Theater am Rand
Wie sehr lassen sich die heutigen Krisen und gesellschaftlichen Entwicklungen mit der Zeit vor 100 Jahren vergleichen? Bühnenstoff aus den 1920er-Jahren gibt es genug. Am Theater am Rand werden jetzt zwei kurze Stücke aus dieser Zeit gegenübergestellt.
"Reicher Mann und armer Mann standen da und sahen sich an und der Arme sagte bleich: Wäre ich nicht arm, wärst du nicht reich." Das dichtete 1934 Bertolt Brecht. Diese Zeilen sind für den Regisseur Benjamin Zock die Klammer, unter der er die beiden Stücke "Rudimentär" und "Die Marmeladen-Esser" aus den 1920er-Jahren zusammenführt und im "Theater am Rand" in Zollbrücke im Oderbruch (Märkisch-Oderland) auf die Bühne bringt.
"Es ist eine ähnlich brisante Zeit wie heute. Beide Stücke blicken mit verschiedenen Perspektiven auf ein Zeitgeschehen". Bei dem ersten Stück seien "arme Leute" die Thematik, berichtet Zock. " Das Ehepaar, das sich umbringen will, den Gashahn aufdreht und die Pointe, wenn ich sie verraten darf: Es klappt eben nicht."
Der Regisseur steht selbst auf der Bühne. Das Ensemble spielt im Altberliner Dialekt mit schlesischer Einfärbung. Zwei Plastikstühle, ein leerer Kühlschrank, Pappteller und eine letzte Schnapsflasche symbolisieren das Elend des Paares. Das fürs Ableben nötige Gas ist weg. Die Parallelen zur Energieversorgung in heutigen Krisen sind offensichtlich.
Entdeckt hat Regisseur Zock "Rudimentär" von August Stramm im Archiv der Akademie der Künste. Das Stück wurde für die Bühne geschrieben. Ganz im Gegensatz dazu steht das zweite Stück "Die Marmeladen-Esser" von Hans-Henny-Jahn. Benjamin Zock bringt eine Erzählung aus dessen Roman "Perugia" von 1929 zum ersten Mal überhaupt auf die Bühne.
"Wir haben eine Gesellschaft oder eben die Familie, die alles hat, aber damit nicht zufrieden ist und eigentlich auch sich nach einem neuen Wozu hinbegibt und fragt, was wollen wir eigentlich? Oder was ist ein glückvolles Leben?", so Zock.
Die alleinerziehende gutsituierte Inge kocht für ihren Sohn Harald Marmelade. Der ist pubertär, will provozieren und aufbegehren und predigt zuhause den Kommunismus. Als die Mutter dann den Milchjungen und den Bäckergesellen zur Verköstigung der hausgemachten Marmelade einlädt, entspinnt sich eine Dreier-Diskussion über die Zukunft Europas mit jeder Menge Industrialisierungs- und Kapitalismuskritik.
Da heißt es: "Die Luft ist uns verpestet mit dem Schlagwort vom Umsatz." Genau da treffen die beiden Stücke aufeinander. "Auf der einen Seite ist die absolute Armut und Verarmung einer Gesellschaft und auf der anderen Seite ist die Dekadenz und der Überfluss. Aber dennoch in einem gewissen Sinne ein armseliges Leben. An der Stelle, wo nur als Währung Geld steht, kann kein glückvolles Leben bestehen", sagt Regisseur Zock.
Die beiden Stücke sind sich näher als ihre inhaltlichen Gegensätze - gerade durch ihre Sprache: "Rudimentär" mit einem trotzigen und schnoddrigen Ton. "Die Marmeladen-Esser" war feiner im Umgang, aber ebenso radikal in der Sprache. Dass sie hundert Jahre alt sind, merkt man ihn nicht an. "Das hat ja eine ganz fatale Aktualität", sagt Schauspielerin Susanne Jansen.
Zu sehen ist die Stückkombination am Freitag und Samtag jeweils um 19:30 Uhr und noch einmal am 27. und 28. Oktober um die gleiche Uhrzeit.
Sendung: Antenne Brandenburg, 21.09.2023, 15:10 Uhr
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