Interview | IHK-Ostbrandenburg zum Ukraine-Krieg
Groß waren die Sorgen der Brandenburger Wirtschaft nach Beginn des Ukraine-Krieges. Und in der Tat hat dieser Produktion und Handel verändert. Der Geschäftsführer der IHK-Ostbrandenburg über Alternativen, Lehrprozesse und Sparmaßnahmen.
Vor bald einem Jahr haben russische Truppen die Ukraine überfallen. Kurz nach Beginn des Krieges äußerten in einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer Ostbrandenburg 83 Prozent der Unternehmen ihre Sorge vor Folgen für die Wirtschaft. rbb|24 hat mit Gundolf Schüle, dem Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, über den aktuellen Stand gesprochen.
rbb|24: Wie ist die Lage der Wirtschaft in Bezug auf den Ukraine-Krieg?
Gundolf Schülke: Man kann eindeutig und ohne Abstriche sagen, dass das, was befürchtet wurde, weitestgehend eingetreten ist. Wir alle sehen die Auswirkungen im Energiemarkt, die im Wesentlichen durch den Ukraine-Krieg und die darauffolgenden Sanktionen der Europäischen Union verursacht wurden. Die haben nicht nur das Geschäft in Richtung oder aus Russland beeinflusst, sondern wir haben bis zum heutigen Tag Wirkungen, die Stück für Stück eintreten, um bestimmte Handelstätigkeiten durchführen zu können. Das führt dazu, dass Geschäfte schlicht wegfallen, andere Geschäfte in ihrer Kontinuität gestört sind. Und die Unternehmen konnten an vielen Stellen diese Planbarkeit gar nicht realisieren, dass man sagt, man ist jetzt in der Lage, andere Kundengruppen umzuswitchen oder andere Märkte für sich zu erobern, beziehungsweise für eine Rohstoffsicherung in Anspruch zu nehmen.
Welche Geschäfte sind weggebrochen?
Wir sehen, dass Gas- und Öllieferungen nicht am Markt sind und dass mit Russland im Sinne anderer Rohstoffe keine Geschäfte gemacht werden können - wie seltene Erden oder Gase. Es ist sehr viel, was aus Russland importiert wurde. Oder wir sehen, dass auch Zulieferungen gestört worden sind, durch die Handelsbeziehungen, die nur Teile einer Produktion betrafen, aber zum Schluss das Produkt nicht fertigwerden lassen.
Welche Branchen waren bisher besonders stark betroffen?
Eher die Rohstoff-basierten Produzenten, die jetzt in direkter Folge betroffen waren. Als markantes Beispiel in unserer Region ist die Raffinerie (PCK Raffinerie in Schwedt, Anmerk. d. Red) betroffen. Arcelor (Stahlwerk in Eisenhüttenstadt, Anmerk. d. Red.) hat, glaube ich, auch Bezüge aus diesen Regionen. Arcelor hatte vor Weihnachten die Chance in Anspruch genommen, Kurzarbeit einzuführen. Im Moment sind erfreulicherweise wieder alle an Bord. Die Auswirkungen dieser wahnsinnigen Energiepreis-Steigerungen bleiben bei solchen Unternehmen nicht aus. Und so sind verschiedene Hersteller, die einfach ihre Bezüge von Rohstoff im Weltmarkt ändern mussten, betroffen. Das geht natürlich nicht über Nacht. Vom Thema Energie- und Ressourcenknappheit sind fast alle betroffen.
Wie haben sich Unternehmen in dem Jahr seit Ausbruch des Krieges angepasst?
Viele haben erst einmal versucht, ihre Produktion unabhängiger zu machen, indem sie versuchen, zu diversifizieren. Manche Produktgruppen sind im Markt heruntergefallen. Das sieht man daran, dass auf einmal Knappheit von bestimmten Produkten war. Holz ist damals teurer geworden, was im ersten Moment niemand verstanden hat. Aber wir haben sehr viele Holz-Importe aus Russland und Weißrussland. Weißrussland ist auch von den Sanktionen betroffen. Es war klar, dass das Marktwirkung hatte.
Viele Dinge haben sich mittlerweile geglättet, weil man versucht, Vertragsbeziehungen mit anderen Ländern als Rohstoff-Quelle herzustellen. Aber das brauchte seinen Weg. Wir sind jetzt in der Lage, Gas und Öl auf dem Weltmarkt zu ordern, aber das brauchte seine Zeit. Man muss da aber auch Preiserhöhungen hinnehmen, weil man als Suchender in den Markt einsteigt und dann die Weltmarkt-Preise zahlen muss. Auch kamen eine Reihe von Produkten aus der Ukraine. Die standen durch kriegsbedingte Stillstände nicht zur Verfügung. Und so mussten andere europäische Standorte schauen, dass man den Ausgleich schafft.
Gab es bei den hiesigen Unternehmen Anstrengungen, auch Energie zu sparen?
Ja, da gab es vielfältige Aktivitäten. Etwa jede einzelne Notwendigkeit im Unternehmen auf den Prüfstand zu stellen. Dieser Vorgang war noch nie so intensiv wie zurzeit. Obwohl in vielen Unternehmen schon in den letzten Jahren sehr viel gemacht wurde. War haben da schon einen relativ guten Stand erreicht. So gesehen war die Frage: Wie viel Ressource ist noch durch mehr Effizient zu erreichen? Viele Unternehmen haben sich die Situation nochmal angeschaut. Viele Unternehmen haben aber auch einfach ihre Produktion reduziert und damit reagiert, einfach mal ein bisschen innezuhalten und zu schauen, wie sich die Marktentwicklungen ergeben. Andere Beispiel waren, dass Unternehmen, die Energie gespart haben, diese genutzt haben, um sie zu verkaufen. Bei den hohen Preisen war das auch eine Alternative, um betriebswirtschaftlich klarzukommen. So gesehen hat jeder seinen speziellen Weg gesucht. Erfreulicherweise waren wir nicht davon betroffen, dass der Arbeitsmarkt in Größenordnungen in Mitleidenschaft kam - bislang zu mindestens nicht. Nach Einschätzung der Arbeitsagenturen wird es am Markt auch über die nächsten Monate relativ stabil bleiben.
Haben sich Unternehmen auch in Sachen Lagerung angepasst?
Ja, aber das waren nicht ausschließlich die Auswirkungen des Krieges, sondern durch die Pandemie in China und den Container-Stau gab es schon viele Hinwendungen, um zu sagen die Lager in sensiblen Produktbereichen zu erhöhen, beziehungsweise die Produktion so zu gestalten, dass man nicht zu eigenen Schädigungen kam, weil ein kleines Teil oder Schraube fehlt. Dort sagte man: Dann sind wir in der Lage, auf andere Produktgruppen umzustellen und uns flexibler aufzustellen. Das ist an vielen Stellen passiert. Die Unternehmen mussten reagieren. Ansonsten hätten sie viel mehr gelitten. Erfreulicherweise haben wir nicht all zu viele Insolvenzen bekommen, die man erwarten hätte können, wenn man die Auswirkungen hochrechnet.
Welche Chancen bietet die Wasserstoff-Technologie, was die Abhängigkeit angeht?
Es ist unstrittig, dass H2 in Betrachtung des Themas CO2-Ausstoß ein wichtiges Umswitchen ist, die CO2-getrieben Energieproduktionen zu reduzieren. Wir pläydieren zu mehr Technologie-Offenheit. Das Thema H2 wird bedeutend werden. Ich glaube aber, dass es nicht die alleinige Lösung sein wird. Dafür fehlen uns im Sinne einer grünen Stromprodution zu viele Vorprodukte, die ja dann die Basis dafür bilden würden. Das Thema wird ein bisschen Zeit brauchen, aber ja, es kommt und bietet auch für Brandenburg viele Chancen.
Würden Sie sagen, die Lage ist ökonomisch gerade einigermaßen stabil oder volatil?
Ich glaube, es ist nach wie vor sehr volatil. Bei wirtschaftlichen Fragen haben wir viel zu viele Bälle in der Luft. Wir haben Spannungen mit China, den Ukraine-Krieg, Russland-Sanktionen und auch andere Länder wie in Südamerika sind momentan mit viel politischer Unruhe belegt. Wir sehen, dass Indien sich gerade im Weltmarkt orientiert. Es ist sehr viel, was zur Unruhe führt, was Planbar- und Verlässlichkeit angeht. Und das hat gerade für die deutsche Wirtschaft Folgen, da wir sehr Export-getrieben sind und Planbar- und Verlässlichkeit in den Märkten brauchen. Die Bundesrepublik ist an sich im Maßstab viel mehr betroffen, als wenn man auf Brandenburger Verhältnisse blickt. Unsere Exportquote ist im Verhältnis sehr gering. Wir sind da mit der Hälfte der Probleme belegt. Aber selbst das macht Sorge genug, die Dinge, die wir uns in den letzten Jahren erarbeitet haben, aufrechtzuerhalten. Wir hatten Einiges vor, unsere Exportquote zu verbessern und mehr zu diversifizieren. Das Ziel besteht nach wie vor, aber es ist schwieriger geworden.
Vielleicht ein Blick in die Zukunft: Wann denken Sie, wird sich die Lage stabilisieren? Wenn sich die politischen Verhältnisse verbessern oder sich die Unternehmen nachhaltigere Alternativen aufbauen?
Die Unternehmen sind dran, für sich selbst Entscheidungen zu treffen. Aber auch da muss man politische Rahmen durch die Entscheider abschätzen. Und wenn der sich, wie durch den Krieg, wieder ändert, ist es verdammt schwer. Ich persönlich habe die Erwartungshaltung - die ist unschön: aber ich glaube nicht daran, dass wir sehr kurzfristig erleben werden, dass der Krieg beendet werden könnte. Die gegenwärtige Situation gibt dafür jedenfalls wenige Anhaltspunkte.
Vielen Dank für das Gespräch!
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.
Das Gespräch führte Philip Barnstorf für Antenne Brandenburg.
Sendung: Antenne Brandenburg, 11.01.2023, 15:40 Uhr
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