sagen "Mensch, guck mal, die zwei sind richtig gut geworden".
Das ist tatsächlich schwer, es ist nicht einfach sich an den anderen Stellen zurückzuhalten, weil ganz oft die Idee ist, das muss ich doch sagen. Deswegen sollte man ganz konsequent nur das beachten, was gut gelaufen ist - um mal zu gucken, was passiert.
Ab wann sollten Eltern oder Großeltern vielleicht doch eingreifen, wenn es nicht gut läuft. Gibt es Symptome, auf die man achten sollte?
Wenn Kinder wiederholt oder dauerhaft über Bauch- und Kopfschmerzen klagen, wenn es morgens immer wieder ein Kampf ist und es Tränen gibt: "Ich will nicht in die Schule". Als Durchgangsstadium kann das tatsächlich passieren, weil es wirklich eine große Herausforderung für die Kinder ist und sehr anstrengend und dann kann es sein, dass die zwischendurch mal sagen, "Ich will nicht". Wenn sich das aber häuft und kontinuierlich eine ganze Weile bleibt, dann muss man gucken, auch mit den Lehrern zusammen, was ist da los und sich dabei auch selbst überprüfen, machen wir da zu viel Druck? Kinder wollen immer gefallen, die möchten sich immer ins Zeug legen und kommen dadurch manchmal in ganz große Schwierigkeiten.
Es könnte aber auch der Eindruck aufkommen, dass zur Zeit die Leistungen eher egal sind, dass mehr auf "Laissez-faire" gesetzt wird. Nehmen Sie das auch wahr?
Es gibt beides, wobei dieses "Laissez-faire" meines Eindrucks nach eher in allgemeinen Erziehungsfragen gilt. Also dass sich Eltern da nicht mehr trauen, klare Strukturen vorzugeben und auch Grenzen zu setzen. Im schulischen Bereich geht es aber mehr in die Richtung, dass da viel erwartet wird und dass den Kindern suggeriert wird, "Wenn du das nicht hinkriegst, wird nichts aus dir".
Auch Eltern geraten unter großen Druck, weil die Außenwelt nachfragt. "Wie läuft es, kannst du schon lesen?" Auch Eltern möchten natürlich gut dastehen und geben das teilweise unbewusst an die Kinder weiter. In den Akademikerhaushalten und den gut situierten Haushalten rutschen Eltern, nach meiner Erfahrung, da schneller rein.
Wie schnell sitzen Kinder solcher Eltern dann bei Ihnen, um sich behandeln zu lassen?
Das ist wirklich ganz unterschiedlich. Die Kinder, die in aggressive Auffälligkeiten geraten oder die dann sehr unruhig sind, hibbelig sind, die kommen schneller. Das ist auch ein weiterer Punkt an dem man merkt, irgendwas läuft gerade schief, wenn die Kinder in der Schule sehr unter Spannung sind, schnell hochgehen, wütend sind, aggressiv sind. Da kann es schon passieren, dass zum Beispiel Hortner oder Lehrer nach wenigen Wochen sagen, da stimmt irgendetwas nicht.
Bei den Kindern, die eher still sind und zurückgezogener werden, diese psychosomatischen Symptome haben, da dauert es länger. Da kann es auch sein, dass die manchmal erst zum Ende der ersten Klasse kommen oder in der zweiten Klasse.
Wir haben aber, das beobachten wir immer wieder, nach der Einschulung einen Anstieg von Symptomen, aber in allen Altersgruppen. Schuljahresbeginn ist immer ein kritischer Moment. Dieser Leistungsdruck ist nicht nur bei den Erstklässlern zu spüren, sondern die höheren Klassen, vor allem die Abiturienten, die leiden in den letzten Jahren zunehmend darunter. Ich würde deswegen allen Eltern empfehlen, sich ein Stückchen zurückzunehmen und zuhause nicht auch noch Druck zu machen. Die Kinder wissen alle, dass sie in der Schule vorankommen müssen, wenn sie in ihrem Leben eine gute Auswahl haben möchten. Wenn die Eltern dann auch noch ganz viel Stress machen ist das nicht hilfreich.
Ich würde auch empfehlen, liebe Eltern, verteilt kein Geld für gute Noten. Das ist überhaupt nicht sinnvoll. Verteilt Beachtung und Lob für alle Bemühungen, die da sind. Ich find es auch in Ordnung, wenn es für das Zeugnis Geld gibt, aber dann sollte es völlig egal sein, wie das Zeugnis aussieht. Sondern es gibt dann eine Belohnung dafür, dass die Kinder das ganze Jahr durchgehalten haben. Ansonsten sollten Eltern immer ermutigen und immer das sehen, was gut gelaufen ist.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Anke Blumenthal für Antenne Brandenburg.
Sendung: Antenne Brandenburg, 24.08.2023, 15:10 Uhr
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