Fazit von Polizei und Politik
Nach Auseinandersetzungen, Diebstählen und Prügeleien wollte Cottbus mit einem Bündel von Maßnahmen das Sicherheitsgefühl in der Stadt verbessern. Ein halbes Jahr später scheint das Konzept zu wirken. Von Phillipp Manske
"Es war 23 Uhr, dann kam eine Gruppe von vier Leuten. Der Anführer hatte seine Hand in der Tasche und wir hatten Angst, dass er eine Waffe in der Hosentasche hat und die rausholt. Er ist dann Mann für Mann durchgegangen und hat uns aufgefordert, das Portemonnaie zu zeigen."
Passiert ist das Anfang Juli am Schillerplatz Cottbus, berichtet dem rbb ein Abiturient, der anonym bleiben will. Den Freunden wurden insgesamt mehr als 200 Euro abgenommen. Aus Angst vor Rache haben sie den Überfall nicht angezeigt. Deshalb taucht zumindest dieser Fall in der Polizeistatistik nicht auf.
Besagte Statistik zeigt, dass die Kriminalität bei Jugendgruppen in Cottbus spätestens seit März weniger geworden ist, sagt der Leiter der Polizeiinspektion Cottbus/Spree-Neiße, Oskar Vurgun. Er spricht von einem "eklatanten Rückgang bis hin zu einer Nullage." Das liege vor allem an mehr Kontrollen, sagt er. Die Polizei sei ständig in der Stadt unterwegs gewesen. "Wir haben Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen vollzogen, Platzverweise und Aufenthaltsverbote erteilt", so der Polizeichef. "All das sind viele kleine Nadelstiche, die gewirkt haben."
Unter anderem diese Nadelstiche wurden nach der ersten Sicherheitskonferenz beschlossen, die vor einem halben Jahr mit Vertretern von Behörden, Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendarbeit-Trägern in Cottbus stattfand. Zuvor hatte es im Jahr 2022 viele Straftaten gegeben, vor allem Raub, Diebstahl und Körperverletzungen. Tatverdächtig sollen etwa drei, vier Gruppen von Jugendlichen, überwiegend mit Migrationshintergrund gewesen sein. Opfer waren meistens andere Jugendliche verschiedener Nationalitäten. Für Cottbus sei das ein neues Phänomen gewesen, sagt Oskar Vurgun.
Seit der Konferenz wurden mehrere Maßnahmen angegangen, um das Sicherheitsgefühl der Cottbuser zu verbessern. Inzwischen sind gemeinsame Streifen von Polizei und Ordnungsamt unterwegs, es gibt Kameraüberwachung. Außerdem wurden Alkoholverbote in der Innenstadt ausgesprochen, unter anderem am Schillerplatz.
"Wichtig ist, dass wir ein Schritt vorangekommen sind und, dass wir die Gewalt zwischen Kindern und Jugendlichen deutlich begrenzen konnten", bilanziert Oberbürgermeister Tobias Schick (SPD). Dazu habe auch die zusätzliche Schulsozialarbeit und Jugendarbeit beigetragen, sagt er. Vor allem in der Innenstadt habe sich einiges getan.
Laut Schick gibt es zwar immer noch jugendliche Banden, die durch Cottbus ziehen. Man habe aber durch verschiedene Maßnahmen geschafft, dass sich die Banden "nicht permanent begegnen", so der Oberbürgermeister. Er spricht von drei, vier verschiedenen Gruppen mit einer "Komplettdurchmischung von Herkunftsländern, aber es betrifft genauso auch deutsche Kinder und Jugendliche." Platzverweise der Polizei haben laut Schick dazu geführt, dass die Rivalität zwischen den jugendlichen Banden minimiert werden konnte.
Dass es aber nicht komplett friedlich läuft, berichten drei syrische Jugendliche rbb|24, die namentlich nicht genannt werden wollen. Sie gerieten immer mal wieder mit anderen aneinander, mit Deutschen ebenso wie mit anderen Ausländern.
Fast täglich sind sie am Schillerplatz, berichtet einer. "Wir chillen einfach nur, reden, snacken." Sie würden versuchen, Stress zu vermeiden und sich auch so zu verhalten. Sie selbst würden nur Stress machen, wenn jemand ihre Familie beleidige. "Wir warten immer, bis die andere Seite anfängt - dann machen wir was", sagt der Jugendliche.
Nach der Sicherheitskonferenz im Januar hatte der Cottbuser Oberbürgermeister angekündigt, drei Streetworker mit Migrationshintergrund einzustellen. Das sei laut Tobias Schick auch passiert. Sie seien vor allem in den Abendstunden jetzt in den Sommerferien unterwegs, "weil die Kinder und Jugendlichen leider dann auch mehr Zeit auf der Straße verbringen", so Schick. Die Streetworker würden mit ihnen reden und zeigen, wie sie Konflikte ohne Gewalt lösen können.
Die Streetworker hätten mehrere Vorteile, so Schick. Die Sprachbarriere falle weg. Außerdem würden sie mehr Zeit für die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen haben und so Vertrauen aufbauen können. "Sie brauchen da nicht einmal die Woche vorbeikommen und dann denken: 'Wir unterhalten uns, setzen in einen Kreis und dann sind die Probleme gelöst' - so funktioniert es nicht." Sie würden beispielweise mit Rollenspielen versuchen, den Kindern und Jugendlichen zu erklären, was Taten bei anderen auslösen.
Mögliche Ursachen für Kriminalität gibt es laut Schick mehrere. Es sei einerseits ein generelles Großstadtphänomen, habe aber "mit Sicherheit" auch damit zu tun, dass Kinder und Jugendliche durch die Corona-Pandemie weniger in der Schule waren und weniger Angebote hatten. Als Beispiel nennt Schick die geschlossenen Jugendclubs. Es gebe auch Jugendliche, die nicht von allein einen Jugendclub aufsuchen würden. "Man muss sie sozusagen an all die Möglichkeiten heranführen, die es außerhalb von Sich-Abziehen und Gewalt gibt", so Schick.
Trotz erster Erfolge müsse die Arbeit laut Schick weitergehen, das werde Zeit brauchen. "Wir sind noch lange nicht am Ziel," so der Oberbürgermeister. Man dürfe nicht denken, dass das Problem verschwunden sei, nur weil man es nicht mehr wahrnehme.
Laut Schick sind weitere Sicherheitskonferenzen geplant, auch außerhalb der Innenstadt. "Ein Alkoholverbot und vieles mehr führt ja zu Verdrängungseffekten", so der Oberbürgermeister. "Die haben wir auch in Kauf genommen, weil wir erst einmal die Situation in der Innenstadt deutlich verbessern wollten und gleichzeitig den Kindern und Jugendlichen zeigen: Wir haben euch nicht nur auf dem Schirm, sondern wir müssen uns gemeinsam an Regeln halten."
Cottbus brauche auch weiterhin die Unterstützung der Polizei, so Schick. Nach Straftaten müsse auch die Justiz handeln, es müsse zu Verurteilungen kommen. "Es ist in der Präventionsarbeit genauso wichtig, dass Leute, die sich nachweislich nicht an Regeln halten, Konsequenzen spüren."
Wegen der Kriminalität durch Jugendliche in Cottbus hatte die Polizei eine eigene Ermittlungsgruppe gegründet. "Diese Gruppe existiert auch weiter und führt die anhängigen Verfahren zu Ende", so Polizeichef Oskar Vurgun. Aktuell kümmere sie sich demnach um eine Zahl von Fällen im "niedrigen dreistelligen Bereich." Nach dem Ende der Verfahren werde die Gruppe ihre Arbeit einstellen. "Diese Entwicklung ist letztlich eine konsequente Folge des Rückgangs dieses Phänomens", so Vurgun.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 28.07.2023, 19:30 Uhr
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