Spree-Neiße
Hitler-Gruß, rassistische und rechtsextreme Sprüche: Lehrer einer Schule im Spree-Neiße-Kreis haben sich mit einem offenen Brief an verschiedene Medien gewandt. Darin schreiben sie von täglichen rechten Vorfällen. Von Jo Goll
Die jungen Lehrer wirken aufgeregt, als sie zurückrufen. Sie wollen endlich über alles reden, was sie in den letzten Monaten an ihrer Schule erlebt haben. "Ein Schüler steht vor seinem Sportlehrer und hebt zweimal den Arm zum Hitler-Gruß", erzählt einer der Gesprächspartner, der seinen Namen - wie die anderen auch - nicht veröffentlicht sehen will.
Der Sportplatz sei von der Schule gut einsehbar und mehrere Personen hätten das Geschehen beobachtet, erzählt der junge Mann. Doch der Sportlehrer, der unmittelbar vor dem Schüler gestanden haben soll, hätte der Schulleiterin kurze Zeit später erklärt, er habe nichts gesehen. Wegschauen statt Handeln. Die Lehrergruppe, die sich jetzt an die Öffentlichkeit gewendet hat, hält das für einen typischen Vorfall an der Schule.
Es sei eine Gruppe von zehn bis zwölf Schülern, die den Ton angebe, berichten die Lehrer am Telefon weiter. Um diese Gruppe offenbar rechtsorientierter Schüler schare sich ein breiter Kreis von Mitläufern. Der Mainstream sei ganz klar rechts. Täglich würden die wenigen Migranten an der Schule mit rassistischen Sprüchen belegt, täglich seien Lehrer und Lehrerinnen "damit beschäftigt, Schüler vor psychischer und physischer rechter Gewalt zu schützen und demokratische Grundwerte zu vermitteln", so beschreiben die Lehrer und Lehrerinnen ihren Alltag.
Doch dabei zieht das Kollegium offenbar nicht an einem Strang. "Von unserem Kollegium ist die eine Hälfte aktiv, die andere schaut lieber weg", erzählt eine Lehrerin aufgebracht. Sie und ein Kollege schildern einen weiteren Vorgang, der deutlich macht, was sie umtreibt. Als ein Lehrer einen Schüler des Klassenraums verweist, ruft dieser angeblich lautstark: "Arbeit macht frei!". Der Lehrer fordert die Schulleiterin später auf, den Vorfall zur Anzeige zu bringen. Passiert sei zunächst allerdings nichts. An diesem Montagabend habe die Schulleiterin dann allerdings doch angekündigt, den Vorfall zur Anzeige bringen zu wollen.
Viele Lehrer der Schule fühlen sich mit dem Problem des alltäglichen Rechtsextremismus allein gelassen. "Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, wird zu einem Spießrutenlauf sowohl für Lehrkräfte als auch für Schüler, die demokratische Werte vertreten", schreiben die Verfasser in einem offenen Brief weiter. Manche Lehrer hätten abends Angst, allein zu ihrem Auto zu gehen. Wer sich positioniere, müsse mit Konsequenzen rechnen.
Im Winter hätten einige Lehrer Hakenkreuze im Schnee auf ihren Autos gefunden. Sie vermuten, dass die Täter aus dem Kreis der Schüler stammen, die versuchen, den Ton zu bestimmen. Aber auch Schüler, die sich als Linke zu erkennen geben, würden beleidigt und bedroht. Und sie seien klar in der Minderheit. Im Kollegium gebe es Lehrer, die ausländischen Schülern "sehr verschlossen und mit Vorurteilen" begegnen würden. Hilfe gebe es kaum, die Schule habe nur eine Schulsozialarbeiterin, "viel zu wenig, um mit dem Problem fertig zu werden."
Vor Jahren, so berichten die Lehrer weiter, habe es vor der Bundestagswahl eine Jugendwahl an der Schule gegeben. Das Ergebnis: Wäre es nach den SchülerInnen gegangen, hätte es eine Koalition aus AfD und NPD gegeben. Eine breite Mehrheit der Schüler und Schülerinnen habe sich für die Parteien am rechten Rand entschieden. Überzeugungen, die sie wohl aus ihren Elternhäusern mitbringen. Denn bei Elterngesprächen würden Väter und Mütter nicht selten mit wilden Verschwörungstheorien argumentieren.
Eine junge Kollegin habe so ein Gespräch kürzlich abgebrochen, weil sie es nicht mehr ausgehalten habe, was ihr da entgegengebracht wurde. Lehrer und Schüler, die "offen gegen Schüler und Elternhäuser agieren, fürchten um ihre Sicherheit", schreiben die Verfasser des offenen Briefes. Und weiter: "Die wenigen ausländischen und toleranten Schüler an unserer Schule erleben Ausgrenzung, Mobbing und Gewaltandrohungen." Es herrsche das "Gefühl der Machtlosigkeit und der erzwungenen Schweigsamkeit", heißt es weiter.
Die Verfasser des offenen Briefes fordern in ihrem Schreiben eine "Null-Toleranz-Politik" gegen Rechtsextremismus, Homophobie und Sexismus. Deshalb solle die Politik dafür sorgen, mehr Sozialarbeiter an den Schulen einzustellen, um mehr demokratiefreundliche Projekte zu fördern. Zudem brauche es dringend "ein niedrigschwelligeres Fortbildungsangebot für Lehrkräfte". Das Problem müsse dringend erkannt und offen bekämpft werden, fordern die Lehrer. Schule, so folgern sie weiter, sollten Orte der "Angstfreiheit, Weltoffenheit und Sicherheit" sein und dürfe Demokratiefeinden kein Zuhause bieten.
Sendung: rbb|24, 25.04.2023, 13:00 Uhr
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