Auflösung Lehrstuhl Eisenbahnwesen
Die Bahn baut gerade in Cottbus ihr modernstes Instandhaltungswerk Europas. Gleichzeitig schließt an der BTU Cottbus-Senftenberg der Lehrstuhl in Brandenburg, der Bahn-Fachleute ausgebildet hat. Während er beräumt wird, regt sich Widerstand. Von Rico Herkner
Im Lehrstuhl für Eisenbahnwesen an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) in Cottbus herrscht Endzeitstimmung. Dessen Chef Hans-Christoph Thiel geht in den Ruhestand, einen Nachfolger wird es nicht geben. Der Lehrstuhl wird im April 2023 Geschichte sein - er wird mit dem Ende des Wintersemesters aufgelöst.
In den Räumen stapeln sich Umzugskisten, hunderte Aktenordner, Projekt- und Bauzeichnungen in den Lehrstuhlräumen. Das Beräumen der Etage hat bereits begonnen.
Das Ende des Lehrstuhls werde die Bahn schon sehr bald spüren, sagt Hans-Christoph Thiel. "Es werden definitiv die Nachwuchsingenieurinnen und -ingenieure fehlen, die nun nicht mehr aus dem Hause der BTU kommen und im Bauingenieurwesen, Wirtschaftsingenieurwesen und in der Elektrotechnik arbeiten." Das werde sich "eher und sofort" bemerkbar machen, so Thiel.
Der Cottbuser Lehrstuhl für Eisenbahnwesen zählte seit 1994 mehr als 400 Absolventen. Sie kamen vorrangig bei der Planung und Sanierung von Bahnanlagen zum Einsatz. Die BTU selbst übernahm sogar Vorentwurfsplanungen zum Ausbau der Strecke Berlin-Cottbus vor rund 13 Jahren. Ähnliches wird nun nicht mehr möglich sein.
Die BTU verteidigt die Schließung. "Die Entscheidung erfolgte mit Beschluss des Hochschulentwicklungsplanes 2015 - 2020 und Genehmigung durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur", heißt es in einer schriftlichen Antwort der Unileitung an den rbb. Das Ministerium unterstützt diese Position.
Die Deutsche Bahn erklärte dem rbb schriftlich, dass sie mit der BTU eine enge Zusammenarbeit pflege. "Die ersten Studierenden nehmen bereits an einem gemeinsam etablierten, praxisnahen Dualen Studium teil, in dem akademische Fachkräfte gezielt für die Beschäftigung im neu entstehenden Instandhaltungswerk [...] vorbereitet werden." Die Bahn tausche sich außerdem mit der Uni darüber aus, wie bei weiteren Themenfeldern zusammengearbeitet werden können, schreibt die Bahn.
Deutlicher werden Bahnmanager in öffentlichen Verkehrsforen, aber nach rbb-Informationen auch bei der internen Kommunikation. Dort ist von einer Fehlentscheidung der Universität sowie von offenen Bedenken die Rede. Denn die Bahn brauche in den nächsten Jahrzehnten hunderte Bauingenieure für die Instandhaltung und den Bau neuer Gleistrassen.
Kritik am Lehrstuhl-Aus kommt unter anderem auch von der Bahngewerkschaft EVG. "Der Senat der BTU Cottbus hatte diese Entscheidung im Jahr 2015 unter damals völlig anderen Rahmenbedingungen getroffen", heißt es in einem Papier der Gewerkschaft und weiteren Verbänden, wie beispielsweise der "Allianz pro Schiene", dem Verband Deutscher Eisenbahn-Ingenieure (VDEI) und der Industrie- und Handelskammer (IHK) Cottbus. Inzwischen seien die Milliarden-Investitionen in den Bahnstandort sicher. Sie fließen im Zuge des Strukturwandels in die Region.
"Das erfordert eine Neubewertung der Situation und der daraus erforderlichen Maßnahmen in Bezug auf die Stärkung der Akademikerausbildung in der Lausitz." Die Unterzeichner des Papiers verlangen den Erhalt und die Neuausrichtung des Lehrstuhls an der BTU.
Laut Jens Krause von der IHK Cottbus müssten jetzt die Landesregierung sowie die Akteure aus Wissenschaft und Wirtschaft an einen Tisch zusammenkommen. Sie sollten "Rahmenbedingungen schaffen, um wieder eine verstärkte Ausbildung an der BTU Cottbus durchführen zu können."
Unterdessen geht ein großer Teil der Cottbuser Lehrstuhlausrüstung, wie Dokumentationen und Technik, an den neuen "Rail-Campus" [railcampus-owl.info] nach Minden (Nordrhein-Westfalen) sowie an die TU Dresden (Sachsen). Der in den Ruhestand gehende Bahnprofessor Hans-Christoph Thiel sowie Wirtschaftsverbände zweifeln aber daran, dass die Universitäten künftig ausreichend Bahningenieure für die Lausitz begeistern können.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 17.03.2023, 19:30 Uhr
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