Beeskow
Fünf Monate hat Franziska Hauser in Beeskow als Burgschreiberin an Texten gefeilt und ist in Regionalgeschichte eingetaucht. Zum Abschluss ihrer Amtszeit zieht sie Bilanz - und ist zwiegespalten.
Die Spree teilt sich um Beeskow und seine Burg in malerische Kanäle, es gibt kleine Inseln, Naturschutzgebiete. Sie sind zu Lieblingsplätzen von Schriftstellerin Franziska Hauser geworden. Seit knapp fünf Monaten ist die Berlinerin Burgschreiberin der rund 8.000 Einwohner zählenden Stadt im Landkreis Oder-Spree, ihr Aufenthalt geht an diesem Freitag mit einer Abschlusslesung zuende.
Das Amt der Burgschreiberin oder des Burgschreibers ist in Brandenburg einmalig. Es wird vom Kreis Oder-Spree und der Stadt für fünf Monate neu vergeben, verbunden mit der Verpflichtung, neben Antritts- und Abschlusslesung Texte zu veröffentlichen.
Hauser hat Artikel für Tageszeitungen geschrieben, 20 Interviews mit Einwohnern geführt, das Impro-Theater hat eine Kurzgeschichte von ihr auf die Bühne gebracht, Lesungen Hausers waren gut besucht. Das neue Buch, an dem die 48-Jährige schreibt, hat inzwischen 100 Seiten mehr. Eigentlich könnte sie zufrieden sein über die Ausbeute in der "Autorin-Buch-Kur". Der Roman, mit dem sie "schwanger" geht, konnte wie ein "Kind" wachsen, wie sie der Deutschen Presse-Agentur beschreibt.
Auch an Erkenntnissen über sich ist Hauser reicher. "Ich kann in der Stadt offenbar besser übers Land schreiben - und hier besser über die Stadt." Eine gute Empfehlung für literarische Großstädter, nach Beeskow zu kommen?
Vielleicht nicht für jeden, sagt die Literatin, die erzählt, wie sie sich "reingegraben" hat in die Stadt. Dafür tauchte Hauser auch in die Ortshistorie ein. Ihr Naturell sei es zu bohren und Geschichten freizulegen. "Es ist erstaunlich, wie man reinwächst in den Ort", so die Dichterin.
Während sie spricht, zeigt ihr ein Mann am Kanal zwei gerade geangelte Fische, eine Abgeordnete der Stadt grüßt sie. Hauser war zu einer Geburtsagsfeier und zum Grillen bei Beeskowern eingeladen, sie hat den Jugendklub mit Keramikkurs, die Kirche und das Pflegeheim besucht. Mit ihren Spaziergängen am Abend und dem Joggen am Morgen gehörte sie irgendwann zum Straßenbild.
Sie habe viele nette Menschen kennengelernt, denen sie auch in Berlin hätte begegnen können, sagt Hauser. Doch habe sie bei Begegnungen auch eine große Unsicherheit bemerkt, viel Meinung und wenig Haltung. "Es gab die Angst, dass ich über die Leute was Schlechtes schreibe." Immer wieder sei sie gefragt worden, wie sie über Region und Menschen denke, so Hauser.
Vielleicht sei es eine "genetisch eingeprägte Überlebensfrage", dass ein kleiner Ort stets wissen wolle, ob er von einem großen Ort bedroht werde. "Je kleiner und je gespaltener, umso verletzbarer." Beeskow sei gespalten zwischen SPD und AFD.
Der SPD-Kandidat Frank Steffen hatte am 14. Mai die Stichwahl zum Landrat des Kreises Oder-Spree gegen AfD-Bewerber Rainer Galla mit 52,4 Prozent der Stimmen gewonnen. Galla kam auf 47,6 Prozent.
Die Mentalität der Beeskower beschreibt sie als das Gegenteil von rheinischer Frohnatur - als das "ruppige Oder-Spree-Wesen". "Man kann hier überall reinlatschen, muss aber damit rechnen, angemotzt zu werden." Die Menschen fühlten sich zu oberflächlicher Freundlichkeit nicht verpflichtet. Hauser ist das lieber, als Mauern hinter fröhlichen Fassaden.
Allerdings sei sie nach fast fünf Monaten auch an eine Einsamkeitsgrenze gestoßen und empfindlicher geworden. Kunst habe in Beeskow durchaus Platz, dürfe aber "nicht wehtun". "Man darf hier keinen Stunk machen." Auch deshalb will Hauser die Menschen zu Wort kommen lassen und aus ihren Interviews mit ihnen vorlesen.
Sendung: Orte und Worte | rbb Kultur, 16.05.2023
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