Afghanische Ortskräfte
Die Flucht vor den Taliban führte drei Frauen aus Afghanistan mit Unterstützung aus Märkisch-Oderland nach Deutschland. Anderthalb Jahre später sind Geflüchtete und Helfer eng verbunden. Wäre da nicht die Bürokratie.
Im April 2021 wurde der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan nach 20 Jahren im Land für beendet erklärt. Innerhalb weniger Wochen übernahmen die radikal-islamischen Taliban die Macht. Männer und Frauen, die die internationalen Truppen etwa mit ihren Kenntnissen und Übersetzungen unterstützt hatten, wurden plötzlich zur Zielscheibe. Tausende dieser Ortskräfte mussten fliehen.
Nach Deutschland geschafft haben es auch Nafisa Sayed und ihre Tochter Khojasth. Bei ihrer Flucht und der Ankunft vor eineinhalb Jahren bekamen sie Hilfe von Familie Hildebrandt aus Ihlow in der Märkischen-Schweiz (Märkisch-Oderland). Helfer und Unterstützer haben sich seit der dramatischen Rettungsaktion nicht aus den Augen verloren. Noch immer treffen sie sich regelmäßig zum Spielen und Reden, wobei fast immer gemeinsam afghanisch gekocht wird. Gemüse-schnippel, Rühren und Garen bieten am Mittwoch in der belebten Küche gleich noch Gelegenheit, die ein oder andere Vokabel zu lernen.
Grundstein für die internationale Freundschaft ist ein Bekannter der Hildebrandts, der bereits seit sechs Jahren in Deutschland lebt. Ihm halfen die Ihlower seine Ehefrau, ihre Schwester Nafisa und deren Tochter Khojasth aus dem von den Taliban beherrschten Land herauszuholen. Khojasth war damals gerade elf Jahre alt als sie die Flucht antrat. Ihr Vater war zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Er hatte als Ortskraft für die Bundeswehr gearbeitet und starb während eines Einsatzes. "Ich hatte Angst als die Taliban kamen", erinnert sich Khojasth. "Das war so schrecklich."
Mit der Flucht begann eine gefährliche Odyssee durch mehrere Länder. Frank Witte, Ehemann von Frauke Hildebrandt, hat die Frauen damals begleitet. "Wir hatten an einer Stelle die Taliban bestochen, dass sie über eine Brücke gehen können. Dann wurden sie an der Grenze zu Usbekistan nicht durchgelassen und mussten dann wieder zurück. Aber sie (die Taliban, Anmerk. d. Red.) waren nur dafür bestochen worden, sie durch-, aber nicht wieder zurückzulassen. Das war ein schreckliches Gefühl."
Schließlich gelang doch noch der Weg nach Usbekistan. Die Frauen mussten sich dort und anschließend in Tadschikistan verstecken, bis die notwendigen Papiere für eine Einreise nach Deutschland vorlagen. Die Angst sei dabei ein ständiger Begleiter gewesen, erzählen sie. Die Reise endete im November 2021 am Flughafen in Schönefeld.
Noch heute ist Frauke Hildebrandt über den glücklichen Ausgang erstaunt. Denn zahlreiche Momente voller Zweifel und Unsicherheiten hätten die Flucht geprägt, während es vielen Ortskräften nicht gelungen sei, Afghanistan zu verlassen. Die Erfahrungen habe die Geflüchteten und die Helfer zusammengeschweißt. "Wenn man jemanden durch Leben und Tod durch die Landschaft schickt, auch aus der Ferne oder mit Google Maps, ist man wirklich anders verbunden", sagt Frank Witte.
Das sei auch in Deutschland so geblieben. Denn zunächst haben die afghanischen Frauen mehrere Monate in Ihlow gelebt, bevor sie nach Berlin umgezogen sind. Tochter Khojasth besucht jetzt eine Schule in Lichtenberg. "Ich geh in eine Willkommens-Klasse und habe ein bisschen Angst vor den Prüfungen", sagt sie mit einem Lachen.
Während der Schulbesuch relativ reibungslos organisiert werden konnte, ließen bei den Erwachsenen die von der Bundesregierung für Ortskräfte zugesagten beschleunigten und vereinfachten Verfahren zu wünschen übrig. Das zeigten die Erfahrungen der Ihlower Verbundes, der neben den Frauen der Familie Sayed auch weitere Geflüchtete betreut. Demnach funktioniere Sprachkurs- und Wohnungssuche sowie jeder Behördengang nur mit Hilfe von Unterstützern, sagt Schwägerin Elske Hildebrandt, die gleichzeitig Landtagsabgeordnete für die SPD ist. "Es müsste wahrscheinlich viel mehr Einzelfall-Begleitung geben, dass es individualisierte Hilfestellung gibt."
Bei zwei Frauen aus dem Umfeld wurde der Asylantrag sogar abgelehnt. Sie hatten als Ortskräfte nicht die Bundeswehr, sondern eine Nichtregierungsorganisation unterstützt. Weitere Familienmitglieder versteckten sich weiterhin in Afghanistan und warteten dort noch immer auf Hilfe aus Deutschland. Ischlar Smolny vom Ihlower Unterstützerkreis hat dazu eine klare Meinung: "Ich finde es ganz, ganz schrecklich was alles nicht passiert ist."
Und doch gibt es auch die guten Nachrichten. In der deutsch-afghanischen Schicksalsgemeinschaft wird es Nachwuchs geben. Denn eine der afghanischen Frauen bekommt in drei Wochen in Berlin ihr erstes Kind. Die gemeinsame Freude ist groß.
Sendung: rbb24 Brandenburg, 04.01.2023,19:30 Uhr
Mit Material von Michael Lietz und Martin Krauß
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