Interview | Polen-Expertin
Seit ungefähr einem Jahr haben Millionen Geflüchtete aus der Ukraine die Grenze zu Polen überquert. Die Professorin Dagmara Jajeśniak-Quast von der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder) erklärt, wie sie im Nachbarland aufgenommen wurden.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 kam es zu einer großen Fluchtbewegung nach Polen. Über sechs Millionen Menschen haben in den vergangenen zwölf Monaten die ukrainisch-polnische Grenze passiert. Etwa zwei Millionen sind dortgeblieben. Europaweit sind dem UNHCR zufolge etwa acht Millionen Ukrainer vorläufig als Geflüchtete registriert. Fast 1,5 Millionen Ukrainer lebten schon vor dem 24. Februar in Polen. Sie waren Anlaufstelle für Geflüchtete, halfen Wohnungen und Arbeit zu finden.
Inzwischen sind laut dem Deutschen Polen-Institut 81 Prozent der Polen für einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union. Polen-Expertin Dagmara Jajeśniak-Quast, Leiterin des Zentrums für Interdisziplinäre Polenstudien und Professorin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) erklärt, wie im Nachbarland mit den Geflüchteten umgegangen wird.
rbb|24: Wie wurden seit Kriegsbeginn die Geflüchteten aus der Ukraine in Polen aufgenommen?
Dagmara Jajeśniak-Quast: Strukturen waren kaum vorbereitet für so eine Masse an Menschen, sodass es eine enorme Welle von Aktionen und Solidarität gab. Die Wissenschaftler sagen, das ist die größte Solidaritätsaktion seit dem Entstehen der Solidarnosc-Bewegung in den Achtzigerjahren in Polen. Damals waren es zehn Millionen, die aufgestanden sind. Und jetzt kann man es ähnlich sehen.
Die Gründe für die große Solidarität und die Anziehungskraft Polens für die Ukrainer sind vielfältig: unter anderem die geschichtliche, kulturelle, sprachliche und räumliche Verbindung. Was hat sonst eine Rolle gespielt?
Das wichtigste Argument, ist das, dass [die Geflüchteten] vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen waren.
Auch die Regelungen der polnischen Regierung sorgten dafür, dass die Geflüchteten sofort arbeiten konnten.
Es gab ein großes Vakuum auf dem polnischen Arbeitsmarkt, das einige Branchen und Arbeitsarten betraf. Diese Lücke wurde sofort gefüllt. Und die kleine Sprachbarriere führte dazu, dass tatsächlich sehr viele angefangen haben zu arbeiten.
Trotzdem gab es auch Spannungen, Konflikte und Konkurrenzdenken. Zum Beispiel im Gesundheitswesen und bei Krippenplätzen. Wurden diese Spannungen politisch instrumentalisiert?
Polen ist tatsächlich ein politisch sehr gespaltenes Land, zwischen konservativen und liberalen Kräften. Aber hier gibt es Konsens: Bei Ukraine-Hilfen, bei den Reaktionen auf den Krieg, bei Subventionen aber auch bei den Sanktionen gegen Russland gibt es keine Unterschiede.
Danke für das Gespräch.
Das Gespräch führte Jonas Metzner für Antenne Brandenburg.
Beim vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.
Artikel im mobilen Angebot lesen