Spätestens 2026 müsste Schluss sein
Selbst ein vorgezogener Ausstieg aus der Kohle in der Lausitz im Jahr 2030 käme zu spät, um die Klimaziele einzuhalten. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie. Der Studienleiter schlägt eine jährliche Drosselung der Kraftwerke ab 2024 vor.
Ein auf das Jahr 2030 vorgezogener Kohleausstieg in der Lausitz reicht einer aktuellen Studie nach nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel in Sachen Erderwärmung einzuhalten. "Wenn wir einfach nicht eingreifen und den Kohlebetreiber machen lassen, dann müssten wir spätestens 2026 sagen: Jetzt darf nicht weiter verbrannt werden", sagte Pao-Yu Oei von der Europa-Universität Flensburg am Donnerstag in Berlin.
Die von den Wissenschaftlern der Uni und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erstellte Studie [coaltransitions.org] zeige, dass in den Lausitzer Braunkohlerevieren noch maximal 205 Millionen Tonnen Kohlenstoff emittiert werden dürften. Dies bedeute, dass auf 50 bis 70 Prozent der Kohlefördermengen verzichtet werden müsse. Oei plädierte daher dafür, die Kraftwerke ab 2024 jährlich um 25 Prozent zu drosseln - dies führe auch zu einem längeren Erhalt der Arbeitsplätze.
Wegen sinkender Gaspreise werde die Nutzung von Kohle ohnehin spätestens ab 2030 unrentabel, erklärte der Leiter der Forschungsgruppe.
Kritik am Gutachten kommt von Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD). Darin würden Angaben dazu fehlen, wie die Strommenge, die nach Abschaltung der Kohlekraftwerke fehle, kompensiert werden könne. Schließlich stocke der Ausbau der erneuerbaren Energien auch in Brandenburg – das Gutachten sei nicht tiefgreifend genug.
"Ich kenne niemanden, der diese 1,5 Grad nicht einhalten wollte", so Steinbach. "Dazu gehöre auch ich. Aber wenn ich dafür Maßnahmen treffe, muss ich auch die Konsequenzen bewerten und das in eine Machbarkeit bringen." Zunächst müsse die Grundlastfähigkeit der Stromversorgung sichergestellt sein. "Und dann ist auch niemand dagegen, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die Kohlekraftwerke und den Bergbau abzustellen."
Nach langwierigen Verhandlungen hatten sich, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik, Lobbyisten und Interessensvertreter der unterschiedlichsten Gruppen in der sogenannten Kohlekommission im Januar 2020 auf einen Ausstieg 2038 geeinigt.
Die Studie "Klimaschutz in der Lausitz zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze" war von "Fridays for Future" in Auftrag gegeben worden. Die gute Nachricht sei nun, dass Deutschland auch in der Lausitz das 1,5-Grad-Ziel einhalten könne, sagte die Klimaaktivistin Luisa Neubauer bei der gemeinsamen Pressekonferenz des DIW und der Klimaschutzbewegung Fridays for Future. Es sei jedoch Aufgabe der Bundes- und Landesregierungen, die klimapolitischen Notwendigkeiten anzuerkennen und nach Lösungen zu suchen. Sie wisse zwar, dass die Menschen in Ostdeutschland schlechte Erfahrungen mit dem Strukturwandel gemacht hätten. Dies dürfe aber keine Ausrede sein, um den Debatten auszuweichen.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) veröffentlichte unterdessen eine Studie [duh.de], der zufolge der Verkehrssektor das CO2-Restbudget bis 2030 so radikal wie kein anderer Sektor in Deutschland sprengt. Laut der in Berlin vorgestellten Berechnung des NewClimate Institute wird der Verkehr allein in diesem Jahrzehnt mehr als 1.100 Millionen Tonnen Treibhausgase verursachen. Das seien fast viermal so viel wie mit der 1,5-Grad-Grenze vereinbar, sagte Studienautor Niklas Höhne. "Wenn alle Sektoren und Staaten ihre Emissionsreduktionen im selben Maß verschleppen wie der deutsche Verkehrssektor, erhitzt sich die Erde um mehr als drei Grad", warnte Höhne.
Laut Höhne kann der Ausfall des Verkehrssektors, dem etwa 20 Prozent des nationalen CO2-Restbudgets zustehen, nicht kompensiert werden. Keiner der anderen Sektoren wie Landwirtschaft, Industrie oder Energie habe Treibhausgas-Budget abzugeben. Dafür hätten alle seit dem Inkrafttreten des verbindlichen 1,5-Grad-Ziels im Jahr 2016 bereits zu viel verbraucht: "Deshalb muss der Verkehr jetzt die Notbremse ziehen."
Die Umwelthilfe fordert ein sofortiges Tempolimit 100 auf Autobahnen, 80 außerorts und 30 innerorts, die Abschaffung der milliardenschweren Subventionen etwa für Dienstwagen, Diesel und Kerosin und den Stopp aller neuen Autobahn- und Bundesstraßen-Pläne. Zudem dürften ab 2025 keine neuen Verbrenner mehr zugelassen werden.
Sendung: Fritz, 27.04.2023, 14 Uhr
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